Unangenehme Fragen bei Baloise und Helvetia
Wie der «Balvetia»-Chef die Mega-Fusion schaffen will

Fabian Rupprecht soll aus Baloise und Helvetia einen starken Versicherer formen. Dabei wird er viele unangenehme Entscheide fällen müssen.
Publiziert: 19.05.2025 um 17:52 Uhr
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Aktualisiert: 19.05.2025 um 18:05 Uhr
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Er führt schon bald einen doppelt so grossen Versicherungskonzern: Fabian Rupprecht, CEO der heutigen Helvetia.
Foto: Keystone

Darum gehts

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Michael Heim
Handelszeitung

Diese Woche werden in Basel und St. Gallen die Aktionäre zur Abstimmung gebeten. In Basel müssen sie nichts weniger als die formelle Auflösung eines 162 Jahre alten Versicherungskonzerns beschliessen: Auf dem Tisch liegt die Fusion mit der Helvetia, dabei soll die Baloise in den St. Galler Versicherer integriert werden.

Nachdem bei der Baloise mit Cevian der grösste Kritiker seine Aktien bereits an Helvetia-Aktionärin Patria verkauft hat, steht der Fusion kaum noch etwas im Weg. Entsprechend dürfte mit der Helvetia Baloise – so der neue Name – eine neue Nummer zwei im Schweizer Markt entstehen.

Rupprecht war wohl eine Bedingung für die Fusion

Spätestens dann werden die Augen auf einen Mann gerichtet sein: Fabian Rupprecht. Über Nacht wird der Helvetia-CEO zum Chef eines doppelt so grossen Konzerns. Die Fusion trägt seine Handschrift. Ohne seine Berufung an die neue Konzernspitze hätte die Helvetia nicht eingewilligt, hört man. Nun ist es an ihm, die Versprechen einzulösen, die den Aktionären gemacht wurden. Dafür wird er der Belegschaft unangenehme Botschaften überbringen müssen.

Artikel aus der «Handelszeitung»

Dieser Artikel wurde erstmals im Angebot von handelszeitung.ch veröffentlicht. Weitere spannende Artikel findest du unter www.handelszeitung.ch.

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Denn der Zusammenschluss ist vor allem ein Kostensparvorhaben, wie Analyst Simon Fössmeier von Vontobel erklärt. Doppelspurigkeiten sollen verschwinden, um bis 2029 die Kosten um 350 Millionen Franken pro Jahr zu drücken. Die Einschnitte dürften dort passieren, wo es Überschneidungen gibt: an den Konzernsitzen und in den Märkten Schweiz und Deutschland, wo beide Unternehmen heute tätig sind. Entsprechend gezittert wird in Basel und St. Gallen.

Noch machen die Fusionspartner keine Angaben dazu, wie das Sparziel erreicht werden soll. Zwei Drittel sollen über das Personalbudget erfolgen. Gemessen an den 2,4 Milliarden Franken Personalkosten der beiden Versicherer stehen also rund 10 Prozent der Stellen auf dem Spiel. In der Schweiz befinden sich die meisten Jobs in Basel, wo nicht nur die Baloise ihren Sitz hat, sondern auch die Helvetia mit dem Schweiz-Sitz und dem Geschäftsbereich Leben präsent ist. Zusammen beschäftigen beide Firmen dort gut 4000 Personen. Und so wird auch der neue Konzern seinen Sitz in Basel haben.

Die St. Galler Regierung lobbyiert

In St. Gallen löst dieser Entscheid Ängste aus. Zwar wird das Management von «Balvetia» nicht müde, zu betonen, dass die Stadt ein «wichtiges Standbein» bleiben werde. Doch was das genau bedeutet, sagt niemand. Die St. Galler Regierung hat im Juni einen Termin bei der neuen Konzernleitung, wie das «St. Galler Tagblatt» erfahren hat. Ihr Ziel: das Sachversicherungsgeschäft in St. Gallen zu behalten. Lässt das neue Management Milde walten? Oder sind es gerade solche Entscheide, mit denen CEO Fabian Rupprecht die unter Investoren verbreitete Skepsis an den Sparplänen aus dem Weg räumen kann?

Unter Rupprechts Vorgänger Philipp Gmür, einem Helvetia-Urgestein, wäre die Fusion wohl nicht zustande gekommen, hört man. Rupprecht dürfte dagegen weniger Beisshemmungen haben, fehlt ihm doch der St. Galler Stallgeruch. Zuletzt arbeitete der deutsch-schweizerische Doppelbürger für die niederländische NN Group, davor war er lange für die französische Axa tätig.

