Wenn es im Bund um Fragen der Arbeit geht, ist das Berner Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) zuständig. Zum Seco gehört auch die Direktion für Arbeit. Ihr ist die Abteilung «Arbeitsbedingungen» angegliedert. Sie identifiziert und beobachtet – notabene für viel Steuergeld – «Gesundheitsrisiken am Arbeitsplatz».
Alle fünf Jahre führt die Abteilung mit dem Bundesamt für Statistik die Befragung «Arbeit und Gesundheit» durch. Aus der aktuellen Studie geht hervor, dass sich 6,8 Prozent der Schweizer Erwerbstätigen am Arbeitsplatz gemobbt fühlen.
In der Anti-Mobbing-Behörde selbst geht man mit den Mitarbeitern offenbar alles andere als vorbildlich um. Dies zeigt der Fall der 55-jährigen Sachbearbeiterin S. M.*, die vor einem Jahr begann, für das Seco zu arbeiten.
M. hatte sich auf eine 70-Prozent-Stelle als Assistentin für die Seco-Studie «Psychosoziale Risiken» beworben. Bei den Vorstellungsgesprächen fragte man, ob sie bereit sei, vorläufig für eine Sekretärin einzuspringen, die gekündigt hatte. Und ob sie 80 statt 70 Prozent arbeiten könne. M. sagte zu – in der Annahme, danach an der Studie mitarbeiten zu können.
Dreieinhalb Wochen kein Internet
Schon der Start jedoch verlief denkbar schlecht. Dreieinhalb Wochen wartete M. auf einen Internet-Zugang. Als sie sich bei den Kollegen beschwerte, bekam sie als Antwort nur: «Mais le mien, il marche» – meiner funktioniert aber! M. musste gleichzeitig diverse Arbeiten erledigen. Nur nicht die, für die sie sich beworben hatte.
Als sie begann, sich zu nerven, suchte M. das Gespräch mit der Personalabteilung. Ihr Chef stauchte sie dafür zusammen – welche Arbeit sie genau zu erledigen hätte, konnte er ihr aber immer noch nicht erklären.
Für Alex Müller (78) erfüllt diese bewusste Unterforderung den Tatbestand des Mobbing. Der Personal-Experte (Interview Seite 4): «Das sind ganz klar Führungsfehler», in Fachkreisen spreche man von «Bossing». Früher oder später führe diese Praxis zur Kündigung des Mitarbeiters.Noch ist es bei M. nicht so weit. Dass sie Mobbing-Opfer sein könnte, will sie sich nicht eingestehen.
Eine Funktionszulage von 240 Franken, auf sie wegen der Sekretariatsvertretung Anspruch hatte, musste M. sich erstreiten. Der Chef hatte ihr nur eine anteilige Leistungsprämie angeboten. M. fand auch heraus, dass sie als einzige Sekretärin der Abteilung Lohnstufe 14 bezog – alle anderen wurden nach Lohnstufe 15 bezahlt. Weshalb, konnte ihr niemand erklären. Nach fünf Monaten und wiederholtem Nachhaken erhielt sie schliesslich ein Pflichtenheft – ihre wichtigsten Tätigkeiten waren: Ordnung halten beim Drucker, Pflanzen giessen, Kondolenz-Karten organisieren (siehe Ausriss). Für KV-Absolventin M., die schon für die Uni Bern und den früheren Bundesratssprecher Oswald Sigg (72) gearbeitet hat, war dies ein Affront. Und nicht die Arbeit, für die sie sich beworben hatte: «Ich fühlte mich wie eine billige Hilfskraft!»
199.65 Franken für 4,74 Minusstunden
Juristisch ist das Ganze wohl ein Grenzfall. Der Arbeitsrechtler Thomas Geiser (63) von der Uni St. Gallen: «Neue Aufgaben sind nur dann zulässig, wenn sie im Rahmen dessen sind, was vereinbart wurde.» Aufgaben, auf die man sich nicht verständigt hat, brauche man nicht auszuführen.
