Ein Taxifahrer krampft 212 Stunden im Monat. Er bekommt dafür 3200 Franken. Ein diplomatischer Berater notiert 44 Stunden weniger. Kassiert aber fast das Vierfache.
«Die Lohnschere in der Schweiz ist gross und schliesst sich leider nur schleppend», sagt Philipp Mülhauser (64) vom Zürcher Amt für Wirtschaft und Arbeit. Er hat von über 9000 Berufen die Löhne gesammelt, wie sie nach Gesamtarbeitsvertrag, Statistik oder Branchenverbänden sein sollten. Und diese jetzt im neuen Lohnbuch 2016 veröffentlicht. «Ein Nachschlagwerk für Arbeitgeber, Personalberater, Gewerkschaften», so Mülhauser. «Und natürlich für Arbeitnehmer, die gwundrig sind.»
SonntagsBlick stillt die Neugier. In der Tabelle finden populäre Berufe und Exoten – vom fürstlich entlöhnten Akademiker bis zum Matrosen, der im Monat auf 1379 Franken kommt.
Darüber reden will wohl keiner der beiden. «Der Lohn ist gerade in der Schweiz immer noch ein Tabu-Thema, unabhängig von der Höhe», sagt Professor Markus Grutsch (43), Arbeitspsychologe an der Fachhochschule St. Gallen. Wie viel man bekommt, habe eine grosse persönliche Bedeutung. «Der Lohn zeigt, wie viel ich beruflich wert bin. Und entscheidet so auch über mein Selbstwertgefühl.»
Chefs müssen Transparenz schaffen
Sich mit Kollegen auszutauschen, birgt Gefahren: «Entweder ich schäme mich, weil ich mehr verdiene als die anderen. Oder ich bin eifersüchtig, weil ein Mitarbeiter für die gleiche Arbeit mehr bekommt», sagt Grutsch. Gefordert seien die Chefs: «Wenn man transparent kommuniziert, welche Leistung wie entlöhnt wird und sich auch daran hält, verhindert das Neid und Missgunst unter den Angestellten.»
Problematisch bleibt der Vergleich mit Freunden oder Nachbarn, die in einer anderen Branche arbeiten. Eine Floristin verdient laut Lohnbuch 3800 Franken im Monat, ein Wirtschaftsprüfer 9481. «Es hat sich historisch so entwickelt, dass gewisse Branchen mehr Prestige haben und besser entlöhnt werden. Ausschlaggebend ist hier auch die grössere Verantwortung», sagt Grutsch. Ist diese gleich gross, der Lohn aber unterschiedlich, sei das schlicht ungerecht. «Ändern wird sich daran in naher Zukunft aber nichts.»
«Diese Lohnspanne ist extrem stossend»
Zermürbend fällt der Vergleich von Normalverdienern mit Bankern aus. Samt Boni strich UBS-Chef Sergio Ermotti (55) im letzten Jahr 14,3 Millionen Franken ein. Das sind 242 mal mehr als bei einem Maler. «Diese Lohnspanne ist hochverwerflich und extrem stossend», sagt Thomas Minder (55). Der Unterschied lasse sich auf keine Weise rechtfertigen, «auch wenn Herr Ermotti noch so einen tollen Job machen würde». Der Ständerat und Urheber der Abzocker-Initiative nimmt den CEO aber in Schutz. «Der Verwaltungsrat entscheidet, wie viel er erhält. Wenn ich Herr Ermotti wäre, würde ich auch nicht nein sagen», sagt Minder.
Vor drei Jahren stimmte die Bevölkerung mit 68 Prozent für seine Initiative – der dritthöchste Ja-Anteil aller bisherigen Volksvorlagen. «Das zeigt deutlich, wie sehr Normalverdiener solche überrissenen Löhne ablehnen.» Umgesetzt ist die Initiative aber immer noch nicht. «Leider sind Bundesrat und Parlament gerade daran, die Vorlage komplett zu verwässern», so Minder. «Es dauert wohl noch zwei Jahre, bis das Gesetz in Kraft ist.»
Dann wird sich die Lohnschere wenigstens zu den Topverdienern schliessen. Laut Lohnbuch kommen Banker mit Führungsfunktion im Alter von Sergio Ermotti ohne Bonus «nur» auf 9289 Franken im Monat.