Darum gehts
In Patchworkfamilien sind die Verwandtschaftsverhältnisse kompliziert. Darum ist eine sorgfältige Planung des Nachlasses äusserst wichtig. In vielen dieser zusammengewürfelten Familien ist der Wunsch da, die Kinder gleichzubehandeln – egal, aus welcher Beziehung sie stammen. Das möchte auch die Familie von Claudia Frei. Die richtigen Namen lauten anders, denn Claudia möchte ihre Familiengeschichte lieber für sich behalten.
Claudias Eltern waren unverheiratet, als sie zur Welt kam, und sie trennten sich nur wenige Monate nach ihrer Geburt. Seit ihrem dritten Lebensjahr wuchs Claudia in Basel mit ihrem Stiefvater auf, dem damaligen Partner und späteren Ehemann ihrer Mutter. Claudia hielt jedoch stets einen losen Kontakt zu ihrem leiblichen Vater, der in Deutschland lebt.
Als Claudia fünf war, kam ihr Halbbruder Michael zur Welt. Ihr Stiefvater und ihre Mutter hatten kurz zuvor geheiratet. «Mein Stiefvater machte nie einen Unterschied zwischen mir und seinem leiblichen Sohn», sagt die heute 30-Jährige. «Es ist daher für ihn auch absolut klar, dass ich nach seinem Tod genau gleich viel wie Michael erben soll.» Das zu bewerkstelligen, ist jedoch alles andere als einfach.
Ein Testament ist wichtig
Zuerst zum Erbrecht: Hier ist es möglich, das Erbe wie gewünscht zu verteilen. Wenn Claudias Stiefvater stirbt, erbt sie zwar gemäss Gesetz nichts, da er rechtlich nicht ihr Vater ist. Ihr Stiefvater kann jedoch ein Testament schreiben und darin ihren Halbbruder auf den Pflichtteil setzen. So kann er Claudia die dadurch frei gewordene Quote zuwenden. Aber erhalten so beide Kinder wirklich gleich viel?
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Auf den ersten Blick schon: Angenommen, Claudias Stiefvater stirbt vor seiner Ehefrau. Ohne Testament erben die Ehefrau und Claudias Halbbruder je die Hälfte. Wenn der Stiefvater nun testamentarisch seinen Sohn auf den Pflichtteil setzt, erbt dieser nur ein Viertel. Den frei gewordenen Viertel kann er seiner Stieftochter zuwenden, womit beide Kinder je ein Viertel erhalten.
Falls Claudias Stiefvater nach seiner Ehefrau stirbt, würde der Sohn ohne Testament alles erben. Der Stiefvater kann seinen Sohn auf den Pflichtteil setzen, dann erbt dieser nur die Hälfte des Nachlasses. Die andere Hälfte kann er Claudia vererben. So bekommt sie ebenfalls gleich viel wie ihr Stiefbruder.
Der Haken: Erbschaftssteuer
Der Haken an der Sache: Claudia muss auf ihren Anteil Erbschaftssteuern bezahlen, Michael hingegen nicht. In den meisten Kantonen zahlen direkte Nachkommen keine Erbschaftssteuern. In einigen wenigen besteht jedoch bis heute eine Erbschaftssteuerpflicht für Stiefkinder. Im Kanton Basel-Stadt etwa, wo Claudias Stiefvater lebt, müsste sie eine Erbschaftssteuer von 6 Prozent zahlen, plus einen (progressiv steigenden) Zuschlag auf den Steuerbetrag je nach Höhe des Erbes.
Ein Rechenbeispiel: Angenommen, Claudias Erbe wäre – nach Abzug des Freibetrags von 2000 Franken – 250’000 Franken. 6 Prozent Steuern sind also 15’000 Franken. Darauf kommt ein Zuschlag von 75 Prozent dieser Summe, macht weitere 11’250 Franken. Claudia müsste also total 26’250 Franken Erbschaftssteuern bezahlen.
