Milchpreis-Krise zwingt Bauer Hagenbuch zum Verkauf seiner Kühe
«Als ob man mir den Lebensnerv durchschneidet»

Seit Kindsbeinen war Hans Hagenbuch um Kühe herum. Seit Samstag ist Schluss damit. Hagenbuch hat alle Kühe verkauft. Der tiefe Milchpreis liess ihm keine andere Wahl.
Publiziert: 25.07.2017 um 23:08 Uhr
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Aktualisiert: 01.10.2018 um 02:56 Uhr
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Hans Hagenbuch und sein Mitarbeiter Marek Dzieciolowski nehmen den Kühen vor dem Verladen die Erkennungsmarken des Futterautomaten ab.
Foto: Mirko Ries
Guido Schätti (Text), Mirko Ries (Fotos)

Auf diesen Tag hat sich Hans Hagenbuch eineinhalb Jahre lang vorbereitet. Morgens um sieben Uhr fährt der Viehhändler Erwin Bühlmann auf seinem Hof vor und holt die letzten der ehemals 75 Kühe ab. 20 gehen mit der ersten Ladung weg. Die letzten zehn holt ein zweiter Laster kurz nach elf Uhr. 

Für Hagenbuch ist das ein sehr emotionaler Tag. Seine Kühe werden auf einem anderen Hof weiterleben, doch für ihn geht ein Lebensabschnitt zu Ende. Immer war er Milchbauer. Als Bub half er morgens vor der Schule dem Vater im Stall. Ausgerechnet an seinem 59. Geburtstag wird er erstmals ohne Kühe aufwachen. 

«Nur ein Chüeni war ich nie»

Hagenbuch ist ein drahtiger Typ, hellwach, topfit, ständig unter Strom. Ein gebrochener Mann sieht anders aus. Dass ihm der Verkauf der Kühe so zu schaffen macht, hat ihn selbst überrascht. «Ein richtiger Chüeni schaut den Kühen besser als der Frau. So einer war ich nie», sagt er.

Nie setzte er nur auf die Milchwirtschaft. Er baute einen Maschinenhandelsbetrieb auf, war zwölf Jahre lang Gemeindepräsident in Oberlunkhofen AG und sass für die SVP im Grossen Rat. Um die Kühe kümmerte sich hauptsächlich ein Mitarbeiter.

Der Kopf hat entschieden, aber der Bauch macht nicht mit

«Ich habe immer gesagt, wenn ich keinen Mitarbeiter mehr finde, dann rufe ich am nächsten Tag den Viehhändler an», sagt Hagenbuch. Anfang 2016 war es so weit. Hagenbuch fand keinen mehr. Doch die Kühe verkaufen, das ging nicht. Er konnte nicht mehr schlafen. Stürzte in ein tiefes Loch. «Ich habe mich von einer neuen Seite kennengelernt.»

Hunderte von Bauern stehen jedes Jahr vor der gleichen Situation. 14'000 Milchbauern stiegen in den letzten 15 Jahren aus. Pro Jahr hängen drei Prozent den Melkstuhl an den Nagel. Damit sei «der Strukturwandel in diesem Bereich deutlich höher als in der Landwirtschaft insgesamt», steht in der Milchstatistik 2015.

Bauern erhalten 35 Prozent weniger für die Milch

Die Bauern kapitulieren unter dem Zerfall des Milchpreises. Im Jahr 2000 kriegten sie knapp 80 Rappen für den Liter Milch, im April 2017 noch 52 Rappen. Wenn er strikt betriebswirtschaftlich rechne, bleibe ihm ein Stundenlohn von 10 Franken, sagt Hagenbuch. «Es kann doch nicht sein, dass alle anderen gut verdienen an der Milch, aber der Bauer nichts erhält.»

Im Kopf stand der Entscheid zum Ausstieg schon lange. Hagenbuch legte sich ein Programm zurecht, um Bauch und Herz zu überzeugen. Seine Therapie: Er kümmerte sich von morgens bis abends nur noch um die Kühe. «Ich habe mich so unter Druck gesetzt, bis ich nicht mehr konnte.»

Hagenbuchs Rezept funktioniert

Hagenbuchs Rezept funktioniert ganz gut an diesem Morgen. Solange er in Bewegung ist, ist ihm nichts anzumerken. Beim Verladen der Tiere legt er kräftig Hand an, ist überall anzutreffen. Wie ein Jungspund hüpft er über die Trennwände im Stall. Nur wenn nichts läuft, kommen die trüben Gedanken.

Wie es ihm gehe, will die Tochter wissen, als die erste Ladung weg ist. «Wenn ich allein bin, gut», scheucht er sie weg. Und schon tut es ihm leid. Die Kühe wegzugeben sei, als ob man ihm dem Lebensnerv durchschneide, sagt er. «Aber ich schaffe das», redet er sich Mut zu.

Viele Bauern können sich den Ausstieg nicht leisten

Hagenbuch kann sich den Ausstieg leisten. Stall und Maschinen sind abgeschrieben, der Kredit bei der Bank ist abgestottert. Andere Bauern haben diese Freiheit nicht. Der Ausstieg wäre ihr Ruin. Ihnen bleibt nichts anderes übrig, als für den Hungerlohn zu arbeiten, den ihnen die Abnehmer für die Milch zahlen. 

Was wird er anfangen mit all der Zeit, die er nun hat? Hagenbuch wird sich wieder um den Maschinenhandel kümmern. «Zudem werde ich Freundschaften pflegen und Bekannte besuchen. Darauf freue ich mich.»

Und ganz auf seine Lieblingstiere verzichten muss er auch in Zukunft nicht: Unter den Obstbäumen wird er eine Handvoll Rinder weiden lassen. 

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