Star-Konditor erzählt über seinen Konkurs
«Ich habe alles verloren, angefangen mit meiner Familie»

Philippe Guignard, renommierter Konditormeister, musste sein Geschäft aufgeben. Thomas Estier, ehemaliger Geschäftsführer des Start-up-Unternehmens Rovenso, ging ebenfalls in den Konkurs. Sie berichten über ihre Erfahrungen.
Publiziert: 11.03.2023 um 15:58 Uhr
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Aktualisiert: 11.03.2023 um 16:08 Uhr
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Das Schicksal eines Unternehmers kann sich von einem Tag auf den anderen ändern. Die Pandemie und das Wirtschaftsklima haben den kleinen Unternehmen in den letzten Jahren das Leben schwer gemacht.
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Julien Crevoisier

«Der Erfolg eines Unternehmers hängt von seiner Fähigkeit ab, nach einem schweren Schicksalsschlag wieder auf die Beine zu kommen.» Thomas Estier, Mitbegründer des auf Robotik spezialisierten Start-ups Rovenso, das im Herbst 2022 Konkurs anmeldete, legt eine selbstsichere Gelassenheit an den Tag. Selbst in seinen schwierigsten Momenten als Unternehmer.

Der Ingenieur bedauert natürlich das Ende des Abenteuers, versucht aber, konstruktive Lehren daraus zu ziehen, wie er Blick sagt.

3,4 Millionen Franken an Investitionen sind futsch. Persönlich muss Thomas Estier wahrscheinlich «zwischen 100'000 und 200'000 Franken abschreiben, wenn man das Startkapital mit einrechnet». Das bleibt vom Konkurs von Rovenso übrig.

«Ohne Risiko gibt es keine Innovation»

Dabei sah die Zukunft seines Unternehmens vielversprechend aus. Das Spin-off der EPFL hatte autonome Roboter entwickelt, die unter anderem Sicherheitspatrouillen an sensiblen Orten wie Flughäfen und Industrieanlagen durchführen können.

Das Start-up-Unternehmen rührte in China die Werbetrommel und konnte sich bei einem amerikanischen Investor Kapital besorgen. Nachdem es sich im Kanton Freiburg niedergelassen hatte, konnten Verträge unter anderem mit dem französischen Stromnetzbetreiber RTE und dem deutschen Kupferriesen Aurubis unter Dach und Fach gebracht werden.

Doch eine Reihe von Rückschlägen brachte seine Pläne durcheinander: die Covid-19-Pandemie, ein Mangel an Mikrochips und Leitern, aber auch steigende Zinssätze, die die Anleger abschreckten. Dieser Cocktail war für das Schweizer Start-up-Unternehmen fatal. «Natürlich hätten wir die Welle von Komplikationen, die sich vor uns auftürmten, besser antizipieren können», räumt Thomas Estier ein. «Aber ein Unternehmer ist es gewohnt, dass er nicht ständig die Mittel für seine Vorhaben hat. Ohne Risikobereitschaft gibt es keine Innovation. Heute ziehe ich es vor, meine Gedanken auf all das zu lenken, was wir als Unternehmen erreicht haben.»

Star-Konditor über den Konkurs

Auch Philippe Guignard muss unten durch. Nach einer jahrelangen Leidensphase beginnt der berühmte Konditor Philippe Guignard, sich wieder nach oben zu arbeiten. «In den 20 Jahren meines Berufslebens habe ich einen Erfolg nach dem anderen erzielt und nie einen Wettbewerb verpasst.»

Der Waadtländer macht keinen Hehl daraus, dass ihn seine Leidenschaft für die Patisserie viel weiter gebracht hat, als er es sich hätte vorstellen können. In den 1990er Jahren hatte er ein kleines Imperium mit Filialen in Orbe, Yverdon, Neuenburg, Lausanne, Montreux und im Vallée de Joux aufgebaut und wurde zumindest nach aussen hin ein sehr berühmter und erfolgreicher Mann.

Hinter den Kulissen häuften sich allerdings die Probleme: Managementfehler, zu viel Ehrgeiz, und er hatte nicht immer sein Ego unter Kontrolle. Die Gründe sind vielfältig und komplex, aber für Philippe Guignard steht fest, dass sie das Ergebnis eines nicht diagnostizierten Burnouts waren. «Wenn man ein Unternehmen leitet, muss man im Vollbesitz seiner Fähigkeiten sein. Wenn man sie verliert, bricht alles zusammen», seufzt er. «Das kann jedem passieren.»