Spannend dürfte sein, wer sich sonst im Management durchsetzen wird. Bei einer Fusion «unter Gleichen» gibt es auf den meisten Posten einen zu viel, und die Machtfrage ist offen. Definiert ist bis dato nur die Besetzung des Verwaltungsrats und der Konzernleitung. Ersterer wächst auf 13 Mitglieder an – mit dem Versprechen, mittelfristig das Gremium wieder zu verkleinern. In der neuen Geschäftsleitung werden zwölf Personen Einsitz nehmen. Dort habe sich bereits die Kultur der Helvetia mit einer breiten, aber flacheren Führung durchgesetzt, hört man aus dem Management.

Nur einer gewinnt: Helvetia-Präsident Thomas Schmuckli (l.) wird sich künftig als normales Verwaltungsratsmitglied Baloise-Präsident Thomas von Planta unterordnen müssen, der das vereinte Gremium leiten wird.
Foto: Keystone/Montage HZ

Dabei geben einzelne Personalentscheide zu reden. So stammt etwa der bei einem Versicherer nicht unwichtige IT-Chef von der Baloise, was Vermutungen nährt, dass der künftige Konzern sich eher auf die Technologie der Basler stützen könnte.

Beide Finanzchefs sind nicht mehr dabei

Erstaunlich ist auch, wer nicht mehr dabei ist: Im neuen Organigramm fehlen gleich beide bisherigen Finanzchefs. Sowohl Helvetia-CFO Annelis Lüscher Hämmerli als auch Baloise-Finanzchef Carsten Stolz kamen nicht in die Kränze. Zumindest im Fall von Lüscher Hämmerli ist die Zukunft absehbar: Am Dienstag wurde bekannt, dass sie im kommenden Jahr Präsidentin der Berner Kantonalbank werden soll und den Versicherer «spätestens dann» verlassen werde.

Zu Stolz’ Zukunft ist derzeit nichts bekannt. Neuer Finanzchef des fusionierten Versicherers soll Matthias Henny werden, der zwar vor Jahren mal kurz als Finanzchef bei der damaligen Winterthur tätig war, aber ansonsten meist das Anlagengeschäft verantwortete. Eine ungewöhnliche Rochade.

Er wird zum Chief Integration Officer: Baloise-CEO Michael Müller.
Foto: Keystone

Zu den Verlierern der Fusion gehört Baloise-CEO Michael Müller, er muss sich mit der Rolle eines Integrationschefs zufriedengeben. Rupprecht, der den Chefposten übernehmen wird, gilt als der starke Mann im Konzern und muss nun aus zwei ähnlich aufgestellten Versicherern mit vielen Redundanzen ein fitteres Unternehmen formen. Keiner der beiden Fusionspartner ist ein Sanierungsfall, doch Schwächen gibt es bei beiden. Eine Liebesheirat sieht anders aus.

Gleich alt, aber ungleich entwickelt: Baloise und Helvetia

Die Baloise und die Helvetia sind sich ähnlich. Ob Börsenwert, Eigenkapital oder Umsatz, beide spielen in der gleichen Liga. Mit 53 Prozent werden die Helvetia-Aktionäre nur unwesentlich mehr Anteile am neuen Versicherer halten als die von der Baloise. Doch dieses Gleichgewicht existiert erst seit kurzem. Denn das Grössenverhältnis ist das Ergebnis eines jahrelangen Niedergangs der Baloise.

Zwar haben beide Versicherer eine lange Geschichte; entstanden sind sie in der Frühzeit der modernen Eidgenossenschaft Ende des 19. Jahrhunderts. Doch während der Versicherer aus dem damals wirtschaftlich führenden Basel früh expandierte, blieb die Helvetia lange ein kleinerer Sachversicherer (siehe Grafik links). Mitte der 1990er-Jahre generierte die Baloise bereits ein Geschäftsvolumen von rund 7 Milliarden Franken; die Helvetia dagegen lag noch bei knapp 2 Milliarden Franken.

Stammbaum: Entstehung von Helvetia und Baloise.
Foto: Tessy Rupppert

Doch danach legte die Baloise unter dem Strich nicht mehr gross zu und schraubte vor allem an ihren Strukturen und an den Folgen ihrer Auslandexpansionen herum. Die Helvetia dagegen setzte zu einem beispiellosen Wachstum an. Erst schloss sie sich 1996 mit dem etwas kleineren Basler Lebensversicherer Patria zusammen, dann folgte – nebst vielen kleinen Akquisitionen – 2014 nach einem Bieterstreit die Übernahme der Nationale Suisse. Dass die Helvetia zwischendurch der Baloise noch das Österreich-Geschäft abkaufte, rundet das Bild ab.

Gemessen am Geschäftsvolumen, überholte die Helvetia die Basler Konkurrentin um das Jahr 2018 herum. Seither hat sie weiter zugelegt – nicht zuletzt 2020 mit der Übernahme von Caser in Spanien.

