Darum gehts
Der Fabrikladen von Künzli in Windisch AG. Ein schmuckloser Raum aus den 1970ern, die Regale voll mit diversen Schuhmodellen. In den Geschäftsräumen nebenan finden sich Maschinen für die Produktion von Prototypen, ein kleines Chefbüro, Angestellte, die ihrer Arbeit nachgehen, ohne den Chef gross zu beachten. Dabei hat sich dieser Chef Grosses vorgenommen. Andere gehen mit 63 in Rente: Roberto Martullo-Blocher startet noch einmal durch – als frisch gebackener Unternehmer – in einer Branche, die nicht einfach ist. Die Konkurrenz bei den Schuhherstellern ist gross. Wie Martullo-Blocher es schaffen will.
Herr Martullo-Blocher, Sie sind seit 1. Januar 2025 Unternehmer. Wie hat sich Ihr Leben seither verändert?
Martullo-Blocher: Ich muss mehr Auto fahren. (lacht) Nein, im Ernst. Künzli ist zwar 97 Jahre alt, aber ich fühle mich wie ein Start-up-Unternehmer.
Wie muss man sich ein Schuh-Start-up vorstellen?
Letzte Woche wurden 1400 Schuhe nach Windisch ins Lager geliefert. Daraufhin waren wir alle tagelang am Auspacken, am Kontrollieren, Neuverpacken und Verschicken. Jeder Mitarbeiter kann mitreden, seine Meinung und Ideen einbringen, denn nur im Team schaffen wir das. Und: Als ich hier anfing, läutete ständig eine Glocke, um den Mitarbeitenden zu signalisieren, wann sie anfangen müssen, Pause machen dürfen und so weiter. Die Glocke hat dauernd geläutet, um 7 Uhr, um 9, 12, 13 und 15 Uhr. Nach einer Woche habe ich sie abstellen lassen.
Warum haben Sie Künzli gekauft?
Das war ein emotionaler Kauf für mich. Als Kind habe ich selbst Künzli-Schuhe getragen. Ich sagte mir: Es kann nicht sein, dass es meine Lieblingsschuhe bald nicht mehr gibt. Meine Eltern haben selbst in einer Schuhfabrik gearbeitet. Wenn sie am Mittwochnachmittag oder Samstag arbeiteten, war ich oft dort. Ich kenne das Lederbusiness und weiss, wie es in einer Schuhfabrik riecht.
Wie kam alles ins Rollen?
Ich erfuhr aus der Zeitung, dass Künzli schliessen muss, da man keinen Nachfolger gefunden hatte.
Es heisst, auf die Zeitungsmeldung hin sollen rund siebzig Interessenten für Künzli geboten haben. Warum haben Sie den Zuschlag erhalten?
Viele wollten nur die Marke kaufen, die Standorte jedoch wären geschlossen oder verlagert worden. Die Verkäuferin wollte genau das nicht. Ich war wohl der einzige Bieter, der garantierte, dass die Produktion weitergeführt wird wie bisher.
Wie hat Ihre Familie auf den Kauf reagiert?
Meine Frau und meine Kinder haben gefragt, was das für eine Firma sei. Sie kannten Künzli nicht. Meine Kinder fragten mich dann auch, weshalb ich mir nicht ein Hobby suchen würde.
Dieser Artikel wurde erstmals in der «Handelszeitung» publiziert. Weitere spannende Artikel findest du auf www.handelszeitung.ch.
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Papa in der Midlife-Crisis? Andere kaufen einen Ferrari, Sie kaufen eine Firma ...
Meine Kinder sind mittlerweile erwachsen. Die zwei Grossen sind an der Uni und bei uns ausgezogen. Die Jüngste ist 18 und wird in einem Jahr ebenfalls an die Uni gehen. Und ein Ferrari ist nicht so meine Sache. Es ist auch ein wenig schade, mit einem Ferrari am See entlangzufahren.
Welches Auto ist denn besser für den Zürichsee?
Ich habe zwei Autos, einen Jaguar Elektro und einen Range Rover Evoque Cabriolet.
Hat Ihre Frau keine Bedenken, dass ihr Mann auf einmal völlig absorbiert sein könnte?
Sie kann ja auf dem Weg von Bern nach Hause bei mir einen Stopp einlegen. (lacht) Abgesehen davon bin ich meist noch immer früher als sie zu Hause.
Was meinte Ihr Schwiegervater, Christoph Blocher?
