Streaming stellt alles auf den Kopf
Wer heute mit Musik noch so richtig Kohle macht

Streaming macht den Löwenanteil des Konsums aus. Das grosse Geld fliesst aber an einem anderen Ort. Alles zum lukrativen Musikgeschäft in fünf Punkten.
Kommentieren
Album publizieren und auf Tour gehen war gestern. Musikerin sein heisst heute auch, Social Media bedienen und Relevanz im Streaming haben.
Foto: Keystone

Darum gehts

Die Zusammenfassung von Blick+-Artikeln ist unseren Nutzern mit Abo vorbehalten. Melde dich bitte an, falls du ein Abo hast.
RMS_Portrait_AUTOR_484.JPG
Olivia Ruffiner
Handelszeitung

Die Musikindustrie hat sich in den vergangenen zwanzig Jahren grundlegend verändert. Während früher Tonträger verkauft wurden, dominiert heute das Streaming. Für Konsumentinnen und Konsumenten ist Musik allgegenwärtig und auf Knopfdruck verfügbar, für Musikerinnen und Musiker ist sie zu einem komplexen Geschäftsmodell geworden. Aufmerksamkeit wird in Klicks und Sekunden gemessen, Einnahmen entstehen verteilt über viele Kanäle – oft in kleinen Beträgen. Wer heute von Musik leben will, muss verstehen, wie das Geld in der Wertschöpfungskette fliesst.

1. Warum ist der Song die wirtschaftliche Grundeinheit?

Streaming killed the album star. So oder ähnlich würden die Buggles wohl das heutige Musikgeschäft beschreiben. Ruhm und Ehre holt man sich nicht mehr mit Albumverkäufen, sondern mit Streams und viralen Tiktok-Hits. Auf der grössten Musikstreamingplattform Spotify zählt ein Stream ab dreissig Sekunden Wiedergabedauer. Wer nicht in den offiziellen Playlists der Anbieter verlinkt ist, wird kaum gespielt. Künstlerinnen und Künstler veröffentlichen daher bestenfalls fünf bis sechs Lieder über das Jahr verteilt.

Artikel aus der «Handelszeitung»

Dieser Artikel wurde erstmals im Angebot von handelszeitung.ch veröffentlicht. Weitere spannende Artikel findest du unter www.handelszeitung.ch.

Dieser Artikel wurde erstmals im Angebot von handelszeitung.ch veröffentlicht. Weitere spannende Artikel findest du unter www.handelszeitung.ch.

Im Hip-Hop ist die Halbwertszeit kürzer: Hier empfiehlt es sich, alle vier bis fünf Wochen mit neuer Musik zu erscheinen. Aufwand und Ertrag einer Albumproduktion lohnen sich im Zeitalter des Streamings weniger. Meist werden die über das Jahr veröffentlichten Lieder gemeinsam mit ein paar neuen Songs zusammengefasst in einem Album veröffentlicht. An diesen Songs verdienen in der Regel mehrere Beteiligte.

2. Wer ist am Geldfluss des Streams beteiligt?

Ein Hit entsteht selten im stillen Kämmerchen. Eine der meistgestreamten Schweizer Musikerinnen derzeit ist Ilira – sie hat monatlich 1,5 Millionen Hörerinnen und Hörer und bis zu 131 Millionen Streams auf Spotify. Die Faustregel lautet: Eine Million Streams sind zwischen 2500 und 4000 Franken wert. Aber aufgepasst: In den Credits des Songs sieht man, dass an der Produktion mehrere Parteien beteiligt sind. Die Rechnung geht so: Ein Stream generiert im Schnitt 0,3 bis 0,5 Rappen, je nach Plattform.

Mit Streams allein lässt es sich kaum leben.
Foto: PD

Spotify zahlt nicht pro Stream, sondern verteilt monatlich die Einnahmen. Rund 30 Prozent behält die Plattform für sich, die anderen 70 Prozent gehen an die Rechteinhaber. Hat ein Künstler ein Label, behält es 50 Prozent der Einnahmen. Die restlichen 35 Prozent teilen sich die Künstlerin und das Management. Sind es wie bei Ilira mehrere Dutzend Beteiligte, bekommt die Künstlerin weniger als einen Zehntel von diesem Anteil.

3. Was kostet die Produktion eines Songs?

Bevor ein Song gestreamt wird, muss er geschrieben, aufgenommen und produziert werden. Viele kleinere Künstler machen das vorerst selbst und mit eigenen Ressourcen. Ab einer gewissen Grösse suchen sich Künstlerinnen ein Management. Dieses erhält branchenüblich 20 Prozent aller künftigen Einnahmen, wobei hier immer wieder haarsträubende Verträge Schlagzeilen machen.

