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Ökonomen zur AHV-Steuervorlage
Arbeitsplätze kaum gefährdet

Die AHV-Steuervorlage sichere Arbeitsplätze, behauptet der Bundesrat. Experten korrigieren: Nicht Arbeitsplätze, höchstens Steuersubstrat würde bei höheren Steuern ins Ausland verlegt.
Publiziert: 04.05.2019 um 23:52 Uhr
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Aktualisiert: 05.05.2019 um 21:47 Uhr
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Ökonomieprofessor Reiner Eichenberger: «Nicht die Arbeitsplätze werden abwandern, sondern die Gewinne.»
Foto: Daniel Kellenberger
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Claude ChatelainKolumnist und Wirtschafts-Publizist

 Der Bundesrat sagt: «Die Steuerreform ­sichert Arbeitsplätze und Steuereinnahmen.» Deshalb empfiehlt er die AHV-Vorlage zur Annahme. Schon bei den früheren 
Unternehmenssteuerreformen, die an der Urne gescheitert sind, argumentierten die Magistraten mit der Sicherung von Arbeitsplätzen.

In der Schweiz gibt es, grob gesagt, zwei Typen von Unternehmen: Die ­einen haben steuerliche Privilegien – die anderen haben sie nicht. Steuerlich bevorzugt sind insbeson­dere internationale Gesellschaften, die ihren Steuersitz in die Schweiz verlegt haben. Geht gar nicht, meint die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.

Warum Steuern nicht erhöhen?

Die OECD droht: Falls diese ungleiche Behandlung nicht gestoppt wird, kommt die Schweiz auf die schwarze Liste. Also will Bundesbern die Privilegierung der sogenannten ­Statusgesellschaften aus dem Weg schaffen.

Darüber sind sich alle ­einig.

Uneinigkeit jedoch herrscht in der Frage, wie das im Einzelnen geschehen soll. Grundsätzlich gibt es zwei Möglichkeiten: Man senkt die Steuern für die nicht privilegierten Unternehmen – oder man erhöht die Steuern für die privilegierten.

Diskutiert wird aber immer nur über die erste Variante. Die zweite Variante, die der Steuererhöhung, steht für Bund und Wirtschaft ausser Frage.

Gewinne wandern ab, nicht Arbeitsplätze

Warum eigentlich? Würden die Steuern der Statusgesellschaften jenen der nicht privilegierten Unternehmen angepasst, stiegen die Steuereinnahmen insgesamt um über acht Mil­liarden Franken. Betroffen wären 24'000 Statusgesellschaften mit rund 
150'000 Arbeitsplätzen.

Kurt Schmidheiny, Wirtschaftsprofessor an der Universität Basel, ist überzeugt: «Wenn die heute privilegierten Firmen den aktuell ordentlichen Tarif in Kantonen mit hohen ordentlichen Sätzen zahlen müssten, dann würde es ganz bestimmt zu einer substanziellen Abwanderung von Steuersubstrat und auch von Arbeitsplätzen kommen.»

Andere Ökonomen widersprechen da allerdings. So auch Reiner Eichenberger, Professor an der Universität Freiburg. Der sagt: «Nicht die Arbeitsplätze werden abwandern, sondern die Gewinne.»

«Statusgesellschaften reagieren sehr empfindlich»

Mit kreativer Buchhaltung könnten Firmen ihre Gewinne viel leichter verlagern als die Arbeitsplätze. Nur Gesellschaften, die kaum Leute beschäftigten, sind laut Eichenberger wirklich mobil und könnten ihren Sitz problemlos an ­einen steuergünstigen Standort verlegen.

Das sieht auch Marius Brülhart so. Der Wirtschaftsprofessor an der Universität Lausanne forschte nach 
der idealen Steuerreform, die internationalen Normen entsprechen und die Steuereinnahmen in der Schweiz möglichst bewahren würde. Er sagt: «Es geht um das Steuersubstrat, nicht so sehr um die Arbeitsplätze.»

Dass bei Steuererhöhungen in Ländern wie ­Irland oder den Niederlanden Steuersubstrat abwandern würde, ist für Brülhart klar. «Statusgesellschaften reagieren sehr empfindlich auf Steuererhöhungen.»

