Politikwissenschaftler Francis Fukuyama will die Demokratie auf Vordermann bringen
«Ich mag Dienst am Land»

Wut bestimmt die aktuelle Weltpolitik – darum gilt es, die Demokratie wieder auf Vordermann zu bringen, fordert Professor Francis Fukuyama.
Publiziert: 11.03.2019 um 23:00 Uhr
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Aktualisiert: 11.03.2019 um 23:01 Uhr
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Francis Fukuyama (66), Autor und Politikwissenschaftler.
Foto: Getty Images

Donald Trump ist seit zwei Jahren im Amt, der Brexit nur noch Wochen entfernt und in Polen, Ungarn und anderen Ländern werden die nationalistischen Tendenzen kurz vor der Europawahl im Mai immer stärker. Da kommt «Identität – wie der Verlust der Würde unsere Demokratie gefährdet» von Francis Fukuyama (66) genau zur richtigen Zeit. 30 Jahre nach «Das Ende der Geschichte» hat der Stanford-Professor einen neuen Bestseller vorgelegt. Darin vollzieht er nach, wie Wut die aktuelle Weltpolitik bestimmt – und warum mangelnde Anerkennung Populisten Aufschwung gibt.

BLICK traf Fukuyama in Wien, wo er am nächsten Tag unter anderem mit Österreichs Bundespräsident Alexander Van der Bellen (75) darüber diskutieren wird, wie die Demokratie wieder auf Vordermann gebracht werden kann.

BLICK: Alle wollen gerade von Ihnen wissen, warum sich immer mehr Menschen antidemokratischen Strömungen zuwenden. Welche Frage wurde Ihnen noch nicht gestellt?
Francis Fukuyama:
Ich habe gar keinen Protest oder Kritik von rechts bekommen. Vermutlich, weil mich nur liberale Journalisten interviewen. Spannend ist aber, dass die Journalisten in Europa andere Fragen stellen als die in den USA.

Inwiefern?
Nationalismus durch rechtspopulistische Parteien wird hier als viel grössere Bedrohung wahrgenommen. Orban, die Entwicklungen in Polen, die AfD – das besorgt die Europäer gerade immens.

Sie hatten in «Das Ende der Geschichte» den Siegeszug der Demokratie verkündet. Seit die Zahl der demokratischen Staaten in den letzten zehn Jahren erschreckend schnell zurückging, mussten Sie sich für Ihre These rechtfertigen. Ist Ihr neues Buch die Antwort an die Kritiker?
Nein, eine Fortsetzung. Ich habe damals in einigen Kapiteln schon von «Thymos» geschrieben – unserer Suche nach Anerkennung. Und deswegen, schrieb ich, könne Demokratie auch eventuell nicht stabil sein – weil der reine Wohlstand vielleicht nicht ausreicht, um das Bedürfnis nach Anerkennung zu erhalten. Das kann dann die Form von Nationalismus annehmen, von Religion oder eines Einzelnen, der dann die Politik als Vehikel nimmt.

Trump?
Ich habe ihn damals schon erwähnt und dachte, er habe das Gefühl als Immobilienmogul und Fernsehstar befriedigt. Das hat ihm offensichtlich doch nicht gereicht.

Sie schreiben, eine gesunde nationale Identität könne durch Militärdienst entstehen oder durch strikte Regeln für eine Staatsbürgerschaft …
Keine strikten, nein. Ich mag Dienst am Land, das kann aber auch ein Zivildienst sein. Die Idee, dass eine Staatsbürgerschaft auch Verpflichtungen mit sich bringt, ist eine gute Idee. Aber in vielen Ländern könnten die Zugänge auch erleichtert werden. Deutschland und die Schweiz sind viel zu restriktiv.

Ich wollte gerade sagen, dass die Schweiz doch alles richtig macht.
Es ist schwierig, eine Schweizer Staatsbügerschaft zu bekommen. Dabei ist sie der ultimative Weg, um jemanden zu integrieren – man verleiht ihm die gleichen Rechte und Verpflichtungen wie jedem anderen. Wenn es zu hart ist, das zu bekommen, führt dies zum Ausschluss von Menschen aus einer Gesellschaft.