Für den Star der Westschweizer Patisserie war es ein langer Fall und eine schmerzhafte Landung: 2014 ging sein Unternehmen in Konkurs, die Verluste beliefen sich auf über 10 Millionen Franken. Im Jahr 2018 wurde seine Villa im Waadtländer Norden beschlagnahmt und 2020 wurde er in einem Berufungsverfahren wegen Betrugs zu drei Jahren Gefängnis, davon sechs Monate unbedingt, verurteilt.

Unterstützung finden

Philippe Guignard will von Selbstmitleid nichts wissen. Sein Leben wurde jedoch von seinem Bankrott und seinen Auseinandersetzungen mit der Justiz stark geprägt. Seine Ehe hat das nicht überlebt. «Es bringt nichts, in der Vergangenheit zu wühlen. Natürlich muss man aus seinen Fehlern lernen, aber man darf nicht vergessen, dass es viel einfacher ist, seine Taten mit einem Abstand von Monaten oder Jahren zu beurteilen. Was geschehen ist, ist geschehen. Das Wichtigste ist, nach vorne zu schauen», sagt Guignard.

An Unterstützung hat es nicht gefehlt, ob von alten Freunden aus der Zeit vor seinem Erfolg oder Freundschaften, die er im Laufe seiner Karriere aufgebaut hat. Bei der Eröffnung seines Prozesses habe einer seiner Freunde zu ihm gesagt: «Es wird die Hölle, aber du wirst es schaffen.» Und er habe recht gehabt: «Ich habe alles verloren, angefangen bei meiner Familie, aber ich finde nach und nach die Kraft, wieder aufzustehen.»

Philippe Guignard sucht Kraft für sich selbst bei Menschen, die ihn inspiriert haben, darunter Bernard Tapie. Der Waadtländer ist voll des Lobes für den 2021 verstorbenen französischen Geschäftsmann, der es trotz eines steinigen Weges bis ganz nach oben geschafft hatte. «Er hat es geschafft, nachdem er einige Tiefschläge einstecken musste. Das erinnert mich daran, dass ich nicht der Einzige bin.»

Öffentliche Verantwortung übernehmen

Thomas Estier zögerte nicht, seinen Bankrott auf Linkedin anzukündigen: «Das war nicht nur transparent für mein Netzwerk, sondern half mir auch, den Schlag besser zu verarbeiten. Die zahlreichen Unterstützungsbekundungen, die auf diesen Post hin erfolgten, haben mich aufgemuntert. Ich konnte feststellen, dass die Leute sich an uns und unsere Arbeit erinnern», sagt Estier.

Eine Insolvenz öffentlich anzukündigen, bedeutet auch zuzugeben, dass dieser bittere Ausgang von jedem Unternehmer in Betracht gezogen werden muss, was nicht jedem gefällt. Thomas Estier versichert jedoch, dass er keine Angst vor Reaktionen hatte: «Selbst in der Schweiz wird das Thema immer weniger tabuisiert.»

Schnell wieder ins Geschäft kommen

Um wieder in positive «Fahrwasser» zu kommen, ist es nach Ansicht der beiden Unternehmer besser, sich schnell wieder an die Arbeit zu machen. Für Thomas Estier ist es dennoch empfehlenswert, sich einige Wochen Ruhe zu gönnen, «um sich emotional zu sammeln und seinen Lieben ein wenig Zeit zu schenken». Das Wichtigste ist, nicht an sich selbst zu zweifeln. «Ein Unternehmer findet relativ leicht eine Stelle, die mit seinem Fachgebiet in Verbindung steht. Ich für meinen Teil sitze im Beirat von zwei Robotikunternehmen.»

Parallel dazu spricht nichts dagegen, ein neues Projekt ins Auge zu fassen und mit der Arbeit daran zu beginnen. Der Ingenieur gibt zu, dass er bereits an seinem nächsten Projekt arbeitet. Aber sollte man seine Ambitionen nach einem Rückschlag nicht zügeln? «Absolut nicht. Ich bin immer noch Unternehmer und als solcher war der Konkurs eine Etappe, aber sicher nicht das Ende.»

Nach über einem Jahr in der Psychiatrie hatte Philippe Guignard angekündigt, dass er wieder gesund und bereit sei, sich erneut an die Arbeit zu machen. Im April 2022 eröffnete er den Tea-Room Maison Guignard in Bulle FR und beschäftigt «ein kleines Dutzend Personen». Das Projekt konnte dank des Vertrauens von drei privaten Investoren realisiert werden.

«Dieser Neuanfang gibt mir die Kraft, jeden Morgen aufzustehen», freut er sich und wirkt wie beflügelt. Das Geschäft ist auf einem guten Weg, «auch wenn man bei neuen Vorhaben immer Geduld haben muss.»

In Zusammenarbeit mit LargeNetwork

Dieser Artikel erschien zuerst auf der französisch-sprachigen Seite von Blick.ch

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