Eigentlich hätten die 12'000 Mitarbeiter Schweizer Tankstellenshops Anfang 2017 einen Gesamtarbeitsvertrag (GAV) erhalten sollen. Es wäre der erste nationale und firmenübergreifende im Detailhandel.
Doch daraus wurde nichts. Gestern gaben nun die Gewerkschaften Unia und Syna sowie der Kaufmännische Verband eine Verzögerung bekannt. Der GAV werde «voraussichtlich im Frühjahr 2017 in Kraft treten». Nur: Auch dieser Termin droht zu scheitern, wie Recherchen von BLICK zeigen.
Das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) prüft insgesamt sechs Einsprachen gegen den GAV. Am stärksten wehrt sich der Tessiner Tankstellenverband (ATSS). «Unsere Region wird in dem GAV nicht ausreichend berücksichtigt», sagt Präsident Matteo Centonze (38) zu BLICK. Als Chef der Emanuele Centonze SA betreibt er im Tessin selber 16 Tankstellen mit Shop. «Der Vorschlag für den GAV ist realitätsfremd.» Und mehr noch: Er sei gesetzlich ungültig.
Centonze wirft dem nationalen Tankstellenverband (VTSS) vor, bei der Einreichung des GAV-Gesuchs falsche Zahlen verwendet zu haben. Da der GAV firmenübergreifend gelten soll, müssen mindestens 50 Prozent der Arbeitgeber zustimmen.
Hickhack um Zahlen
Der VTSS vertrete aber weniger als die Hälfte, sagt Centonze. Der VTSS gehe von 1299 Tankstellen mit Shops aus, Centonze selbst von 1478. «Der VTSS hat in seinen Berechnungen die freien Tankstellen mit Shop nicht mit einbezogen. Zudem sind mindestens 131 Tankstellen beim Verband ausgestiegen.» Somit vertrete dieser nur noch 615 Tankstellen – und erreiche statt den geforderten 50 nur noch knapp 42 Prozent.
Jetzt gibt es Krach: VTSS-Geschäftsführer Ueli Bamert (37) hält dagegen: «Die von Herrn Centonze genannten Zahlen sind willkürlich und nicht nachvollziehbar.»
Für ihn ist der GAV wichtig, um das Image der Tankstellenshops zu verbessern. Der GAV sieht einen Mindestlohn von 3700 Franken vor – und für Grenzkantone wie das Tessin 3600 Franken.
Dass deshalb aus dem Südkanton Opposition kommt, überrascht Bamert nicht: «Grosse Firmen wie die Emanuele Centonze SA leben seit Jahrzehnten davon, Grenzgänger aus Norditalien zu Tiefstlöhnen um 3000 Franken pro Monat zu beschäftigen.»
Das streitet Centonze nicht ab. «Zum wirtschaftlichen Erfolg des Tessins gehören Grenzgänger dazu», sagt er. Für das Tessin seien jedoch 3600 Franken zu hoch. Leben könne er mit einem Mindestlohn von 3200 Franken. Dann wäre auch er für den GAV. Ob dieser doch noch zustande kommt, muss nun das Seco entscheiden.