Reiche und Firmen
Steuerparadies Zug versus die Schweiz – der Mann, der alle anlockt

Der Zuger Finanzdirektor Heinz Tännler zieht Reiche aus Zürich, Basel und Genf an – und grosse Firmen in Serie. Aber auch Widerstand.
Publiziert: 18.04.2025 um 20:31 Uhr
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Aktualisiert: 18.04.2025 um 20:49 Uhr
Läuft dann zur Bestform auf, wenn ihn die Konkurrenz so richtig triezt: Heinz Tännler, Zuger Finanzdirektor.
Foto: KEYSTONE/Urs Flueeler

Darum gehts

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Stefan Barmettler
Handelszeitung

Heinz Tännler macht niemand etwas vor, wenn es um Gelassenheit geht. Der Zuger Finanzdirektor läuft dann zur Bestform auf, wenn ihn die Konkurrenz so richtig triezt. Manche bezichtigen ihn des Steuerdumpings, doch darauf entgegnet er trocken: «Ach, diese Kritiker – einfach mutlos.» Andere unterstellen ihm, Vermögende mit unfairen Methoden nach Zug zu locken. Auch das kann ihn längst nicht mehr erschüttern. «Den Neid der anderen muss man sich erst erarbeiten», sagt er und lehnt sich zurück im schwarzen Lederschwinger im Büro. Nur ein Vorwurf bringt Tännler auf die Palme: Wenn man ihn bezichtigt, Superreiche aus anderen Kantonen klandestin anzupeilen, um sie dann mit unverschämten Versprechen ins Steuerparadies Zug zu locken. «Das weise ich zurück, wir werben niemanden ab.» Man informiere bloss über die Fakten, falls man angefragt werde, mehr nicht. «Wir sind doch kein unseriöser Tiefsteuerkanton.»

Tännler, Kassenwart im Kanton Zug, ist zweifellos der erfolgreichste Finanzdirektor im Land – und der umstrittenste. Besonders gereizt reagiert man in Wirtschaftsmetropolen wie Zürich, Basel-Stadt und Genf. Denn allzu viel attraktives Steuersubstrat landete in der Zentralschweiz. Grossverdiener wie Sergio Ermotti von der UBS und Jan Jenisch von Holcim leben schon länger im Kanton, später kamen Roche-Präsident Severin Schwan und Roche-Konzernchef Thomas Schinecker, Christoph Franz, Ex-Swiss-Chef und -Roche-Präsident, sowie Barend Fruithof, Chef von Aebi Schmidt, dazu. Der jüngste Zuläufer aus der höchsten Lohnklasse ist Morten Wierod von ABB, der kürzlich von Egg ZH nach Zug zog.

Auch Unternehmen zieht es nach Zug

Nicht nur bei Personen mit hohem Kontostand ist Tännler erste Adresse. Auch bei Firmen punktet er. Eben hat er den Genfer Milliardenkonzern SGS mit seinen Argumenten überzeugt. Zuvor erlagen der Zementkonzern Holcim, der Waschmaschinenbauer Schulthess, die Heimbetreiberin Tertianum und der Medtech-Riese Zimmer Biomet seinem Charme. Alles Firmen, die zuvor im Kanton Zürich ansässig waren, der bei Firmensteuern als wenig konkurrenzfähig gilt.

Artikel aus der «Handelszeitung»

Dieser Artikel wurde erstmals im Angebot von handelszeitung.ch veröffentlicht. Weitere spannende Artikel findest du unter www.handelszeitung.ch.

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Die Abwanderung schlägt sich in den Büchern der Kommunen nieder. Als Schulthess den Hauptsitz von Bubikon ZH nach Baar verschob, erlebte die Landgemeinde ein böses Erwachen: Sie musste den Steuerfuss von 104 auf 118 Prozent heben. Amag, der grösste Autohändler, verlegte den Hauptsitz von Zürich nach Cham, wo man ihm Raum für 950 Mitarbeitende samt gedeckten Parkplätzen bot. «Das Auto gehört ja nicht zu den Lieblingen der Stadtzürcher Regierung», war der letzte Gruss des Amag-Sprechers, dann waren die Firma und ihre Steuermillionen weg.

Regierungsrat Tännler freuts, zumal er sich ohnehin nicht als Politiker sieht, sondern als Unternehmer in einem Konkurrenzkampf, in dem er reüssieren will. Kampfgeist fordert er auch von seinen 270 Mitarbeitenden im Finanzdepartement. «Ein Beamtendenken, das gibts bei mir nicht.» Wer das nicht begreife, mit dem schliesse er nicht noch siebzig Zielvereinbarungen ab, da werde viel früher der Stecker gezogen. «Die Leute schätzen diese Klarheit.» Er selber lebt den Kundenfokus vor: Um 5 Uhr in der Früh schrillt der Wecker, dann werden erste Mails verschickt. Anschliessend gilt: «Ausrücken», wie er die Fahrt ins Büro nennt. Feierabend kennt er nicht. Rund um die Uhr sei «Heinz», wie viele ihn nennen, erreichbar; auch um 22 Uhr oder sonntags reagiere er innert Minuten auf Mails oder SMS. Auch aus Sitzungen bombardiert er sein Personal mit Direktiven.