Beobachter machen für die Stagnation in Basel unter anderem den Verwaltungsrat unter der Führung des Lokalpolitikers Andreas Burckhardt zwischen 2011 und 2021 verantwortlich. Er habe die Baloise «in den Boden gefahren», sagt ein einstiger Baloise-Topmanager. Grosse strategische Entscheide fehlten, im Kleinen verzettelte man sich mit einer Fintech-Strategie bei Start-up- Beteiligungen. Führend war die Baloise während langer Zeit vor allem im Management der Versicherungsrisiken.

Eine «Swiss insurance group» entsteht

Mit der Fusion kommt nun etwas zu einem Ende, was mit der Helvetia-Patria-Fusion seinen Anfang nahm. Schon seit langem sei in Basel über eine «Swiss insurance group» gesprochen worden, erzählt Karl-Otto Grosse-Holz, der einst für Nationale Suisse tätig war. Gemeint war ein Zusammenschluss von Baloise, Nationale Suisse und Helvetia, mit dem die in Basel verwurzelten Versicherer den grossen Konkurrenten Zurich, Mobiliar und Axa hätten entgegentreten können.

Dass es nun zur Grossfusion kommt, hat mehrere Gründe. Letzter Auslöser war wohl Investor Cevian, der vor einem Jahr bei der Baloise einstieg und diese zu Reformen drängte. Die Fusion wurde angekündigt, kurz bevor ein Cevian-Vertreter in den Verwaltungsrat hätte gewählt werden sollen. Doch es wäre kaum zur Fusion gekommen, hätte nicht zuvor eine Wachablösung an der Spitze der beiden Versicherer den Weg für neue Ideen frei gemacht. Beide aktuellen CEOs traten ihr Amt 2023 an, die jeweiligen Präsidenten waren ein, zwei Jahre zuvor neu gewählt worden. Die Tatsache, dass sich zugleich die wirtschaftlichen Verhältnisse – unter anderem die Börsenbewertungen – zwischen der Helvetia und der Baloise verschoben, dürfte die eigentliche Geburtshelferin gewesen sein.

Für die Fusion der beiden Versicherer gibt es ein historisches Vorbild: Vieles erinnert an den Zusammenschluss von Bankverein (SBV) und Bankgesellschaft (SBG) zur heutigen Grossbank UBS im Jahr 1998. Auch damals gab es mit der SBG eine stolze, stets grössere Bank mit Sitz am Bankenplatz Zürich, die Fusionsgespräche lange abblockte, und den kleineren, aber dynamischeren Bankverein aus dem punkto Banking zunehmend peripheren Basel.

Als die SBG sich mit dem Hedgefonds LTCM verspekulierte, sah der Bankverein seine Stunde gekommen: Die UBS konnte entstehen. Die Banker vom bisherigen Juniorpartner unter Marcel Ospels Führung übernahmen die Kontrolle im fusionierten Unternehmen. Ihre Kultur prägte die neue UBS, womit viele nicht zuletzt auch die abenteuerlichen Geschäfte in den USA im Vorfeld der Finanzkrise 2008 erklärten.

Und noch etwas erinnert an die Konstellation bei der Helvetia Baloise. Auch damals versprachen die Manager, den Nebenstandort zu erhalten. Die UBS erhielt sogar den juristischen Doppelsitz Basel-Zürich. Doch die Büros am Bankverein-Konzernsitz verwaisten bald; alle wichtigen Funktionen wanderten nach Zürich ab. Wie ein Mahnmal erinnert das Gebäude am Aeschenplatz an die Grossbankenvergangenheit. Dem St. Galler Helvetia-Hauptsitz droht nun womöglich ein ähnliches Schicksal.

Blick in die Vergangenheit: 1991 befand sich im prägnanten Gebäude mit dem Hammering Man am Basler Aeschenplatz die Konzernzentrale von UBS-Vorgängerin Bankverein. Dahinter das noch mit Patria beschriftete Hochhaus der heutigen Helvetia.
Foto: Keystone

Wie die UBS-Führung damals scheut sich die neue Helvetia Baloise derzeit noch vor harten Aussagen. Klar ist nur: Alles andere als ein Zusammenzug der Konzernführung an den beiden Basler Standorten der Baloise und Helvetia, die keine 500 Meter auseinanderliegen, würde Zweifel an der Ernsthaftigkeit des Sparziels nähren.

Unter Investoren werde genau beobachtet, ob die neue Konzernleitung bei der Umsetzung fahrig werde, sagt Vontobel-Analyst Fössmeier. Schon das Umsetzungsziel bis 2029 sei von vielen erst als zu wenig mutig bezeichnet worden. Am Ende stelle sich nur die Frage: «Fabian Rupprecht, ziehst du das durch oder nicht?» Hier bleibt Fössmeier optimistisch. «Rupprecht ist sicher der richtige Mann dafür.»

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