Er sagte, dass es eine grosse Herausforderung sei und nicht so einfach werde. Aber er meinte auch, dass, wenn es eine solide Firma ist, die Gewinn erzielt, etwas daraus zu machen sei.
Haben Ihnen die beiden Ratschläge gegeben?
Mein Schwiegervater meinte: Sollte ich mich für diese Firma entscheiden, dann müsse ich den besten Sneaker herstellen und der beste Sneakerverkäufer sein. Und meine Frau sagte, ich müsse als Erstes das Cash-Management im Griff haben.
Mit anderen Worten, Sie sollten nicht zu viel ausgeben?
Man kann schon viel ausgeben, aber man muss auch entsprechende Einnahmen haben, damit man Gewinn macht.
Trägt Ihr Schwiegervater mittlerweile Künzli-Schuhe?
Er trägt schon seit vielen Jahren orthopädische Künzli-Schuhe, mit einer Verstärkung an der Seite, da er Bänderprobleme hat. Er hat sich sogar mit den Schuhen eingedeckt, nachdem er gelesen hatte, dass Künzli schliessen wird. So wie Rolf Knie. Auch er ist ein grosser Fan von Künzli-Schuhen. Er hat etwa zehn Paar Sneakers gekauft, da er Schuhe in Reserve haben wollte, wenn es sie nicht mehr gibt.
Und der Rest Ihrer Familie?
Ich habe noch nicht alle überzeugt. Aber ich bin dran. Meine Kinder wollen ja nur weisse Schuhe. Jetzt bringe ich ihnen weisse Schuhe, dann müssen sie diese tragen. Mein Sohn muss an der Hochschule St. Gallen, an der er studiert, Werbung damit machen. Am besten farbig, damit man ihn auch sieht. Und meine Frau hat noch nicht die richtige Grösse gefunden. Wir müssen auf die neue Kollektion warten.
Wie haben Sie das Unternehmen finanziert?
Mit meinem privaten Geld.
Ganz ohne Fremdkapital?
Ja. Ich habe keinen Kredit bei einer Bank aufgenommen.
Sollte Künzli einen Verlust schreiben, was dann?
Künzli hat nie einen Verlust gemacht. Wenn ich nur den Orthopädiebereich bedienen würde, der 70 Prozent des Geschäfts ausmacht, würden wir einen Gewinn schreiben. Nicht so einen grossen, aber das wäre okay. Ich habe jedoch grosse Freude an den Sneakers und möchte diesen Bereich pushen.
Sie haben innert zwei Monaten ein neues Sneakermodell auf den Markt gebracht. Hut ab. Was ist Ihr Ziel?
Der Sneaker von Künzli hat schon eine starke Fangemeinschaft. Und die vergrössern wir jetzt. Schweizer, die fünfzig und älter sind, kennen Künzli-Schuhe, entweder vom Sport her oder weil sie einen Unfall hatten. Die Jungen, also meine Kinder, die zwanzig sind, kennen Künzli nicht und sagen sofort, die Schuhe ziehe ich nicht an. Sie wollen weisse und breite Schuhe. Und so habe ich entschieden, ein Modell zu entwickeln, das Junge tragen. Diese Sneakers sind durchgehend gefüttert, mit dicken Sohlen, ganz im Stil der Jungen.
Mit 399 Franken sind Ihre Sneakers wesentlich teurer als jene von Adidas oder Nike. Kann das klappen?
Wenn wir einen Alexander McQueen oder einen Golden Goose nehmen: Die fangen bei 500 Franken an und gehen bis zu 900. Unsere Schuhe sind Qualitätsschuhe aus echtem Leder. Wir verwenden sehr feines Rindsleder, das sich dem Fuss anpasst. Das ist schon etwas anderes, als wenn man einen asiatischen Schuh trägt. Die Schuhe der Mitbewerber sind Kunstlederschuhe. Zudem werden unsere Schuhe von Hand verarbeitet und in Europa produziert.
Mich überzeugen Sie vielleicht damit. Aber für meine Tochter (13) ist ein Lederschuh kein Verkaufsargument.
Klar, die Jungen wollen natürlich cool aussehen. Die kaufen einen Schuh, weil sie ihn bei jemand anderem gesehen haben. Bei einem Influencer oder einem Tennisspieler. Nike wäre ohne Michael Jordan nie das, was es heute ist. Und On wäre ohne Roger Federer wahrscheinlich nur halb so viel wert. Ich brauche auch Promis, die sagen, dass sie Künzli-Schuhe tragen. Das ist Teil des Business. Ohne das geht es nicht.
