Darum gehts
Von Gebrauchtware sprechen die einen, von Secondhand die anderen. Was früher einmal jemandem Freude machte und jetzt neue Besitzer sucht, hat viele Namen. Wer Occasion sagt, meint auch Resale oder Recommerce. Christina Gaja mag ein anderes Wort lieber: pre-loved. «Weil ein solcher Gegenstand aus zweiter Hand vorher nicht nur benutzt wurde. Sondern geliebt.»
In Wil SG betreibt Gaja seit sechs Jahren erfolgreich das Geschäft «Revive by Gaja» mit Designer-Handtaschen aus zweiter Hand. Auf nur 40 Quadratmetern präsentiert sie rund 150 Luxustaschen bekannter Marken. Der Durchschnittspreis einer verkauften Pre-loved-Tasche liegt bei 1800 Franken. Bei sehr begehrten Modellen können es aber auch bis zu 5000 Franken werden. Das Begehren ist gross, die Kaufbereitschaft auch.
Was Christina Gaja in Wil beobachtet, findet so auch in vielen anderen Städten der Schweiz statt. Heute gilt als hip, wer sich im Heilsarmeebrocki Vintage- und Retroperlen fischt oder sich im Secondhand-Store der Caritas auf das nächste modische Level bringt. Lust auf einen gebrauchten Prestigeticker am Handgelenk? Easy, die Rolex stammt aus einer Lounge für zertifizierte Gebrauchtuhren, ein klarer Fall von certified pre-owned (CPO).
Wenn sogar Rolex auf den Secondhand-Zug aufspringt, hat sich wirklich etwas getan im Secondhand-Land Schweiz. Die «Handelszeitung» hat den Secondhand-Boom in den 30 grössten Deutschschweizer Städten untersucht. Pro Kopf zeigt Aarau sowohl offline als auch online die höchste Aktivität.
Schweizer Secondhandmarkt ist 2 Milliarden Franken schwer
Philipp Glauser, Co-Gründer des Start-ups Loopia, sieht neben Kosteneinsparungen und Nachhaltigkeit auch die Möglichkeit der Refinanzierung als Treiber: «Oft sehen wir Secondhand auch als ein Finanzierungsinstrument: Kunden geben ihr altes Mobiltelefon oder ihre alte Kamera an Zahlung – um sich mit diesem Geld ein neues Gerät zu leisten.»
Der Schweizer Secondhand-Markt (ohne Autos und Immobilien) erreichte laut Loopia 2022 einen Umsatz von rund 1,5 Milliarden Franken. Bei einem jährlichen Wachstum von elf Prozent dürfte er inzwischen bei etwa zwei Milliarden Franken liegen.
DCX STORY: doc80m9svwvlh2ofe6werz [Methodik Ranking]
Die Online-Player im Business
Besonders viel Dynamik ist im Onlinefeld drin. Das Internet ist über die Jahre zu einem riesigen Umschlagplatz für Gebrauchtwaren geworden. Ricardo, mit einem geschätzten Umsatz von 800 Millionen Franken im vergangenen Jahr, ist Marktführer. Das Unternehmen wurde 1999 unter dem Namen Auktion24.ch in Baar ZG gegründet. Bereits im Jahr 2000 erfolgte die Übernahme durch die deutsche Ricardo AG. Seit 2021 gehört Ricardo zur Swiss Marketplace Group (SMG), einem Joint Venture der TX Group AG, Mobiliar, General Atlantic und der Ringier AG, dem Mutterhaus dieser Publikation.
Christine Moch, Projektleiterin Secondhand Day bei Ricardo, berichtet von einem starken Zuwachs bei Secondhand-Mode: «Innerhalb von zwei Jahren ist die Zahl der verkauften Kleidungsstücke und Accessoires um 31 Prozent gestiegen.»
Ein neuer Player ist das Schweizer Start-up Marko, das Social Media mit Secondhand verbindet. Mitgründer Alexander Sutter beschreibt es als «Zalando meets Tiktok». Seit der Lancierung im September 2023 verzeichnet die Plattform 150'000 registrierte User und 300'000 monatliche Besucher. Da liege aber mehr drin: «Die Schweiz hinkt hinterher, nicht weil die Menschen kein Secondhand wollen, sondern weil die Rahmenbedingungen nicht gegeben sind.»
Luana Colagiorgio gilt auf der Secondhandplattform Marko als Power-Userin und erfolgreiche Verkäuferin. Die Aarauerin, die im Berufsleben als Produktmanagerin im Kostümhandel aktiv ist, handelt über Marko vor allem mit Mode. «Die Teile in meinem Schrank haben sich über die Jahre derart massiv angehäuft, dass ich sie seit etwa einem Jahr aktiv über den Onlinekanal absetze.»