M. hatte jedenfalls genug. Nach nur fünf Monaten bei der Abteilung Arbeitsbedingungen reichte sie die Kündigung ein – trotz ihres Alters, das auf dem Arbeitsmarkt als Handicap gilt. «Ich hatte noch gedacht, das wird meine letzte Stelle vor der Pensionierung.»
Im Januar war für M. der letzte Arbeitstag. Zum Abschied stellte ihr das Seco 199.65 Franken in Rechnung – wegen 4,74 Minusstunden. M. schrieb einen langen Brief an Seco-Generalsekretärin Marie-Gabrielle Ineichen-Fleisch (55). Die antwortete nur, dass das Amt sich in einer «Reorganisationsphase» befinde.
Auf Anfrage von SonntagsBlick lässt die Seco-Kommunikationsabteilung wissen, dass sie sich zu Einzelpersonen weder äussern könne noch wolle. Eine Sprecherin beteuert aber: «Das Seco duldet kein Mobbing!» Es würden regelmässig Personalbefragungen durchgeführt. «Die Werte betreffend Arbeitszufriedenheit im Leistungsbereich Arbeitsbedingungen liegen im Durchschnitt der Bundesverwaltung.»
Mobbing hat viele Formen: Beschimpfungen gehören dazu, aber auch stilles Ausgrenzen, das Ausstreuen von Gerüchten ebenso wie das Vorenthalten von Informationen, Sticheleien und Beleidigungen oder das Verweigern von Kontakt. Dabei macht die Dosis das Gift: Experten sprechen von Mobbing, wenn es systematisch, regelmässig und gezielt stattfindet.
Anwältin Daniela Giovanoli ist auf Mobbing-Opfer spezialisiert, empfängt wöchentlich ein Opfer: «Mobbing ist immer noch und immer wieder ein Thema», sagt sie, Betroffen seien beide Geschlechter, die Dunkelziffer sei hoch. Ihr Rat: «Betroffene sollten Beweise für unfaires Verhalten Ihrer Vorgesetzten oder Kollegen sammeln.» Das heisst Gespräche und Abmachungen protokollieren und – wenn Gespräche nichts nützen – den Arbeitgeber einschalten. Giovanoli: «Er hat eine Fürsorgepflicht.»
Experten warnen aber auch, dass «Mobbing» in den letzten Jahren zum Modebegriff geworden sei. Denn: nicht jedes strenge Wort, nicht jede verweigerte Beförderung ist Mobbing.
Mobbing hat viele Formen: Beschimpfungen gehören dazu, aber auch stilles Ausgrenzen, das Ausstreuen von Gerüchten ebenso wie das Vorenthalten von Informationen, Sticheleien und Beleidigungen oder das Verweigern von Kontakt. Dabei macht die Dosis das Gift: Experten sprechen von Mobbing, wenn es systematisch, regelmässig und gezielt stattfindet.
Anwältin Daniela Giovanoli ist auf Mobbing-Opfer spezialisiert, empfängt wöchentlich ein Opfer: «Mobbing ist immer noch und immer wieder ein Thema», sagt sie, Betroffen seien beide Geschlechter, die Dunkelziffer sei hoch. Ihr Rat: «Betroffene sollten Beweise für unfaires Verhalten Ihrer Vorgesetzten oder Kollegen sammeln.» Das heisst Gespräche und Abmachungen protokollieren und – wenn Gespräche nichts nützen – den Arbeitgeber einschalten. Giovanoli: «Er hat eine Fürsorgepflicht.»
Experten warnen aber auch, dass «Mobbing» in den letzten Jahren zum Modebegriff geworden sei. Denn: nicht jedes strenge Wort, nicht jede verweigerte Beförderung ist Mobbing.
Wie anders waren da die Erfahrungen von M.: Die Stimmung in der Abteilung sei stets frostig gewesen. Innerhalb eines Jahres hätten vier von fünf Sachbearbeiterinnen die Kündigung eingereicht. Auch dies möchte das Seco nicht kommentieren. Stattdessen schreibt die Kommunikationsabteilung: «Der Leistungsbereich Arbeitsbedingungen wie auch die Direktion für Arbeit sind bestrebt, die ihnen zukommende Vorbildfunktion zu erfüllen.»