Michèle Strzelecki hat eigentlich alles richtig gemacht: Mit 25 Jahren hat sie den Master in Maschinenbau der renommierten Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) in der Tasche. Während des Studiums hat sie gearbeitet, sich bei der Frauenförderung der ETH engagiert und Praktika bei einer Bank und einem deutschen Autokonzern absolviert.
Sie dachte voraus und bewarb sich bereits fünf Monate vor Abgabe ihrer Masterarbeit auf Stellen. Und doch steht sie mehr als ein halbes Jahr später noch immer ohne Zusage da.
«Ich habe mich bei ganz unterschiedlichen Firmen im Raum Zürich, Zug und Luzern beworben», erzählt die Zugerin im Gespräch mit der Nachrichtenagentur AWP. Bei den meisten sei sie nicht einmal zum ersten Gespräch eingeladen worden. Also verkaufte sie vorerst Gipfeli.
Absagegrund: zu wenig Arbeitserfahrung
Ähnliches hat auch Roman erlebt, der nicht mit vollem Namen genannt werden will. Der 27-Jährige hat im Herbst 2024 mit der Stellensuche begonnen. Auch er hat während seines Maschinenbaustudiums an der ETH bei einem Industriekonzern Arbeitserfahrung gesammelt – und erhielt auf seine Bewerbungen meist direkt eine Absage. Grund: zu wenig Arbeitserfahrung.
«Ich dachte, wir hätten einen Fachkräftemangel in der Schweiz», sagt der Zürcher. «Im Studium wurde uns dies von Tag eins an eingetrichtert.» Dass sich das geändert hat, merken derzeit auch andere Absolventinnen und Absolventen der MINT-Fächer (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik).
Die Arbeitslosigkeit hat in dem Bereich in den letzten zwei Jahren zugenommen, wie Zahlen des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) zeigen. Konkret liegt diese im Maschinenbau dieses Jahr monatlich im Schnitt um über ein Drittel höher als im Vorjahr.
Erklären lässt sich dies mit der aktuellen Beschäftigungslage. «Der Arbeitsmarkt befindet sich gerade in einer mauen Phase», sagt KOF-Ökonom Michael Siegenthaler auf Anfrage.
Bleiben Trumps Zölle bestehen, drohen Entlassungen
Die von der Konjunkturforschungsstelle berechneten Beschäftigungsaussichten erreichten im Juli den tiefsten Stand seit Anfang 2021. Die danach verkündeten Zollmassnahmen von US-Präsident Donald Trump schmälern die Jobchancen nun noch weiter.
Unter den neuen Zöllen leiden vor allem die Maschinen-, Elektro-, Präzisions- und Uhrenindustrie. Laut Siegenthaler sind schweizweit bis zu 15'000 Stellen gefährdet.
Bleiben die Zölle langfristig bestehen, ist nicht nur mit Einstellungsstopps, sondern auch mit Entlassungen zu rechnen. Im schlimmsten Fall könnten ähnlich viele Stellen kurzfristig von Kurzarbeit betroffen werden.
Eigentlich hatten Schweizer Industrieunternehmen in diesem Jahr auf eine Aufwärtsdynamik gehofft. Denn die Branche leidet bereits länger unter der schwachen globalen Konjunktur sowie dem starken Franken.
«Diese Herausforderungen spiegeln sich auch in den eher verhaltenen Beschäftigungsaussichten der Industrieunternehmen seit Anfang 2024 wider», hält Philipp Kleiser vom Amt für Arbeit des Kantons Zürich fest. Die Lage für Berufseinsteiger sei schwieriger geworden, allerdings suchten junge Erwachsene mit Universitätsabschluss im MINT-Bereich noch immer weniger lange nach einer neuen Stelle als der Durchschnitt.
Tipp für Stellensuchende
Ob sich die Industrie erholt, hängt nun davon ab, wie sich EU-Länder wie Deutschland mit ihren Zollsätzen entwickeln. Denn diese sind für die Schweiz wichtige Handelspartner.
Um gut ausgebildete Fachkräfte macht sich der Branchenverband der Schweizer Tech-Industrie, Swissmem, hingegen keine Sorgen: «Absolventinnen und Absolventen mit einer technischen Ausbildung sind auch in der jetzigen Situation gefragt.» Sie verfügten über Fähigkeiten, die in allen Branchen gebraucht würden.
Auch Michèle und Roman haben nach monatelanger Suche eine Stelle gefunden. Ihr Tipp für andere Suchende: sich breit bewerben und nicht aufgeben.
Ein kleiner Trost sei zudem, zu wissen, dass man nicht alleine ist. Denn wie Michèles Professor ihr sagte: «Es ist gerade der dümmste Moment, um mit seinem Studium fertig zu werden.»