Schuldenkrise bei Wirtschaftsmächten
Was sollen Anleger jetzt tun?

Die Schuldenberge in vielen Ländern werden immer höher. Gold ist der grosse Profiteur. Was das für die Finanzmärkte heisst.
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Bis Ende Jahr will Donald Trump (l.) über Fed-Chef Jerome Powells Nachfolge entscheiden. Eine heikle Personalie. Das Vertrauen in den Dollar und die US-Treasuries steht auf dem Spiel.
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Erich Gerbl
Bilanz

Der Ratschlag, den Mike Wilson vor einigen Wochen in einem Diskussionsforum von Reuters verbreitete, hatte etwas Ketzerisches an sich. Der Chefanleger von Morgan Stanley riet, im klassischen 60:40-Depot die Hälfte der Staatsanleihen durch Gold zu ersetzen. «Gold ist jetzt der antifragile Vermögenswert, den man besitzen sollte, und nicht mehr Staatsanleihen», sagte Wilson vor Finanzmarktprofis. 60:20:20 lautete seine neue Formel. Eine Goldquote von 20 Prozent wurde früher einzig von Untergangspropheten empfohlen, in der Welt der Investmentbanken und grossen Assetmanager ist sie geradezu revolutionär.

Wilson ist kein Einzelfall. «Wir sehen für unsere Mischfonds strategische Goldquoten vor, das hätten wir früher nicht gemacht», sagt Harald Preissler, Kapitalmarktstratege bei Bantleon. Bondguru Jeffrey Gundlach hielt im September gar 25 Prozent Gold für angebracht.

Artikel aus der «Bilanz»

Dieser Artikel wurde erstmals in der «Bilanz» publiziert. Weitere spannende Artikel findest du unter bilanz.ch.

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«An den Märkten findet ein Paradigmenwechsel statt», erklärt Ronald-Peter Stöferle, Goldexperte und Partner bei Incrementum. Von den Notenbanken werden Staatsanleihen – vor allem jene aus den USA – schon seit Jahren durch Gold ersetzt. Dass Russland im Zuge der Sanktionen den Zugriff auf seine US-Treasuries verlor, war besonders für Schwellenländer, die auf riesigen Beständen sassen, ein Weckruf. «Wird einem die Kreditkarte im Urlaub gesperrt, ist das ein Schock und ein Grund, sich eine zweite Karte zu besorgen, im Fall der Notenbanken ist die aus Gold», sagt Stöferle. Ein guter Teil der Goldhausse basiert auf dieser Umschichtung.

Die Angst vor den ausufernden Schulden heizt die Nachfrage nach Goldbarren an. Zunehmend werden Bonds gegen das Edelmetall getauscht.
Foto: Keystone

Herkömmliche Investoren treibt die Angst vor einer Schuldenkrise in den langfristig sichersten aller Häfen. Die Schuldenberge sind mittlerweile beängstigend hoch. Die USA haben bereits das sechste Jahr in Folge beim Haushaltsdefizit die Billion-Dollar-Marke gerissen und so Staatsschulden von mehr als 38 Billionen Dollar (123 Prozent des BIP) aufgetürmt. Auf den einzelnen Steuerzahler umgerechnet sind das 328 000 Dollar, 91 000 mehr als vor fünf Jahren. Die «US-Staatsschuldenuhr» läuft in Rekordtempo, alle 20 Sekunden kommt eine Million an neuen Verbindlichkeiten hinzu. Allein für die Zinsen geben die USA jährlich 1,1 Billionen Dollar aus. Die Kosten für Rüstung und Militär liegen mit 855 Milliarden Dollar inzwischen klar darunter.

Wachsende Schuldenberge sind kein rein US-amerikanisches Phänomen. Fünfprozentige Defizite sind in Frankreich mittlerweile Standard. Und weil eine Regierungskrise der nächsten folgt, ist keine Besserung in Sicht. Standard & Poor’s sieht das so und hat das Rating gesenkt. In Grossbritannien hat die Staatsverschuldung mit 2,9 Billionen Pfund einen neuen Höchststand erreicht. Selbst der Exportweltmeister China verschuldet sich immer mehr. In den letzten zehn Jahren stieg die Schuldenquote zum BIP von 40 auf 116 Prozent. Vor allem die hoch verschuldeten Lokalregierungen werden zum Problem. Japan ist mit einer Schuldenquote von 230 Prozent zum BIP ohnehin eine Klasse für sich. Weil die neue Regierungschefin Sanae Takaichi die Japaner mit tieferen Steuern und subventioniertem Strom unterstützen will, stiegen die Renditen auf den höchsten Stand seit der Finanzkrise.

