Trotz Klima-Debatte – Öko-Image soll Gäste von weither anlocken
Doppeltes Spiel von Schweiz Tourismus

Schweiz Tourismus hätte gern die europäischen Gäste zurück. Denn die sind nachhaltig. Doch dafür muss das Parlament erst Geld sprechen.
Publiziert: 01.06.2019 um 23:49 Uhr
|
Aktualisiert: 24.01.2024 um 00:07 Uhr
Die Zahl der Hotelgäste aus China ist in den letzten zehn Jahren um astronomische 450 Prozent gewachsen.
Foto: Keystone
1/8
Moritz Kaufmann

Vor zwei Jahren besann sich der Schweizer Fremdenverkehr auf sein wichtigstes Kapital. «Die Natur will dich zurück», lautete der Slogan der Sommerkampagne 2017 von Schweiz Tourismus, der nationalen Marketingorganisation. 2019 erklärten die Touristiker zum Jahr des Wanderns. Ihr Claim auf Englisch: «Nature wants you back.»

Doch Naturverbundenheit wird schnell zur Nebensache, wenn es um die wirklich potenten Märkte geht – die liegen nämlich allesamt weit weg. Nimmt man die Logiernächte in Hotels zum Massstab (siehe Tabelle), sind die Deutschen zwar weiterhin die wichtigsten ausländischen Gäste. Doch die seit fast zehn Jahren anhaltende Euro-Schwäche hat grosse Lücken gerissen. Seit 2008 nahm die Zahl der deutschen Touristen um 
38 Prozent ab!

Externe Inhalte
Möchtest du diesen ergänzenden Inhalt (Tweet, Instagram etc.) sehen? Falls du damit einverstanden bist, dass Cookies gesetzt und dadurch Daten an externe Anbieter übermittelt werden, kannst du alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen lassen.

Unsere Natur als Luxusprodukt

Die leeren Betten füllen nun Touristen von weit her, etwa aus den USA (+48,4 Prozent), den Golfstaaten (+134,5 Prozent), vor allem aber aus China (sensationelle +450,9 Prozent).
Regula Rytz, Nationalrätin und Präsidentin der Grünen, sieht in diesen Zahlen ein Dilemma: «Schweiz Tourismus zielt auf die neue Elite in Asien. Unsere Natur wird dort als Luxusprodukt verkauft. Doch genau diese Naturschönheiten sind wegen der Klima­krise in Gefahr.
Ein ganz konkretes Beispiel: Gletscher, die viele Besucher anlocken, schmelzen schneller als gedacht.

Schweiz Tourismus erhält vom Bund etwas mehr als 50 Millionen Franken Subventionen pro Jahr. Das ist über die Hälfte des Budgets der Marketing­organisation. In eineinhalb Wochen stimmt der Nationalrat über die «Botschaft zur Standortförderung» ab, welche die Periode bis zum Jahr 2023 umfasst. In dem Papier finden sich auch Worte zur Umwelt. Nur ­eines von vielen: «Die Nachhaltigkeit ist als Handlungsprinzip in der Strategie Standortförderung verankert.» Dazu Grünen-Präsidentin Rytz: «Ich habe in der Kommission eine Neuausrichtung in Richtung Klima-Tourismus angeregt, aber nicht den Eindruck, dass das bei Schweiz Tourismus ganz oben auf der Agenda steht.»

Drohender Wegfall des Wintertourismus

Und was sagt das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) zu diesem heiklen Thema? «In der Tourismusstrategie ist der Klimawandel eine der fünf zentralen Herausforderungen für den Schweizer Tourismus.» Offensichtlich sei der «drohende Attraktivitätsverlust» des Schweizer Wintertourismus wegen Zeiten, 
in denen zu wenig Schnee fällt.

Allerdings denkt man in der Branche – ganz schweizerisch pragmatisch – auch schon weiter. Zum Beispiel, indem man auf die Chancen des Sommertourismus hinweist. So argumentiert nicht nur das Seco, sondern auch Jürg Schmid, Präsident von Graubünden Tourismus: «Unser Tourismus hat im Sommer angefangen und findet wieder dorthin zurück. Einige Mittelmeerdestinationen werden im Sommer unerträglich heiss.»

Das eigentliche Problem ist damit nicht gelöst: dass der hiesige Fremdenverkehr auf Gäste angewiesen ist, die langfristig seine Grundlage untergraben. Schweiz-Tourismus- Sprecher André Aschwanden räumt ein: «Die Übersee-Märkte sind in der Tat seit einigen Jahren sehr wichtig.» Doch: «Es gilt zu beachten, dass Übersee-Gäste zwar mit Langstreckenflügen in die Schweiz fliegen, sich dann aber grossmehrheitlich im öffentlichen Verkehr bewegen.»