Arbeit ist für die Anerkennung doch sicher auch wichtig.
Superwichtig! In einer kapitalistischen Gesellschaft bedeutet ein Job, dass die Gesellschaft findet: Du bist es wert, bezahlt zu werden, dass deine Arbeit Würde hat.

Demokratie-Spezialist Francis Fukuyama

Der 66-jährige Politikwissenschaftler Francis Fukuyama lehrt an der Stanford University in Kalifornien. Er wurde 1989 nach dem Ende des Kalten Kriegs und dem Zusammenbruch des Kommunismus mit seiner These vom Ende der Geschichte bekannt. Der politische und ökonomische Liberalismus habe gesiegt, eine Alternative gebe es nicht, sagte er. Später zeigte Fukuyama vor allem auch Defizite der Demokratie auf. Diese lägen in der Umsetzung, nicht in der Idee. Fukuyama ist der Enkel japanischer Einwanderer und wurde in Chicago (USA) geboren. In seiner Freizeit schreinert er Möbel im Kolonialstil. Fukuyama ist verheiratet und hat drei Kinder.

Der 66-jährige Politikwissenschaftler Francis Fukuyama lehrt an der Stanford University in Kalifornien. Er wurde 1989 nach dem Ende des Kalten Kriegs und dem Zusammenbruch des Kommunismus mit seiner These vom Ende der Geschichte bekannt. Der politische und ökonomische Liberalismus habe gesiegt, eine Alternative gebe es nicht, sagte er. Später zeigte Fukuyama vor allem auch Defizite der Demokratie auf. Diese lägen in der Umsetzung, nicht in der Idee. Fukuyama ist der Enkel japanischer Einwanderer und wurde in Chicago (USA) geboren. In seiner Freizeit schreinert er Möbel im Kolonialstil. Fukuyama ist verheiratet und hat drei Kinder.

Kann sich unsere Identität durch Anerkennung ändern?
Definitiv. Das Spannende ist ja, dass Identität nicht fix und erst recht nicht biologisch ist. Also kann sie auch positiv genutzt werden. Wir sollten uns auf integrative Identitäten besinnen.

Und wenn wir das nicht schaffen?
In den USA ist das so weit überdreht, dass sich Politiker auf der rechten und linken Seite gegenseitig nicht mehr als Amerikaner anerkennen. Und dann schliessen sie keine Kompromisse mehr und legen lieber die Regierung lahm, als sich damit auseinanderzusetzen.

Als Trump die Regierung im Januar für sechs Wochen lahmlegte, sanken seine Zustimmungswerte.
Aber nur kurz. Seine Beliebtheit steigt langsam wieder, seit der Shutdown beendet ist.

Woran liegt das?
Daran, was die Demokraten sich gerade selbst antun. Trump ist bei den Linken so verhasst, dass alle wetteifern, wer am wenigsten wie er sein kann. Trump will Reiche weniger besteuern und als Effekt wollen die Demokraten Reiche stärker besteuern. Das kommt aber bei den Menschen nicht an.

Der Shutdown hat für die Demokraten also keine Wende gebracht?
Nein.

Was ist mit dem demokratischen Shootingstar, Alexandria Ocasio-Cortez? Sie ist jung, weiblich und schon nach zwei Monaten im Kongress aufgefallen.
Im gemässigten Demokraten-Lager hat sie keine Unterstützung. Die Partei wird von ihrem aktivistischen Flügel dominiert. Alle überbieten sich, wer der extremste Kandidat ist, und AOC hat es geschafft, diese Position schnell zu besetzen. Und nun will jeder beweisen, dass er mindestens so radikal ist wie sie. Aber das ändert nichts am Verhalten des durchschnittlichen Wählers.

Die Demokraten laufen sich schon für die Vorwahlen warm. Wer könnte es mit Trump aufnehmen?
Ich mag Amy Klobuchar, eine Senatorin aus Minnesota. Sie ist eine Frau und politisch in der Mitte. Oder Sherrod Brown, der Gouverneur von Ohio. Oder der Gouverneur von Colorado, der sich gerade erst angekündigt hat. Wenn die Demokraten jemanden aus dem linken Lager nominieren, verlieren sie vermutlich gegen Trump.

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