Das gelte vor allem für solche mit wenigen Beschäftigten und entsprechend hoher Mobilität. In der Schweiz sind das etwa Firmen, die nur ihren Holdingsitz hier haben, Handelsgesellschaften oder Unternehmen, die von der Schweiz aus weltweites Marketing betreiben.

Bund würde Einnahmen verlieren

Brülhart schätzt, dass Statusfirmen sechs- bis achtmal stärker auf Steuern reagieren als normal besteuerte Firmen.

Wie wichtig das Steuersubstrat von Statusgesellschaften ist, demonstriert Wirtschaftsprofessor Brülhart am Beispiel der direkten Bundessteuer.

Im Unterschied zu den Kantonen besteuert der Bund alle juristischen Personen mit einem einheitlichen Satz von 8,5 Prozent. Die Hälfte dieser Steuereinnahmen juristischer Personen, rund 5,5 Milliarden Franken, stamme von den Statusgesellschaften. Verlegen diese ihren Steuersitz ins Ausland, entgehen vor allem dem Bund Steuereinnahmen. Studien bestätigten übrigens, dass der Faktor Steuern für die Wirtschaft zwar wichtig, aber nicht der wichtigste ist. Vor einer Woche publizierte das Beratungsunternehmen McKinsey in diesem Zusammenhang Resultate einer Befragung.

Bei den wichtigsten Standortfaktoren liegt die Belastung durch Unternehmenssteuern demnach nur auf Platz drei. Als wichtiger gelten die Verfügbarkeit von Fachkräften sowie die politische Stabilität.

Darüber stimmen wir ab

Am 19. Mai entscheidet die Schweiz über die AHV-Steuervorlage (Staf). Bei einem Ja erhält die AHV mehr Geld, massgeblich finanziert durch Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Das ist ganz im Sinne der Linken.

Zugleich sollen die Unternehmenssteuern in grossem Umfang gesenkt werden – dafür machen sich die Rechten stark.

Die Parlamentsmehrheit ­einigte sich auf die Verknüpfung beider Vorlagen, damit die Linke nicht die unliebsamen Steuersenkungen bekämpft und die Rechte die Kröte der AHV-Finanzierung via Lohnprozente schluckt. Kritische Beobachter sprechen von ­einem Kuhhandel. Das Schweizer Volk muss über die Vorlage abstimmen, weil eine linksgrüne Allianz das Referendum ergriffen hat.
Mit dem STAF erhalten die Kantone vom Bund mehr Geld und zusätzliche Möglichkeiten, den Firmen Abzüge zu gewähren.

Das sollte ihnen den finan­ziellen Spielraum geben, die Steuern für juristische Personen zu senken und damit die Abwanderung von Firmen zu verhindern und laut offizieller Lesart Arbeitsplätze zu sichern.

Am 19. Mai entscheidet die Schweiz über die AHV-Steuervorlage (Staf). Bei einem Ja erhält die AHV mehr Geld, massgeblich finanziert durch Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Das ist ganz im Sinne der Linken.

Zugleich sollen die Unternehmenssteuern in grossem Umfang gesenkt werden – dafür machen sich die Rechten stark.

Die Parlamentsmehrheit ­einigte sich auf die Verknüpfung beider Vorlagen, damit die Linke nicht die unliebsamen Steuersenkungen bekämpft und die Rechte die Kröte der AHV-Finanzierung via Lohnprozente schluckt. Kritische Beobachter sprechen von ­einem Kuhhandel. Das Schweizer Volk muss über die Vorlage abstimmen, weil eine linksgrüne Allianz das Referendum ergriffen hat.
Mit dem STAF erhalten die Kantone vom Bund mehr Geld und zusätzliche Möglichkeiten, den Firmen Abzüge zu gewähren.

Das sollte ihnen den finan­ziellen Spielraum geben, die Steuern für juristische Personen zu senken und damit die Abwanderung von Firmen zu verhindern und laut offizieller Lesart Arbeitsplätze zu sichern.

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