Den Steuerzahlenden hat er einiges zu bieten. Steuerexperte Livio Bucher zählt auf: «Der Kanton Zug weist sehr kompetitive Einkommens-, Vermögens-, Gewinn- und Kapitalsteuersätze auf – insbesondere bei höheren Progressionsstufen.» Das zeige sich speziell im Vergleich zu Zürich. Aber auch weitere Kantone mit Wirtschaftspotenz, etwa Basel-Stadt, lägen weit zurück. Hätte Novartis-Chef Vas Narasimhan seinen Wohnsitz in Zug statt in Basel, würde er glatt 4 Millionen Franken Steuern sparen. Zweifellos sind derlei Vergleiche ein Trumpf für Tännler. Doch er hat noch einen weiteren auf Lager. «Unsere besten Wirtschaftsförderer sind jene Kantone und Gemeinden, die ihre Kundschaft vergraulen.» Dabei denkt er an die linksgrünen Städte wie Zürich, die ihre Ambitionen mit hohen Einkommensteuern, Menstruationsurlaub und gendergerechten Verkehrsschildern ausleben.

Ernst Stocker schickt die Steuerfahnder los

So heizt Tännler den Wettbewerb unter den Kantonen erst richtig an. Angesäuert ist SVP-Parteikollege Ernst Stocker, Kassenwart im Kanton Zürich. Auf der Website seines Amtes wettert er «gegen steuerliche Dumpingangebote anderer Kantone auf unsere Kosten» und zielt auf Tännler. Stockers Geduld scheint am Ende: Nun will er den Abfluss von Steuersubstrat zumindest bremsen und schickt deshalb seine Steuerfahnder los, um bei Fahnenflüchtigen abzuklären, ob sie ihren Lebensmittelpunkt auch tatsächlich nach Cham, Baar oder Zug verschieben oder bloss pro forma, sprich: zur Steuerminimierung. Alarmstufe Rot ist bei Stocker, wenn einer nach Zug wegzieht, aber weiterhin Immobilien in Zürich hält. Das riecht schon mal verdächtig. Angeblich prüft er aktuell fünfzig Fälle von möglichem Scheinwohnsitz. Steuerberater Bucher meint: «Wegzüge werden vonseiten Zürichs heute viel stärker nachverfolgt als früher.» Der Kanton Zürich schreibt: «Die Gemeindesteuerämter – vor allem dasjenige der Stadt Zürich – und das kantonale Steueramt nehmen regelmässig Domizilabklärungen vor, zumal die Frage nach der Steuerhoheit zu den Hauptaufgaben der Steuerbehörden gehört.» Bestünden Anhaltspunkte auf ein Scheindomizil, werde die Sachlage vertieft geprüft.

Man merkt: Der freundeidgenössische Umgang unter den Kantonen ist passé, vielmehr versucht jede Finanzdirektion, Konzerne und vermögende Personen im Rayon zu halten. Zürich will es jetzt genau wissen und geht schon mal bis vor Bundesgericht oder spricht bei der Eidgenössischen Finanzverwaltung vor, um den eigenen Steueranspruch durchzusetzen. Der jüngste Fall war der eines Medtech-Millionärs, der vom Zürcher Säuliamt ins benachbarte Zugerland zog – ein Fall für Stockers Steuerfahnder. Diesen Frühling verpflichtete das Bundesverwaltungsgericht den Steuerpflichtigen, weiter in Zürich Steuern abzuliefern.

Es wird um jeden Franken gerungen. Der obige Fall dauerte sieben Jahre; im August kam ein Streitfall mit Beteiligung von Zug und Zürich vor Bundesgericht zum Abschluss, der acht Jahre in Anspruch nahm. Es ist der Versuch, mit Gerichten Steuersubstrat zu erhalten, dabei hat es die Wirtschaftsmetropole des Landes sträflich verpasst, bei steigenden Steuereinnahmen die Sätze zu senken. Vor zwanzig Jahren, da lag Zürich bei den Firmensteuern noch im Mittelfeld, heute weist nur noch Bern prohibitivere Sätze aus. Es ist schon fast eine Beleidigung für das stolze Zürich, mit Bern das Schlusslicht zu bilden, denn die Hauptstadt ist chronisch klamm und wird mit 1,4 Milliarden Franken aus dem Nationalen Finanzausgleich (NFA) über Wasser gehalten.