Welcher Promi wird bei Ihnen werben?
Das weiss ich noch nicht. Es ist nicht so einfach mit den Profis. In der Schweiz sind die meisten bei On unter Vertrag. Wenn Sie einen Athleten oder eine Athletin von Swiss-Ski oder Olympia sponsoren möchten: Die haben Verträge mit Swiss-Ski und dürfen keine anderen Schuhe tragen. An Lara Gut-Behrami zum Beispiel komme ich aus diesem Grund nicht ran. Das heisst, ich muss jene Sportler anfragen, die noch frei sind. Doch je populärer sie sind, desto schwieriger ist es. Zudem geht es da um Summen, die ich mir noch nicht leisten kann.
Soll es ein Schweizer oder ein internationaler Promi sein?
Ein internationaler Promi nützt mir nichts. On macht 2,5 Milliarden Franken Umsatz. Dafür müssen sie zwischen fünf und acht Millionen Paar Schuhe produzieren. Das ist ein Massenmarkt. Ich möchte lieber klein sein und gute Qualität liefern.
Aber wenn ich Sie richtig verstanden habe, wollen Sie künftig auf Influencer setzen.
Ja, ganz klar. Wir haben festgestellt, dass modebewusste 15- bis 30-Jährige viel besser mit Tiktok oder Instagram erreicht werden als mit klassischer Werbung. Influencer haben da viel Einfluss.
Woher nehmen Sie das Wissen über junge Käufer?
Ich habe eine junge Produktmanagerin, die seit einem Jahr hier arbeitet. Den Rest holen wir uns extern. Wir bauen auch unsere Homepage um, wollen hier mehr Storys bringen.
Wie kommen die Schuhe zum Kunden?
Wir verkaufen über unseren Fabrikladen, über unsere Homepage, über Walder Schuhe und ab dem nächsten Monat auch in Zürich – in einem kleinen Laden, 40 Quadratmeter gross, an der Poststrasse, eine Seitenstrasse zur Bahnhofstrasse.
Planen Sie noch mehr Läden in der Schweiz?
Wir starten jetzt mal mit Zürich. Wenn es hier läuft, schauen wir, ob wir in weiteren Städten Standorte planen.
Im Ausland?
Vorerst konzentrieren wir uns auf die Schweiz.
Gibt es etwas, das Ihnen schlaflose Nächte bereitet?
Ja, klar, natürlich. Die Zuverlässigkeit ausländischer Lieferanten ist vielfach nicht gegeben. Sie versprechen, dass das Leder in drei Wochen kommt, tatsächlich kommt es jedoch erst nach fünf Wochen. Das Gleiche gilt für Sohlen, für die man x-mal nachfragen muss. Das Material muss komplett sein, damit meine Firma anfangen kann, zu produzieren. Sie kann nicht einfach den Prozess unterbrechen und zwei Wochen warten, bis die nächsten Teile kommen.
Wie haben Sie das Problem gelöst?
Ich habe ein Lager aufgebaut, das für drei Monate reicht. Es bindet zwar Kapital, aber es ist besser für mich, weil ich so meine Kunden bedienen kann. Ein Patient hat jetzt den Fuss gebrochen – das Spital kann nicht zwei Wochen warten, bis der orthopädische Schuh geliefert wird.
Sie sind jetzt 63. Gibt es eine Erkenntnis, zu der Sie im Laufe Ihres Lebens gekommen sind?
Alles kommt zum richtigen Zeitpunkt. Ich habe heute etwas Lebenserfahrung, habe aber auch Fehler im Leben gemacht. Ich musste feststellen: Wenn man Fehler macht, nützt es nichts, wenn man einfach wieder aufsteht und weiterlebt. Man muss auch darüber nachdenken, weshalb etwas passiert ist.
Weshalb?
Der richtige Weg hat keine Hindernisse. Andere sagen, man muss so lange gegen ein Hindernis stossen, bis das Hindernis weg ist. Ich bin zum Schluss gekommen: Wenn einem Hindernisse in den Weg gestellt werden, ist das nicht der richtige Weg.
Haben Sie ein Beispiel dafür?