Laut dem Invesco-Experten Paul Jackson kommt es noch viel dicker. Bei unveränderten nominalen BIP-Wachstumsraten, konstanten Primärdefiziten und gleichbleibenden Staatsanleiherenditen könnten die Schuldenquoten der wichtigsten Volkswirtschaften bis 2075 auf über 250 Prozent des BIP steigen. Japan dürfte mit einer Schuldenquote von 334 Prozent des BIP an der Spitze stehen, gefolgt von den USA (268 Prozent), Grossbritannien (265 Prozent) und Frankreich (254 Prozent). Anders als in früheren Krisen komme der künftige Anstieg nicht von akuten Schocks wie der Pandemie, sondern von strukturell hohen Primärdefiziten und gestiegenen Anleihenrenditen.

Aussichtslose Lage

In die Höhe getrieben werden die Schuldenberge durch eine unheilvolle Kombination aus massiv steigenden Ausgaben und sinkenden Einnahmen. Auf der Ausgabenseite fallen die Bankenrettungen in der Finanzkrise und die Pandemie ins Gewicht. Mit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine wurde sich Europa der militärischen Schwäche bewusst. Sich auf die USA als Schutzmacht zu verlassen, ist seit Donald Trump eine zu riskante Strategie. Selbst Sparmeister Deutschland gibt 100 Milliarden Euro für die Aufrüstung aus.

Spätestens seit Drohnen bei Flughäfen und Militärbasen gesichtet werden, ist Europas Staatenlenkern klar, dass dringender Handlungsbedarf besteht. Selbst Sparmeister Deutschland investiert 100 Milliarden Euro.
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Die «America First»-Politik des US-Präsidenten hat den in der Pandemie losgetretenen Trend zur Deglobalisierung verstärkt. Der Aufbau der nötigen Infrastruktur im eigenen Land kostet Geld.

Auf den Sozialsystemen lastet die Demografie. Die wachsenden Ausgaben für Renten, Pflege und Gesundheit werden von immer weniger Menschen getragen. Die Regierung springt ein, die Schulden steigen. «Die Demografie wird für die sozialen Sicherungssysteme zur tickenden Zeitbombe», heisst es bei Flossbach von Storch. Der zuletzt politisch in den Hintergrund gerückte Klimawandel sorgt für verschiedenste Katastrophen und wird für die Staatsbudgets zur Dauerbelastung.

Die wachsenden Ausgaben für Renten, Pflege und Gesundheitsversorgung werden von immer weniger Menschen getragen. Die Demografie wird zur Zeitbombe. Die Regierung springt ein, die Schulden steigen.
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Wurden die Schulden früher in guten Zeiten abgetragen, werden sie heute selbst dann höher, wenn die Wirtschaft ordentlich wächst – ein beunruhigender Trend.

Theoretisch könnte die Schuldenlast durch geringere Ausgaben verringert werden. Wie schwer das in den USA ist, hat Elon Musk erfahren. Selbst mit Massenkündigungen hat sein DOGE die Sparziele nicht erreicht. Noch schwieriger umzusetzen sind Einsparungen in Sozialstaaten. In Deutschland wird über die Abschaffung des Bürgergelds diskutiert. «Da ist von sozialem Kahlschlag die Rede. Dabei würde der Sozialstaat nur 2 von 1500 Milliarden an Ausgaben einsparen. Das zeigt, wie aussichtslos die Lage ist. Die Schulden werden weltweit weitersteigen, das ist unbestritten», so Werner Krämer, Chefvolkswirt bei Lazard AM Deutschland.

Wie sehr sich der Finanzmarkt wegen der Schulden sorgt, lässt sich an den CDS-Spreads ablesen. Bevor die Schulden im Zuge der Pandemie nach oben rauschten, hatte die jährliche Prämie für eine Kreditausfallversicherung für US-Schulden bei 13 Punkten gelegen, heute sind es 40. «Weil die Ausfallrisiken steigen, wollen die Investoren eine höhere Risikoprämie. Eigentlich müssten die Zinsen am langen Ende tiefer stehen. Dass sie das nicht tun, zeigt, dass der Markt beunruhigt ist», sagt Christian Nolting, Chefanleger der Deutschen Bank.