«Wir wollen die Europäer zurück»

Ganz wohl ist den Touristikern trotzdem nicht. Schweiz-Tourismus-Direktor Martin Nydegger vor kurzem in der «Handelszeitung»: «Wir wollen die Europäer zurück. Sie sind wertvoll, weil sie in weniger bekannte Gebiete reisen, spontaner buchen und länger bleiben.» Man werde 2020 ein neues Programm unter dem Namen «Win Back Europe» lancieren, um in Deutschland, den Benelux-Ländern, Frankreich und Grossbritannien um Besucher zu werben. Kosten soll es 5,5 Millionen Franken.

Das ist kluges Timing: In der Sommersession wird das Parlament wieder Geld sprechen. Vorgesehen ist sogar eine Erhöhung des Budgets. «Bei einer Kürzung wäre ein Programm wie ‹Win Back Europe› akut ­gefährdet», warnt Nydegger. Mit anderen Worten: Klimafreundliche Touristen, die mit dem Zug anreisen, kann man sich nur leisten, wenn man mindestens gleich viel Geld bekommt wie bisher.

Fröhlich wandern werden also nicht nur die Naturlieb­haber, sondern auch die Mil­lionen-Subventionen.

«Schweizer sind 
unsere Lieblingsgäste»

Herr Schmid, der Tourismus als Treiber des Klimawandels. Einverstanden?
Jürg Schmid: Der Tourismus hat einen wesentlichen Anteil am 
Klimawandel. Hans Magnus Enzensberger hat es treffend gesagt: «Der Tourist zerstört, was er sucht, indem er es findet.» Aber: Tourismus ist ein Abbild der 
Gesellschaft. Wenn der Tourismus dem Klima schadet, dann sind es wir alle.

Die Natur vermarkten und um Gäste aus Übersee buhlen: Ein Widerspruch?
Wir haben eines der höchsten Flugaufkommen pro Person weltweit. Es steht uns nicht zu, die Touristen aus fernen Ländern zu verurteilen, weil sie es sich jetzt auch leisten können, die Welt zu entdecken – was wir seit Jahrzehnten schon tun.

Kürzlich sorgten 12 000 Chinesen für Aufsehen ...
Eine hohe Konzentration von Gruppentourismus führt immer zu Unverträglichkeiten und ist für die kleinräumige Schweiz nicht der Zukunftsweg. Wir in Graubünden sind eine Destination für Schweizer und Deutsche. Aber die Hotelauslastung ist zu tief. Wir brauchen mehr Gäste – 
aus nah oder fern. Wir setzen aber auf Individualreisende.

Müssten Sie nicht mehr auf lokale Gäste setzen?
Wir wären glücklich, wenn wir unsere Hotelbetten mit Schweizern füllen könnten. Schweizer sind unsere 
Lieblingsgäste. Sie sind loyal. Sie bleiben länger und wollen das Lokale entdecken.

Jürg Schmid ist Präsident 
von Graubünden Tourismus

Herr Schmid, der Tourismus als Treiber des Klimawandels. Einverstanden?
Jürg Schmid: Der Tourismus hat einen wesentlichen Anteil am 
Klimawandel. Hans Magnus Enzensberger hat es treffend gesagt: «Der Tourist zerstört, was er sucht, indem er es findet.» Aber: Tourismus ist ein Abbild der 
Gesellschaft. Wenn der Tourismus dem Klima schadet, dann sind es wir alle.

Die Natur vermarkten und um Gäste aus Übersee buhlen: Ein Widerspruch?
Wir haben eines der höchsten Flugaufkommen pro Person weltweit. Es steht uns nicht zu, die Touristen aus fernen Ländern zu verurteilen, weil sie es sich jetzt auch leisten können, die Welt zu entdecken – was wir seit Jahrzehnten schon tun.

Kürzlich sorgten 12 000 Chinesen für Aufsehen ...
Eine hohe Konzentration von Gruppentourismus führt immer zu Unverträglichkeiten und ist für die kleinräumige Schweiz nicht der Zukunftsweg. Wir in Graubünden sind eine Destination für Schweizer und Deutsche. Aber die Hotelauslastung ist zu tief. Wir brauchen mehr Gäste – 
aus nah oder fern. Wir setzen aber auf Individualreisende.

Müssten Sie nicht mehr auf lokale Gäste setzen?
Wir wären glücklich, wenn wir unsere Hotelbetten mit Schweizern füllen könnten. Schweizer sind unsere 
Lieblingsgäste. Sie sind loyal. Sie bleiben länger und wollen das Lokale entdecken.

Jürg Schmid ist Präsident 
von Graubünden Tourismus

Mehr
Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?
Externe Inhalte
Möchtest du diesen ergänzenden Inhalt (Tweet, Instagram etc.) sehen? Falls du damit einverstanden bist, dass Cookies gesetzt und dadurch Daten an externe Anbieter übermittelt werden, kannst du alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen lassen.