Foto: Keystone

Nicht nur Coop verstösst gegen das Arbeitsgesetz
Deshalb sind Detailhandels-Jobs so brutal

Der Konkurrenzkampf im Detailhandel ist gnadenlos, die Margen klein. Eine üppige Personaldecke liegt nicht mehr drin. Deshalb sind Verstösse gegen das Arbeitsgesetz eher die Regel denn die Ausnahme – bei allen Playern in der Branche.
Publiziert: 28.01.2020 um 23:01 Uhr
|
Aktualisiert: 29.01.2020 um 16:33 Uhr
Teilen
Anhören
Kommentieren
1/7
Trotz immer längerer Betriebszeiten stellen die Detailhändler nicht mehr Leute ein. Zu heftig ist der Konkurrenzkampf, zu gross der Margendruck.
Foto: Siggi Bucher
Christian Kolbe, Sven Zaugg

Ausgelaugte Mitarbeiter, Angst vor den Chefs, Angestellte, die Unmenschliches leisten. Coop muss sich dieser Tage happige Vorwürfe gefallen lassen. Seit BLICK gestern als erste Zeitung ein brisantes internes Dokument veröffentlichte, das Hunderte Verstösse gegen das Arbeitsgesetz auflistet, brennt der Baum in der Führungsetage des Detailhandelsriesen. Die Situation ist gravierend. Coop gelobt Besserung.

Auch wenn es aufgrund der Coop-Insider-Informationen den Anschein macht, der Grossverteiler sei das schwarze Schaf der Branche, ist dieser Eindruck falsch. Vielmehr hat der gesamte Detailhandel ein grosses Problem mit der Einhaltung der Arbeitszeiten und somit des Arbeitsgesetzes.

«Das ist ein allgemeines Branchenproblem. Das betrifft nicht Coop alleine», sagt Arnaud Bouverat (40) von der Gewerkschaft Unia.

Scharfer Konkurrenzkampf

BLICK wollte deshalb von Migros, Aldi und Lidl – den wichtigsten Konkurrenten von Coop – wissen, wie es denn bei ihnen um die Einhaltung der Arbeitszeiten steht. Die Antworten sprechen Bände, auch wenn keiner der angefragten Detailhändler grössere Probleme eingestehen will. Sowohl Aldi wie auch Lidl schreiben vom «hohen Stellenwert», den die beiden deutschen Discounter im Schweizer Markt der Einhaltung der gesetzlich festgelegten Arbeitszeiten geben.

Allerdings räumen beide auch ein, dass es trotz ausgeklügelten digitalen Instrumenten der Personalplanung zu Verstössen bei der Arbeitszeit kommen kann. Etwa wegen einer «Störung in der Kühlanlage» (Aldi) oder wegen «nicht planbarer Absenzen bei Krankheit und Unfällen von Mitarbeitenden» (Lidl).

Das Problem: «Der Konkurrenz- und Preisdruck in der Branche ist gross. Die Anbieter dünnen die Personaldecke immer mehr aus», sagt Gewerkschafter Bouverat. «Das heisst, sie können auf kurzfristige Engpässe nicht mehr reagieren.» Ausbaden müssen das diejenigen Mitarbeiter, die dann noch in der Filiale anwesend sind.

Auch bei der Migros heisst es: «Die Migros nimmt die gesetzlichen Vorgaben ernst», der Schutz der Mitarbeitenden sei ihr sehr wichtig. Verstösse gegen das Arbeitsgesetz kann auch die Migros nicht ausschliessen, allerdings seien das «Einzelfälle».

Filialen immer länger geöffnet

Für Gewerkschafter Bouverat ist klar, wo das Hauptproblem liegt: «Die immer längeren Ladenöffnungszeiten bringen die Detailhändler in Konflikt mit dem Arbeitsgesetz.» Denn trotz längerer Betriebszeiten stellen die Detailhändler nicht mehr Leute ein, zu heftig ist der Konkurrenzkampf, zu gross der Margendruck. Verschärft hat sich die Situation auch, weil viele Läden nicht nur später schliessen, sondern auch immer früher öffnen – um Pendlern und Frühaufstehern Kaffee und frische Gipfeli anzubieten.

Für die Durchsetzung des Arbeitsgesetzes sind die Kantone verantwortlich. Genauer: die kantonalen Arbeitsinspektorate. Das Problem: Die Behörden sind massiv unterdotiert. In der Regel arbeiten nur einige wenige Personen im Arbeitsinspektorat. Sie müssen Zehntausende Betriebe kontrollieren.

BLICK weiss, im Kanton Bern wurden letztes Jahr lediglich 30 Betriebskontrollen bei Coop durchgeführt. Das heisst, jede zweite Woche tauchte ein Arbeitsinspektor in einer Berner Coop-Filiale auf. Nicht zwingend, um Bussen zu verhängen: «Es entspricht nicht unseren Vollzugsgrundsätzen, möglichst viele Anzeigen zu erstatten. Unser Ziel als Arbeitsinspektoren ist es, die Situation in den kontrollierten Betrieben zu verbessern.» », sagt Thomas Kräuchi (57), Leiter Arbeitsbedingungen im Kanton Bern.

Teilen
Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?
Externe Inhalte
Möchtest du diesen ergänzenden Inhalt (Tweet, Instagram etc.) sehen? Falls du damit einverstanden bist, dass Cookies gesetzt und dadurch Daten an externe Anbieter übermittelt werden, kannst du alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen lassen.