Sie erwidern jeden noch so flachen Spruch mit einem gütigen Lächeln. Bedanken sich, wenn man ihnen das Billett zeigt – und sind seit einem Jahr vermehrt alleine unterwegs: die Zugbegleiter der SBB.
Per Ende 2018 hat die Konzernleitung beschlossen, dass im Fernverkehr nicht mehr zwingend zwei sogenannte Kundenbegleiter im Zug sein müssen. Eine Massnahme, die beim Personal nie auf Anklang gestossen ist. Diese Woche nun hat der Zugpersonalverband eine Resolution eingereicht, welche die Wiedereinführung der Doppelbegleitung fordert.
Doch warum ist es so schlimm, als Kundenbegleiter alleine im Zug zu sein? SonntagsBlick hat mit zwei Betroffenen gesprochen und Einblick in ihre Alltagsprobleme erhalten.
Heinz Rutishauser*, Zugbegleiter, seit elf Jahren bei den SBB:
«Uns wurde versprochen, dass wir ab 22 Uhr nie alleine im Zug tätig sind. Das wird mit wenigen Ausnahmen eingehalten. Das Problem ist aber, dass diese Regelung für die Züge am frühen Morgen nicht gilt.
Insbesondere am Wochenende ist das unangenehm, weil dann sehr viele alkoholisierte Leute vom Ausgang nach Hause fahren. Vor einigen Wochen war ich alleine in einem solchen Frühzug von Bern nach Zürich – es war nicht das erste Mal.
Ich gehe dann jeweils vor der Abfahrt durch den Zug, um den Puls zu fühlen. Wenn ich dann bereits blöd angemacht werde, verzichte ich anschliessend bewusst auf eine Billettkontrolle und beschränke diese auf die erste Klasse.
Ich weiss, das kann es eigentlich nicht sein. Ich würde meine Arbeit auch gerne richtig machen. Aber die eigene Sicherheit geht vor! Als dann auch noch einer sein Abteil vollkotzte, war ich definitiv bedient. In solchen Momenten wünscht man sich einen Partner. Das muss einfach drinliegen. Zumal uns Kundenbegleitern immer wieder gesagt wird, wir seien das Gesicht der SBB – insbesondere jetzt, da immer mehr Schalter geschlossen werden.»
Matthias Berchtold*, seit 15 Jahren bei den SBB, schildert eine andere Problematik:
«Es war vor ein paar Wochen am HB Zürich: Ich bin alleine in einem Interregio, der ohne Halt nach Olten soll. Der Zug ist proppenvoll, elf Wagen mit 700 Leuten. Wir sind bereit zur Abfahrt, doch beim Lokführer leuchtet ein Lämpchen auf: Feueralarm.
Ich muss alleine den ganzen Zug abklappern, um herauszufinden, ob es tatsächlich brennt oder ob es nur eine Fehlermeldung ist. Wagen für Wagen kämpfe ich mich durch den Zug. Dabei werde ich von ungeduldigen Kunden ständig gefragt: ‹Wieso fahren wir nicht ab?›
Ich bin noch nicht dazu gekommen, die Passagiere mit einer Durchsage darüber zu informieren, dass sich die Abfahrt wegen einer technischen Störung verzögert. Ich muss zuerst die Betriebszentrale anrufen und das grüne Abfahrtssignal zurücknehmen.
Zu allem Überfluss muss ich auch noch zurück aufs Perron, da der Zug aus zwei Teilen besteht. Dort kommen laufend neue Leute angerannt, die auch noch einsteigen wollen. Ich muss ihnen erklären, dass der Zug gesperrt ist und sie auf den nächsten warten müssen. Freunde mache ich mir damit keine.
Nach rund fünf Minuten habe ich den gesamten Zug kontrolliert. Kein Feuer, eine Fehlermeldung. Jetzt könnten wir abfahren. Doch nun legt die Zentrale ihr Veto ein: Es gebe keinen freien Slot mehr. Der Zug werde gestrichen.
Ich habe die tolle Aufgabe, die Passagiere darum zu bitten, den Zug wieder zu verlassen. Erneut muss ich durch den ganzen Zug gehen, um zu kontrollieren, dass tatsächlich alle aussteigen. Dabei bekomme ich den Unmut der Kunden zu spüren.
Der Vorfall zeigt: Alleine im Zug bin ich aufgeschmissen, wenn es zu einer Störung kommt. Wären wir in dieser Situation zu zweit gewesen, hätten wir die Kunden besser informieren können. Wir hätten schneller festgestellt, dass es sich um einen Fehlalarm handelt – und im Optimalfall hätte der Zug nicht gestrichen werden müssen.»
«Keine Kompromisse bei der Sicherheit»
Und was sagen die SBB zu den Klagen ihrer Mitarbeiter? Die Medienstelle betont, dass man bei der Sicherheit keine Kompromisse mache. «Die Bedürfnisse des Personals und der Kunden sind zentral», so ein Sprecher. Das Unternehmen wehrt sich gegen die Darstellung, dass die Zweierbegleitung abgeschafft worden sei. Bei der Planung der Einsätze würden einfach die Tageszeit und das Kundenaufkommen stärker berücksichtigt.
«Bei hohen Frequenzen ist vorgesehen, auch mehr als zwei Kundenbegleiter einzusetzen. Bei niedrig frequentierten Verbindungen wird dafür nur ein Kundenbegleiter eingesetzt.» Die SBB gestehen aber ein, dass das Konzept aufgrund des Personalunterbestands im Moment nicht immer vollständig umgesetzt werden könne.
* Name geändert