Wirtschaft vs. Schulden

Die CDS-Spreads sind vergleichsweise hoch, von Krisenniveaus aber weit entfernt. Im April 2023 lagen die Spreads im Zuge der Diskussion über die Schuldendecke auch schon bei knapp 80.

CIO Nolting ist wegen der Schuldenberge nicht sehr besorgt. «Solange Wirtschaftswachstum mit Schuldenwachstum einhergeht, ist es okay, der absolute Schuldenstand ist nicht relevant.» So konnten etwa die USA das reale BIP zwischen 2005 und 2025 jährlich real um zwei Prozent steigern. Ideal ist es, wenn die Staaten das Geld so ausgeben, dass dadurch die Produktivität wächst. «Dann sind mehr Ausgaben sogar positiv», so Nolting. Ob es Europa gelingt, wachsende Investitionen auch in Produktivität umzumünzen, wird sich zeigen.

Samy Chaar, Chefökonom und CIO Schweiz bei Lombard Odier, beruhigt mit folgendem Vergleich: «Wenn Sie die Länder als Individuen mit zwei Taschen sehen, ist das finanzielle Risiko begrenzt. Die rechte Tasche der öffentlichen Finanzen hat Löcher und ist leer. Die linke Tasche ist mit den Ersparnissen der Haushalte und den Reserven der Unternehmen prall gefüllt.» Wenn man etwa in Frankreich beide Taschen zusammennehme, sei die Leistungsbilanz ausgeglichen. Das gelte auch für Länder wie Japan, China und Spanien, die Überschüsse aufweisen. Ungünstigerweise sind die USA eine Ausnahme. Hier wird auch vom privaten Sektor nichts gespart. Chaar: «Die USA sind darauf angewiesen, dass der Rest der Welt den Haushalt ausgleicht.» Im grossen Stil wird das durch den Kauf von US-Wertpapieren – in erster Linie US-Treasuries – gemacht. Werden die USA jedoch ihre Staatsanleihen nicht mehr los, hätten sie ein erhebliches Problem. Doch an so ein Szenario glaubt Chaar nicht: «Den USA leiht man gerne Geld, weil sie der mit Abstand grösste und wichtigste Verbraucher sind.» Exportnationen wie China, Indien, Korea, Japan, die Schweiz und ganz Europa leben von der Nachfrage aus den USA.

Eine heikle Personalie

Wie gross das Vertrauen in die US-Schulden ist, entscheidet nicht zuletzt die Unabhängigkeit der US-Notenbank Fed. Doch genau diese wird durch den Rückzug von Jerome Powell auf die Probe gestellt. Im Mai tritt Powell zurück, bis zum Ende des Jahres will Donald Trump die Nachfolge klären. Klar ist, dass Trump einen Kandidaten bevorzugt, den er stärker beeinflussen kann und der für Zinssenkungen besonders offen ist. «Es ist eigentlich sicher, dass die amerikanische Geldpolitik in den nächsten Jahren tendenziell zu expansiv ist», sagt Harald Preissler von Bantleon.

Theoretisch wäre es möglich, aus den Schulden herauszuwachsen. Die Schuldenquote sinkt, wenn das nominale Wirtschaftswachstum höher ist als der durchschnittliche Zinssatz. «Herauswachsen wäre ideal, ist aber selten», sagt Preissler. Für die technologielastigen USA ist so ein Szenario leichter vorstellbar als für Europa. Aber auch dort steht die Demografie im Weg. Preissler: «Die Babyboomer gehen in Rente. Das erzeugt Lohndruck und macht ein Herauswachsen besonders schwer.» Es gebe eine vage Hoffnung, dass KI das Problem «schon irgendwie löst».

Problemlöser Inflation

Der einfache und wohl auch wahrscheinliche Weg, die Schulden loszuwerden, führt über die Inflation. Sind die Teuerungsraten nicht zu hoch, ist das für die Politik die schmerzloseste Option. Unpopuläre Massnahmen wie höhere Steuern oder Streichkonzerte bei den Ausgaben bleiben so erspart. Wurde das Inflationsziel von zwei Prozent vor der Pandemie von unten her kaum erreicht, freut sich der Markt heute schon über Inflationsraten von «nur» drei Prozent. «Strukturell höhere Inflation in Kombination mit finanzieller Repression erscheint als wahrscheinliche Lösung für das Schuldenproblem», sagt Ronald-Peter Stöferle.