In der Aufbauphase wetten Management und Label darauf, dass die Künstlerin erfolgreich sein wird. Ein Label schliesst beispielsweise einen Vertrag über ein Jahr mit drei bis vier Singles für 20'000 Franken ab. Dieser Betrag fliesst in die Produktion und muss mit den Erlösen wieder zurückgezahlt werden. Selbst wenn ein Künstler einen Song selbst schreibt und komponiert, entstehen Produktionskosten: Studio, Aufnahme, Mixing und Mastering müssen bezahlt werden. In der Schweiz liegt das Honorar für Produzentinnen – je nach Bekanntheit und Erfahrung – zwischen 2500 und 4000 Franken pro Song.

4. Welche Rolle spielen Rechte und Verträge?

Entscheidend für das Einkommen sind die vertraglichen Strukturen. Wie das Geld fliesst, wird dadurch bestimmt, wer welche Rechte hält und welche Verträge abgeschlossen wurden – das läuft für die Künstlerin und den Künstler meist über das Management.

Die Songs haben ebenfalls ein eigenes Management, das sind die Verlage. Diese führen Kataloge und kümmern sich um die Urheberrechte und die Lizenzierung von Songs. Es ist die Aufgabe der Verlage, die Songs in Filmen, Serien, Werbung oder Games zu platzieren. Üblich ist eine hälftige Aufteilung der Lizenzeinnahmen.

In der Schweiz werden die Urheberrechte für audio- und audiovisuelle Nutzungen von der Schweizer Genossenschaft der Urheber und Verleger von Musik (Suisa) verwaltet. Radiostationen etwa melden die Sendungsdaten an die Suisa, welche die Vergütung einsammelt und periodisch an Komponisten ausschüttet.

5. Wo fliesst das meiste Geld?

Die grösste Einnahmequelle für Musikschaffende ist nicht der Stream – es ist der Liveauftritt. Die Gage für Konzerte und Tourneen macht den Löwenanteil der Bezahlung aus. Sonart, der Berufsverband für Musikschaffende, gab im Mai neue Honorarempfehlungen heraus. Sie beinhalten 600 Franken Mindestgage pro Person und Konzert. Aber was heisst das? An grösseren Produktionen sind mehrere Dutzend Menschen beteiligt. Diese arbeiten für Technik, Bühnenbild oder in der Koordination. Hinzu kommen Choreografie, Proben und der Liveauftritt selbst.

Konzerte und Festivals, wie das Openair Frauenfeld, erleben weiterhin eine hohe Nachfrage.
Foto: Keystone

Eine weitere Einnahmequelle an Konzerten ist der Produktmarkt rundherum. Veranstalter bieten Sondertickets wie Early Access und Meet-and-Greets an. Und die Band verkauft Fanartikel wie T-Shirts, Pins und Sticker. Auch Vinylplatten und CDs gehören heute als Premiumprodukte zum Merchandising. Eine Studie des Marktforschungsunternehmens Luminate zeigte, dass etwa die Hälfte der Vinylkäuferinnen und -käufer keinen Plattenspieler besitzt. Tonträger kauft man in erster Linie, um die Künstlerin und den Künstler zu unterstützen – und nicht zum Hören.

Fazit

Streaming ist zwar die Währung für die Konsumentinnen und Konsumenten, aber für die Kunstschaffenden ist es mehr Werbung. Wird man von Spotify in eine Playlist aufgenommen, kann das mehrere Tausend Streams generieren. Streaming schafft Sichtbarkeit, rechtfertigt höhere Gagen und steigert die Nachfrage nach Konzerten. Wirtschaftlich relevant werden die Einnahmen aber erst bei sehr grossen Reichweiten wie etwa bei Taylor Swift und Ed Sheeran.

Kleinere Musikerinnen und Musiker halten sich deshalb immer öfter mit Markenkooperationen und Inhalten in den sozialen Medien über Wasser. So hat beispielsweise der Volksmusiker Marc Trauffer eine Kooperation mit dem Automobilunternehmen Amag. Die Sängerin Stefanie Heinzmann stand bereits für Kampagnen mit Volvo Schweiz vor der Kamera und ist Markenbotschafterin der Schweizer Hi-Fi-Marke Revox. In der Regel basieren solche Kooperationen auf Gegengeschäften – für das grosse Geld braucht es auch hier eine gewisse Grösse.

Was sagst du dazu?
Liebe Leserin, Lieber Leser
Der Kommentarbereich von Blick+-Artikeln ist unseren Nutzern mit Abo vorbehalten. Melde dich bitte an, falls du ein Abo hast. Noch kein Blick+-Abo? Finde unsere Angebote hier:
Hast du bereits ein Abo?
Heiss diskutiert
    Meistgelesen