Es geht auch um die Zürcher Politik

Es geht beim Gerangel nicht nur um Franken und Rappen, wie zwei Chefs von Milliardenkonzernen erzählen, die in den letzten zwölf Monaten von Zürich nach Zug dislozierten. Klar spielten Steuerprozente eine Rolle, aber es liege auch an der verschwenderischen Politik und an der mangelnden Dienstleistungsqualität. Die Zürcher Behörden seien arrogant, bürokratisch, wenig flexibel und selten erreichbar. Ein dritter Grossverdiener, der seit Jahren in Zürich Steuern in Millionenhöhe abdrückt, erinnert sich: Er habe zu einem runden Firmenjubiläum die Stadtpräsidentin zum Fabrikbesuch eingeladen, aber nie eine Antwort erhalten.

Ganz anders sei es in Zug: Da werde man empfangen, und der Kanton suche speditiv nach Lösungen, etwa bei Dividendenforderungen auf Aktien, die über Jahre blockiert sind. Obendrein gebe es Tipps für bezugsbereite Wohnungen, Listen von Schulen, selbst bei der Autonummer würden persönliche Wünsche berücksichtigt. Ein Topmanager, der viele Jahre im Ausland verbrachte, meint: Während in Zürich die Bürokratie regiere, habe er im Zugerland eine Willkommenskultur erlebt wie nie zuvor in seiner Karriere. Dazu gehörten der Begrüssungsbrief vom Stadtpräsidenten und ein Telefonat von einem Gemeindeangestellten, der weitere Unterstützung anbiete. Es sind fast schon paradiesische Zustände für Steuerzahlerinnen und Steuerzahler, zumindest für jene mit Spitzeneinkommen und Millionenvermögen.

Tännler geht ideen- und fintenreich ans Werk, abwarten gibt es nicht. Als die Hochsteuerkantone Basel-Stadt, Genf und die Waadt 2019 die Gewinnsteuern massiv senkten, um Firmen anzulocken, reagierte Tännler schnell und aggressiv. Seit 2020 ist er der Tiefsteuermeister im Land – und will es auch bleiben. 2026 tritt der 64-Jährige zur nächsten Regierungsratswahl an.

Tännler-Formel: Eine Steuersenkung plus drei Goodies

Muss Mister Zero Tax nicht grad für Vorträge oder Sitzungen ausrücken, sitzt er am Pult hinter zwei Grossbildschirmen. Von seiner Kommandozentrale aus löst er eine Steuernovelle nach der andern aus – noch tiefer, noch wertschöpfender für die Staatskasse. Allerdings weiss der alte Fuchs, wie er seine Ambitionen für Volk und Parlament bekömmlich gestalten muss. Dafür hat er die Tännler-Formel erfunden: Eine Steuerrevision soll mit drei sozialen Themen garniert sein, damit sie eine Mehrheit findet. Also nicht nur Entlastungen für die Grossfinanz, sondern auch etwas für Mittelstand, Familien und Pensionierte, die unter hohen Mieten und tiefen Leerwohnungsquoten stöhnen.

Die Liste aller Finanztransfers, Ermässigungen oder Subventionen, die der Kanton mittlerweile ausrichtet, wird immer länger. Für 2026 und 2027 werden die Krankenkassenprämien um einen Fünftel gesenkt, die Spitalbehandlungskosten vom Staat übernommen, der Kantonssteuerfuss auf 78 Prozent gesenkt, die Steuerabzüge der Rentnerinnen und Rentner erhöht, der AHV-Beitragssatz für Lohnbezüger reduziert, um so das verfügbare Einkommen zu steigern. Die Kinder- und Ausbildungszulagen hat man ohnehin längst auf das Schweizer Topniveau erhöht. Und wer zu viel Steuern einbezahlt, der profitiert von einem Skonto von 2 Prozent, auch das ist Schweizer Rekord – logisch. Mit all diesen Goodies zuhanden der Normalverdienenden schafft er Mehrheiten – und kann die Linke auf Distanz halten, die seit Jahren nicht mehr in der Regierung vertreten ist. Von derlei paradiesischen Zuständen kann Zürichs Finanzdirektor Stocker nicht einmal träumen.

Tännler wird es nicht langweilig. Denn Genf und Zürich planen hinter den Kulissen den nächsten Angriff auf seine Finanzhochburg. Diesmal setzen sie beim Nationalen Finanzausgleich an und fordern eine steilere Progression beim Super-Beitragszahler Zug. Für Stocker ist klar: «Wir wehren uns gegen Systemfehler im NFA.» Vom Schrauben am Finanzausgleich auf Kosten von Zug hält Tännler nichts. «Für uns inakzeptabel», sagt er.

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