Laut dem Goldexperten baut sich eine Inflationswelle auf. Die steigende Geldmenge, die Nutzung von Rohstoffen als strategische Assets und die Demografie würden die Preise antreiben. «Zudem ist die Inflation ja nicht weg, sondern wird nur kleingeredet», sagt Stöferle. Die Rendite zweijähriger US-Anleihen, welche die Inflationserwartungen der Fed widerspiegelt, stieg zuletzt auf 3,6 Prozent. Für US-Amerikaner ist die Teuerung laut aktuellen Umfragen das grösste Problem.

Nicht nur US-Konsumenten stöhnen unter den hohen Preisen. Der Reiz, strukturell höhere Inflationsraten zuzulassen, ist gross. Für Regierungen ist es ein vergleichsweise schmerzloser Weg aus der Schuldenkrise.
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Schutz vor Inflation suchen Anleger traditionell in Gold. «Der Kurs von Fiat-Währungen sinkt im Vergleich zu Waren und Dienstleistungen, was die Menschen und Vermögensverwalter zunehmend dazu veranlasst, dies durch Gold abzusichern», sagt Ned Naylor-Leyland, bei Jupiter Manager eines Gold- und Silberfonds. Gold hat sich von seinem Allzeithoch von 4381 Dollar zwar wieder etwas entfernt, zählt aber 2025 zu den performenden Anlagen. Oder wie Goldfans wie Naylor-Leyland es sehen, hat der US-Dollar, in der Währung Gold gerechnet, 2025 (per 20. November) 55 Prozent an Wert eingebüsst. Die Hartwährung Franken verlor immerhin 38 Prozent. Wie sehr Gold im Vergleich zu Fiat-Währungen glänzt, entscheiden laut Naylor-Leyland die Zentralbanken. «Erst wenn die Fed und alle Notenbanken, die sie meist kopieren, wieder hawkischer werden, endet der Aufwärtstrend. Tun sie nichts, bleibt er intakt.» Sich über den zukünftigen Goldpreis Gedanken zu machen, macht in der Welt des Managers eines Gold- und Silberfonds keinen Sinn: «Es macht keinen Unterschied. Unabhängig davon, wie hoch der Goldpreis in drei Jahren sein wird, können Sie damit die gleichen Dienstleistungen erwerben wie heute.»

Sich mit Gold gegen die Inflation und einen schleichenden Vermögensverlust abzusichern, hat über lange Zeithorizonte funktioniert. Kurzfristig ist die Korrelation zur Inflation jedoch nicht sehr gross. Schlussendlich bestimmen Angebot und Nachfrage den Preis.

Recycling von US-Dollars

Lombard-Odier-Experte Samy Chaar ist für Gold nicht zuletzt wegen der Nachfrage aus China optimistisch. Grosse Teile der Dollars aus dem Exportbusiness werden weiterhin in Gold investiert, US-Anlagen seit den Russland-Sanktionen eher gemieden. Chinesische Anlagen zu kaufen, stärke den Renminbi und gehe zulasten der Wettbewerbsfähigkeit. «Damit das Recycling von Dollars aus den Exporten aufhört, bräuchte man eine andere Nachfragequelle, doch die gibt es nicht.»

Auch als Inflations-Hedge haben sich Aktien bewährt. Qualitätsunternehmen haben Preismacht und können die steigenden Kosten an ihre Kunden weitergeben. Mit den Umsätzen steigen die Kurse. Besonders gut sehen Experten die Schwellenländer positioniert. «Die einfachste Story nach vorne sind die Emerging Markets. Sie sind die Gewinner der Neuordnung der Welt», sagt Krämer von Lazard. Rückenwind verleiht der schwache Dollar. Anstatt die Währung mit hohen Zinsen stabilisieren zu müssen, können die Zentralbanken die Zinsen senken. Die Schuldenrückzahlungen in Dollar werden günstiger, das Risiko von Unternehmens- und Staatspleiten geht zurück. Wenigstens hier gibt es einen Hoffnungsschimmer.

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