Für ihr Angebot – «querbeet alles, was man anziehen kann» – interessierten sich vor allem Kundinnen zwischen zwanzig und dreissig. Gemäss Colagiorgios Erfahrungen schätzen diese an ihrer Secondhandmode vor allem den günstigen Preis, die nachhaltige Komponente und den individuellen Style. Auch Colagiorgio selbst deckt sich gerne mit Secondhandklamotten ein, in der Aarauer Altstadt beispielsweise bei den Shops Tante Emma oder Second Fish, online über den Schweizer Anbieter The Vintage Hunter, aber auch in Brockenhäusern und auf Flohmärkten. Was ihr dabei wichtig ist: «Weil ich meinen eigenen Style ausleben will, bin ich stets auf der Suche nach sehr individuellen Teilen.»
Mit dem Geschäftserfolg als Onlineverkäuferin ihrer eigenen Modevergangenheit ist Colagiorgio zufrieden. Etwa fünfzig Teile habe sie über Marko abgesetzt im letzten Jahr, hauptsächlich Mode – und auch ein Sofa sei sie über diesen Kanal losgeworden. Sehr gut läuft laut der Aargauerin im Bereich Secondhandmode alles, was einen Markennamen trage oder dann zum Mindestpreis von 7 Franken angeboten werde. «Viel verdient habe ich damit nicht», sagt Luana Colagiorgio. «Aber ein Ferienbatzen ist dabei schon herausgesprungen.» Für einen Trip, der nicht nur bis Chiasso reicht, «sondern bis nach Apulien».
Luana Colagiorgio gilt auf der Secondhandplattform Marko als Power-Userin und erfolgreiche Verkäuferin. Die Aarauerin, die im Berufsleben als Produktmanagerin im Kostümhandel aktiv ist, handelt über Marko vor allem mit Mode. «Die Teile in meinem Schrank haben sich über die Jahre derart massiv angehäuft, dass ich sie seit etwa einem Jahr aktiv über den Onlinekanal absetze.»
Für ihr Angebot – «querbeet alles, was man anziehen kann» – interessierten sich vor allem Kundinnen zwischen zwanzig und dreissig. Gemäss Colagiorgios Erfahrungen schätzen diese an ihrer Secondhandmode vor allem den günstigen Preis, die nachhaltige Komponente und den individuellen Style. Auch Colagiorgio selbst deckt sich gerne mit Secondhandklamotten ein, in der Aarauer Altstadt beispielsweise bei den Shops Tante Emma oder Second Fish, online über den Schweizer Anbieter The Vintage Hunter, aber auch in Brockenhäusern und auf Flohmärkten. Was ihr dabei wichtig ist: «Weil ich meinen eigenen Style ausleben will, bin ich stets auf der Suche nach sehr individuellen Teilen.»
Mit dem Geschäftserfolg als Onlineverkäuferin ihrer eigenen Modevergangenheit ist Colagiorgio zufrieden. Etwa fünfzig Teile habe sie über Marko abgesetzt im letzten Jahr, hauptsächlich Mode – und auch ein Sofa sei sie über diesen Kanal losgeworden. Sehr gut läuft laut der Aargauerin im Bereich Secondhandmode alles, was einen Markennamen trage oder dann zum Mindestpreis von 7 Franken angeboten werde. «Viel verdient habe ich damit nicht», sagt Luana Colagiorgio. «Aber ein Ferienbatzen ist dabei schon herausgesprungen.» Für einen Trip, der nicht nur bis Chiasso reicht, «sondern bis nach Apulien».
Drei Motivatoren für Secondhand-Käufe
Interessanterweise unterscheiden sich die Motivationen verschiedener Generationen. Während Millennials oft aus Umweltbewusstsein auf Secondhand setzen, ist für die Generation Z vor allem Trendbewusstsein ausschlaggebend. Auch etablierte Einzelhändler entdecken das Potenzial von Secondhand. Philipp Glauser erklärt: «Gerade grössere Player nützen Secondhand-Geschäfte auch, um Kunden in ihrem Ökosystem zu halten.» Kunden erhalten Gutscheine für herumgegebene Ware und geben das Geld oft wieder im selben Geschäft aus.
Für kleinere Händler wie Georg Schuster, Co-Inhaber eines Brockenhauses in der Siegerstadt Aarau AG, ist eine Kombination aus physischem Geschäft und Online-Verkauf entscheidend. Er sieht seine Arbeit als «unternehmerisch gelebte Nachhaltigkeit». Christina Gaja in Wil SG teilt diese Sichtweise. Sie selbst kauft gerne Möbel-Klassiker und Seidenteppiche secondhand. Jedes Produkt hat eine Geschichte, die oft in drei Kategorien fällt: Impulskäufe, die nicht geliebt wurden, Verkäufe aus finanzieller Not oder Ersatz durch neue First-Hand-Produkte.