Lösung 1: Steuervermächtnis
«Wenn Stiefgeschwister finanziell gleichgestellt werden sollen, muss die allfällige Steuerbelastung bei der Nachlassregelung einbezogen werden», sagt Daniel Abt, Fachanwalt für Erbrecht aus Basel. Das ist möglich mit einem sogenannten Steuervermächtnis.
Dabei ordnet der Erblasser in seinem Testament an, dass die allenfalls zu bezahlenden Erbschaftssteuern zulasten des Nachlasses gehen. Claudias Stiefvater könnte in seinem Testament also anordnen, dass die Steuern auf ihren Erbanteil vor der Teilung direkt aus dem Nachlass bezahlt werden müssen. Damit erreicht er, dass Claudia und ihr Stiefbruder im Endergebnis genau gleich viel erben.
Und was ist mit Michael? Er zahlt bei dieser Variante die Erbschaftssteuern seiner Stiefschwester mit und erbt damit letztlich etwas weniger. Das muss er sich jedoch gefallen lassen und kann sich gegen die Anordnung seines Vaters nicht wehren. Es sei denn, sein Pflichtteil würde dadurch verletzt. Das ist allein aufgrund eines Steuervermächtnisses jedoch kaum vorstellbar.
Dennoch kann es sein, dass solche Regelungen von Familienmitgliedern als unfair empfunden werden, weiss Fachanwalt Abt aus Erfahrung. Weil Claudia – im Gegensatz zu ihrem Halbbruder – ja allenfalls von ihrem leiblichen Vater nochmals etwas erbt.
Lösung 2: Adoption
«Eine andere Möglichkeit zur erbrechtlichen Gleichstellung von Stiefgeschwistern bietet die Adoption», sagt Abt. Wenn ein Stiefkind adoptiert wird, ist es rechtlich einem leiblichen Kind gleichgestellt, insbesondere beim Erben. Allerdings würde Claudia dann nicht mehr automatisch erben, wenn ihr leiblicher Vater stirbt.
Die Voraussetzungen für eine Adoption sind in den letzten Jahren deutlich gesenkt worden. So genügt es bei einem erwachsenen Stiefkind etwa, dass die adoptierende Person seit drei Jahren mit dessen Vater oder Mutter verheiratet ist und dem Adoptivkind während seiner Minderjährigkeit mindestens ein Jahr «Pflege und Erziehung erwiesen» hat, wie es im juristischen Jargon heisst.
Auch in Claudias Familie war eine Adoption durch ihren Stiefvater in den vergangenen Jahren mehrmals Thema. «Mein Stiefvater wollte es, ich jedoch nicht», sagt sie. Sie stecke hier in einem grossen Dilemma.
Denn nach einer Adoption durch ihren Stiefvater wäre ihr leiblicher Vater, mit dem sie sich durchaus verbunden fühlt, rechtlich nicht mehr ihr Vater. «Solche emotionalen Komponenten darf man nicht unterschätzen – sie spielen bei der Nachlassplanung auch hinein», sagt auch Daniel Abt.
Lösung 3: Pflegekind
In Claudias Fall findet sich im Steuerrecht von Basel-Stadt schliesslich unverhofft eine Lösung, wie sich die Absicht ihres Stiefvaters verwirklichen lässt. Demnach müssen zwar Stiefkinder, nicht aber Pflegekinder Erbschaftssteuern zahlen, wenn sie gewisse Voraussetzungen erfüllen. Und Claudia erfüllt diese ohne weiteres, weil sie seit ihrem dritten Lebensjahr im Haushalt ihrer Mutter und ihres Stiefvaters aufwuchs. Somit wird sie im Nachlass ihres Stiefvaters als Pflegekind steuerfrei sein.
Das Beispiel zeigt eines klar: Nachlassregelungen in Patchworkfamilien sind sehr individuell und meist auch kompliziert. Vieles spielt hinein – nicht nur Rechtliches. Und: Die familiären Verhältnisse und massgebenden Gesetze können jederzeit ändern. Auf jeden Fall ist es deshalb ratsam, sich rechtzeitig Gedanken über seinen Nachlass zu machen, sich gut zu informieren und allenfalls von einer spezialisierten Person beraten zu lassen.