Swissmem-Direktor ist gegen Staatshilfe für eigene Mitglieder
«Stahlindustrie ist nicht systemrelevant»

Stefan Brupbacher spricht sich dagegen aus, dass Stahl Gerlafingen, Swiss Steel und Novelis staatlich subventioniert werden sollen – obwohl die Stahl- und Aluminiumproduzenten seinen Verband mitfinanzieren.
Publiziert: 24.11.2024 um 00:27 Uhr
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Aktualisiert: 24.11.2024 um 07:30 Uhr
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Auf einen Blick

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Thomas SchlittlerWirtschaftsredaktor

Blick: Herr Brupbacher, die Exporte der Schweizer Tech-Industrie sind in den ersten neun Monaten um 3,6 Prozent zurückgegangen. Wie beurteilen Sie die Situation?
Stefan Brupbacher: Die Lage ist sehr angespannt. Der Optimismus der vergangenen Monate ist verflogen, der Auftragsbestand hat nochmals abgenommen. Insbesondere Deutschland, wichtigster Absatzmarkt für unsere Industrie, steckt in einer tiefen Krise. Das hat negative Auswirkungen auf ganz Europa.

Die Tech-Industrie beschäftigt 330'000 Leute. Wie viele Jobs sind gefährdet?
Das lässt sich nicht abschätzen. Wir verzeichnen aber eine starke Zunahme von Kurzarbeitsanträgen. Es wird auch zu Entlassungen kommen. Ein Kahlschlag ist jedoch nicht zu erwarten. Wir dürfen nicht vergessen: In den vergangenen Jahren herrschte Fachkräftemangel. Jetzt ist die Schweizer Industrie mit konjunkturellen Schwierigkeiten konfrontiert, hat aber kein strukturelles Problem.

Gilt das auch für die Stahlindustrie?
Die Stahlindustrie ist in einer aussergewöhnlichen Situation und hat vier grosse Baustellen: Trump hat in seiner ersten Amtszeit als US-Präsident einen Handelskrieg angezettelt, auf den die EU mit Schutzzöllen gegen Drittstaaten reagierte. Davon sind bis heute auch die Schweizer Stahlproduzenten betroffen. Der Ukraine-Krieg wiederum hat europaweit zu höheren Strompreisen geführt, was viele Länder dazu veranlasst hat, ihre energieintensive Stahlindustrie zu subventionieren. Hinzu kommt eine globale Überproduktion von Stahl – und der starke Franken, der alle Exportbranchen beschäftigt.

Im Parlament bahnt sich eine Mehrheit an, um Stahlwerke wie Swiss Steel und Stahl Gerlafingen staatlich zu unterstützen. Wie stehen Sie dazu?
Es ist unbestritten, dass die Stahlindustrie mit Wettbewerbsnachteilen zu kämpfen hat. Die weltweite Überproduktion ist jedoch ein strukturelles Problem. Unabhängig von dieser Diskussion ist Swissmem strikt gegen die staatliche Unterstützung einzelner Branchen, und schon gar nicht einzelner Firmen. Die Vergangenheit zeigt, dass Subventionen teuer sind und auf Dauer nicht funktionieren. Strukturwandel lässt sich nicht aufhalten. Industriepolitik ist deshalb «Hudipfupf».

Viele Länder sehen das anders.
Wenn die Chinesen und Europäer ihre Exportindustrie subventionieren, profitieren am Ende auch die Konsumenten in der Schweiz. Sie kommen in den Genuss künstlich verbilligter Produkte – offeriert von den Steuerzahlern in den Herkunftsländern. Die Schweiz sollte sich an diesem Unsinn nicht beteiligen. Wir sind eines der ganz wenigen Länder, deren Bruttoinlandprodukt in den vergangenen Jahren gewachsen ist, ohne neue Schulden zu machen. Corona mal ausgenommen. Das zahlt sich auf lange Sicht aus.

Die Politik will, dass drei grosse Stahl- und Aluminiumproduzenten weniger Gebühren zahlen müssen für die Nutzung des Stromnetzes. Was gibt es daran auszusetzen?
Diese Subvention einzelner Firmen müsste von allen anderen Unternehmen und den Konsumenten bezahlt werden. Das ist nicht fair und wird auch von vielen unserer Mitglieder kritisch beurteilt. Sie haben ja ebenfalls harten Gegenwind. Swissmem setzt sich deshalb für Massnahmen ein, von denen nicht nur einzelne Betriebe profitieren. Extrem wichtig ist die Kurzarbeit, die sich seit Jahren bewährt hat. Zudem sollen grosse Stromverbraucher wie Stahlfirmen, wie von der nationalrätlichen Energiekommission vorgeschlagen, auf den Stromaufschlag für die Winterreserve verzichten können. Im Gegenzug müssen sie sich dazu verpflichten, ihre Produktion herunterzufahren oder ganz einzustellen, falls es zu einer Strommangellage kommen sollte.

Und was, wenn eine Firma genau während einer solchen Mangellage sehr viele Aufträge hat?
Dieses Risiko müsste jedes Unternehmen für sich selbst abwägen. Gratisgeld gibt es nicht.

«Strukturwandel zulassen» klingt nachvollziehbar. Aber was sagen Sie dem Stahlarbeiter mit drei Kindern, der um seinen Job zittert?
Klar: Jeder Jobverlust ist für die Betroffenen sehr hart. Aber ich bin überzeugt: Diese Fachkräfte haben gute Chancen, rasch in anderen Industriefirmen wieder eine Arbeit zu finden. Zudem würde ich die Frage stellen: Wieso rettet der Staat in der einen Firma Arbeitsplätze, während man die 150 Mitarbeiter des E-Bike-Pioniers Flyer entlässt?

Manche Politiker würden sagen: Weil die Stahlindustrie systemrelevant ist.
Die Schweizer Stahlindustrie macht einen sehr wichtigen Job, gerade betreffend Recycling von Metallschrott. Systemrelevant ist die Branche aber nicht. Es gibt mehr als genug Möglichkeiten, im Ausland an Stahl zu kommen.

In einer Krise sieht das unter Umständen anders aus. Die Pandemie hat uns gelehrt, dass jedes Land für sich schaut, wenn es hart auf hart kommt.
Die Covid-Krise hat in erster Linie gezeigt, dass wir möglichst viele Firmen haben müssen, die unverzichtbare Güter herstellen. Damals waren es unsere Beatmungsgeräte, die geholfen haben, dass die Schweiz zwei Monate nach Ausbruch der Krankheit wieder alle Güter bekam. Generell stellen viele unserer Hidden Champions Maschinen und Komponenten her, auf die das Ausland zwingend angewiesen ist, etwa in der Raum- und Luftfahrt, der Nahrungsmittel- und Energieindustrie oder zur Herstellung von Chips. Solange diese Firmen dank guter Rahmenbedingungen wie super Mitarbeitender, tiefer Steuern und zollfreier Exportmöglichkeiten in der Schweiz bleiben, sind wir unverzichtbar für die Welt. Dieses Erfolgsrezept schützt unsere Arbeitsplätze besser als Industriepolitik.

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