Dass Aarau so gut abschneidet im Secondhand-Ranking der Handelszeitung, erstaunt Georg Schuster nicht: «Das Angebot hier ist auch deshalb so umfangreich, weil das Einzugsgebiet riesig ist.» Der gelernte Maurer ist seit drei Jahren zusammen mit Lukas Tappeiner Co-Besitzer der Brockenhaus Aarau GmbH, die an der Schnellstrasse Aarau–Suhr typisches Brocki-Feeling bietet: eine 500-Quadratmeter-Stöberpiste auf zwei Etagen, mit einem Angebot, das von Spiegeln, Sneakern und Sonnenbrillen bis hin zu Geschirrservices, Polstersesseln, Wanduhren und Comics reicht. «Unsere Kunden kommen aus der Nähe, aber auch von Zürich, Baden, Bern und Basel», sagt Schuster, der in Künten AG seit 2021 ein weiteres Brockenhaus betreibt.
Was Schuster abhebt von der Brocki-Konkurrenz, ist sein Omnichannel-Ansatz – also die Onlineerweiterung als Ergänzung zum stationären Angebot. Der Aargauer Unternehmer gilt bei Ricardo als sogenannter Super-Seller. Secondhandprofi Schuster erklärt seinen Onlineeinsatz so: «Im Internet zeige ich eher voluminöse Gegenstände, die ich nicht auf unserer Fläche präsentiere, sondern im Lager aufbewahre – also zum Beispiel grosse Spiegel, Gestelle oder Möbel.» In der Regel hat Schuster auf seinem Ricardo-Account «Schnäpplihuus» gemäss eigener Aussage «immer so zwischen 1000 und 3000 Artikel im Angebot.» Mit der Zeit hat er gelernt, was auf dem digitalen Kanal besonders gefragt ist: «Online laufen Möbel aus den 70er- und 80er-Jahren sehr gut, aber auch Vintageklamotten und -brillen. Oft Produkte, die von Fans schweizweit im Netz gesucht werden.»
Im physischen Brockenhaus performen dann eher Gegenstände des täglichen Gebrauchs wie etwa Pfannen, Töpfe und weitere Küchenartikel. Zu seiner Ware kommt Schuster einerseits über Räumungsaktionen, die er als Nebengeschäft durchführt, aber auch durch Warenspenden seiner Kundinnen und Kunden. Mittlerweile sei er bei gewissen Angeboten wählerischer geworden: «Bücher nehme ich schon gar nicht mehr an, das kauft heute niemand mehr.» Mit einer Ausnahme: «Bibeln sind okay, die laufen immer.» Das Erfolgsgeheimnis für ein physisches Brockenhaus erklärt Schuster so: «Die Ware muss tipptopp aussehen und sauber sein – aber mit Charme präsentiert werden. Wenn es aussieht wie im Warenhaus, ist der Brocki-Zauber vorbei.»
Dass Aarau so gut abschneidet im Secondhand-Ranking der Handelszeitung, erstaunt Georg Schuster nicht: «Das Angebot hier ist auch deshalb so umfangreich, weil das Einzugsgebiet riesig ist.» Der gelernte Maurer ist seit drei Jahren zusammen mit Lukas Tappeiner Co-Besitzer der Brockenhaus Aarau GmbH, die an der Schnellstrasse Aarau–Suhr typisches Brocki-Feeling bietet: eine 500-Quadratmeter-Stöberpiste auf zwei Etagen, mit einem Angebot, das von Spiegeln, Sneakern und Sonnenbrillen bis hin zu Geschirrservices, Polstersesseln, Wanduhren und Comics reicht. «Unsere Kunden kommen aus der Nähe, aber auch von Zürich, Baden, Bern und Basel», sagt Schuster, der in Künten AG seit 2021 ein weiteres Brockenhaus betreibt.
Was Schuster abhebt von der Brocki-Konkurrenz, ist sein Omnichannel-Ansatz – also die Onlineerweiterung als Ergänzung zum stationären Angebot. Der Aargauer Unternehmer gilt bei Ricardo als sogenannter Super-Seller. Secondhandprofi Schuster erklärt seinen Onlineeinsatz so: «Im Internet zeige ich eher voluminöse Gegenstände, die ich nicht auf unserer Fläche präsentiere, sondern im Lager aufbewahre – also zum Beispiel grosse Spiegel, Gestelle oder Möbel.» In der Regel hat Schuster auf seinem Ricardo-Account «Schnäpplihuus» gemäss eigener Aussage «immer so zwischen 1000 und 3000 Artikel im Angebot.» Mit der Zeit hat er gelernt, was auf dem digitalen Kanal besonders gefragt ist: «Online laufen Möbel aus den 70er- und 80er-Jahren sehr gut, aber auch Vintageklamotten und -brillen. Oft Produkte, die von Fans schweizweit im Netz gesucht werden.»