Ich habe für Künzli nicht das höchste Angebot abgegeben. Ich habe gesagt: Das ist mein Preis. Wenn es der richtige Weg für mich ist, bekomme ich die Firma, und wenn nicht, dann halt nicht. Bei Künzli hat alles relativ zügig und ohne Hindernisse geklappt. Auch als ich meine Frau kennenlernte, ging alles relativ zügig und hindernisfrei.
Die Heirat war richtig, da zu Beginn alles einfach war?
Nach 25 gemeinsamen Jahren kann man sagen, ja. Bis jetzt.
Welche Hindernisse haben Sie in den vergangenen Jahren angetroffen?
In den vergangenen Jahren hatte ich keine Hindernisse mehr. Irgendwann muss man ja gescheiter werden. Zuvor hatte ich mal einen falschen Job, bei dem ich eigentlich von Anfang an wusste, dass es nicht das Richtige war. Irgendwann waren die Hindernisse so gross, dass ich sagte, jetzt muss ich gehen. Oder etwa, dass ich mehrmals ohne Erfolg kandidiert habe.
War es schwierig für Sie, in die Familie Blocher einzuheiraten?
Mein Schwiegervater und meine Frau stehen sehr im Fokus der Öffentlichkeit. Ich komme aus einfachen Verhältnissen. Ich wollte nicht, dass unsere Kinder in eine Privatschule gehen und in einer Blase aufwachsen. Unsere Kinder sind alle in die öffentliche Schule gegangen. Das bringt aber auch Sicherheitsfragen mit sich.
Fühlten Sie sich schon mal bedroht?
Zweimal haben Jusos vor meiner Haustür gecampt. Sie waren friedlich. Aber sie sassen und lagen mitten auf der Quartierstrasse, die Autos kamen nicht mehr durch. Beim zweiten Mal habe ich dann die Polizei aufgeboten. Es ist klar: Wenn die Jusos das machen, sind sie in allen Medien.
Wie sieht die Rollenverteilung im Hause Martullo-Blocher aus?
Wir haben eine umgekehrte Rollenverteilung. So konnte sich meine Frau auf die Ems-Chemie konzentrieren. Als die Kinder klein waren, hatten wir eine Nanny. Ich habe in den Randstunden, an den Wochenenden oder an Schulanlässen auf die Kinder aufgepasst.
Das ist recht progressiv für einen Mann mit italienischen Wurzeln.
Ich sagte meiner Frau von Anfang an, dass ich Kinder möchte. Und da beides für sie nicht ging, Kinder und Firma, machten wir es so. Wir hätten nicht beide Karriere machen können. Das wäre für mich ein No-Go gewesen. Wenn ich jetzt sehr italienisch oder ein Macho gewesen wäre und gesagt hätte, ich gehe arbeiten und du bleibst zu Hause, dann hätten wir kein Jahr überlebt.
Also haben Sie Ihre Karriere zurückgestellt?
Genau. Bis jetzt.
Gibt es ein weiteres Geheimnis für eine gute Ehe?
Keine harmonische Ehe.
Das heisst?
Eine harmonische Ehe ist eher langweilig. Es muss auch Platz dafür geben, sich zu streiten und sich dann wieder zu versöhnen. Bei uns war es von jeher so, dass wir sehr viele Diskussionen über alles hatten, übers Geschäft, über die Politik, über Kinder. Wichtig ist jedoch, dass man eine gemeinsame Grundbasis hat. Gewisse Werte müssen gleich sein – Werte über Familie, über Erziehung, darüber, wie man die Welt sieht, die Schweiz, welche Werte man Kindern weitergeben will. Der Rest sind Diskussionen über Peanuts.
Da fliegen also auch mal die Fetzen bei Ihnen?
Ja, es gibt schon ziemlich viele Diskussionen. Und es wird ziemlich laut. Vor allem, wenn man noch drei Kinder mit demselben Temperament hat.
Wie lange braucht es bei Ihnen bis zur Versöhnung?
Das geht schnell. Nach der Diskussion stehen wir vom Tisch auf, es wird abgewaschen, und dann ist es schon vergessen. Es geht ja nicht um Grundwerte. Es geht ja nur um Meinungsverschiedenheiten.
Sie sind also ein Mensch, der die Dinge nicht persönlich nimmt.
Ich würde das nie persönlich nehmen. Wenn man eine Ehe eingeht oder eine Familie gründet, muss man sich zurücknehmen. Sonst geht es nicht.
Möchten Sie zum Schluss noch etwas erwähnen?
Kaufen Sie Künzli-Schuhe! Künzli forever!