Im physischen Brockenhaus performen dann eher Gegenstände des täglichen Gebrauchs wie etwa Pfannen, Töpfe und weitere Küchenartikel. Zu seiner Ware kommt Schuster einerseits über Räumungsaktionen, die er als Nebengeschäft durchführt, aber auch durch Warenspenden seiner Kundinnen und Kunden. Mittlerweile sei er bei gewissen Angeboten wählerischer geworden: «Bücher nehme ich schon gar nicht mehr an, das kauft heute niemand mehr.» Mit einer Ausnahme: «Bibeln sind okay, die laufen immer.» Das Erfolgsgeheimnis für ein physisches Brockenhaus erklärt Schuster so: «Die Ware muss tipptopp aussehen und sauber sein – aber mit Charme präsentiert werden. Wenn es aussieht wie im Warenhaus, ist der Brocki-Zauber vorbei.»
Der Secondhand-Boom in der Schweiz zeigt, dass Nachhaltigkeit, Individualität und Sparsamkeit Hand in Hand gehen können. Mit innovativen Plattformen und einem wachsenden Bewusstsein für den Wert gebrauchter Waren scheint dieser Trend auch in Zukunft anzuhalten.
Wörter wie «Brockenhaus» (in der Schweiz auch «Brocki») sind so sehr im Wortschatz verankert, dass man sich schon gar nicht mehr fragt, woher der Begriff eigentlich stammt. Am ehesten könnte man sich vorstellen, dass das Wort etwas mit dem «Grossen Brockhaus» zu tun hat, dem mehrbändigen gedruckten Nachschlagewerk, auch bekannt als «Handbuch des Wissens», das heute noch in antiquarischen Buchhandlungen zu finden ist. Aber dem ist nicht so.
Die meisten Wortforscherinnen und Wortforscher werden beim Thema «Brockenhaus» in der Bibel fündig. Dort, im Neuen Testament, wird die «Speisung der 5000» beschrieben, als Jesus eine grosse Menge an Leuten satt machte, obwohl nur wenige Fische und Brote vorhanden waren. Zum Schluss dieser Episode kam es zu einer frühen Variante der Foodwaste-Vermeidung, wie es in der Luther-Bibel heisst: «Und sie assen alle und wurden satt und hoben auf, was übrig blieb von Brocken, zwölf Körbe voll.»
Das Bibelzitat mit den aufgesammelten Brocken soll 1891 den deutschen Pastor Friedrich von Bodelschwingh dazu inspiriert haben, für Bedürftige eine Sammel- und Verkaufsstelle für Gebrauchtwaren zu eröffnen. Diese nannte er in Anlehnung an die Speisung der 5000 «Brockenhaus». Etwas später wurden dann auch in der Schweiz die ersten Brockenhäuser eröffnet. Oder eben «Brockis».
Wörter wie «Brockenhaus» (in der Schweiz auch «Brocki») sind so sehr im Wortschatz verankert, dass man sich schon gar nicht mehr fragt, woher der Begriff eigentlich stammt. Am ehesten könnte man sich vorstellen, dass das Wort etwas mit dem «Grossen Brockhaus» zu tun hat, dem mehrbändigen gedruckten Nachschlagewerk, auch bekannt als «Handbuch des Wissens», das heute noch in antiquarischen Buchhandlungen zu finden ist. Aber dem ist nicht so.
Die meisten Wortforscherinnen und Wortforscher werden beim Thema «Brockenhaus» in der Bibel fündig. Dort, im Neuen Testament, wird die «Speisung der 5000» beschrieben, als Jesus eine grosse Menge an Leuten satt machte, obwohl nur wenige Fische und Brote vorhanden waren. Zum Schluss dieser Episode kam es zu einer frühen Variante der Foodwaste-Vermeidung, wie es in der Luther-Bibel heisst: «Und sie assen alle und wurden satt und hoben auf, was übrig blieb von Brocken, zwölf Körbe voll.»
Das Bibelzitat mit den aufgesammelten Brocken soll 1891 den deutschen Pastor Friedrich von Bodelschwingh dazu inspiriert haben, für Bedürftige eine Sammel- und Verkaufsstelle für Gebrauchtwaren zu eröffnen. Diese nannte er in Anlehnung an die Speisung der 5000 «Brockenhaus». Etwas später wurden dann auch in der Schweiz die ersten Brockenhäuser eröffnet. Oder eben «Brockis».