Schweizer Unternehmen setzen verstärkt auf kurzfristig engagiertes Personal. In 17 Jahren ist die Zahl der Temporären von rund 150'000 auf inzwischen über 300'000 gestiegen.
Der Ökonom Marius Osterfeld von der Branchenorganisation Swissstaffing fasst zusammen: «Seit 2000 hat sich der Anteil der Temporärarbeit an der Gesamtbeschäftigung mit heute 2,2 Prozent verdoppelt.»
Auch das Profil der zeitweilig Beschäftigten sei mittlerweile anders. Früher wurden vor allem Hilfskräfte temporär engagiert. Heute weisen 68 Prozent der so Beschäftigten eine mittlere Bildungsstufe auf. Sie verfügen über eine abgeschlossene Berufsausbildung, etwa eine kaufmännische oder eine Handwerkerausbildung.
Das neue Heer von kurzfristig engagierten Arbeitern erledigt inzwischen qualifizierte Jobs – auf Baustellen, aber auch in Dienstleistungsbetrieben. Temporärarbeit in der Schweiz boomt. So hat sich die Zahl der Betriebe, die in der Vermittlung von Personal tätig sind, seit 2006 von 1878 auf inzwischen über 2600 erhöht.
Vor allem auf fest angestellte Mitarbeiter setzt der Meilemer Malermeister Rolf Schlagenhauf (46). 2004 übernahm er den mittelgrossen Betrieb mit mehreren Standorten rund um den Zürichsee, mehrmals wurde er für seinen verantwortungsvollen Umgang mit dem Personal ausgezeichnet: 2014 schaffte es Schlagenhaufs Firma unter anderem auf den dritten Platz der Schweizer Arbeitgeber-Awards.
Wo holt man kurzfristig Leute her?
Gerade kam ein neuer Auftrag: Am Montag müssen dafür kurzfristig fünf Leute aufgeboten werden. Schlagenhauf: «Wo soll ich die so kurzfristig herholen?»
Jetzt im Winter kann er dafür auf sein eigenes Personal zurückgreifen, umdisponieren genügt. «Im Sommer, wenn auf den Baustellen Hochbetrieb herrscht, greife ich manchmal auf Temporärkräfte zurück», so Schlagenhauf. Deren Anteil an der Gesamtzahl seiner Mitarbeiter überschreite selten zehn Prozent.
Doch seit ein paar Jahren kämpft die Branche mit einem neuen Phänomen: Kleinstfirmen, die nur auf dem Papier existieren, bewerben sich um grosse Aufträge. Erhalten sie den Zuschlag, holen sie sich ihr Personal einfach beim nächsten Personalvermittler – oder reichen die Aufträge an Subfirmen weiter.
Für Unternehmen mit Stammpersonal wie seines ist das ein Problem, erklärt Malermeister Schlagenhauf. Durch Dumping-Offerten solcher virtuellen Firmen geraten Anbieter wie er unter die Räder.
Arbeitgeber wehren sich
Über die geplante Gesetzesrevision des öffentlichen Beschaffungswesens machen Arbeitgeber deshalb neuerdings Druck. Peter Bäriswyl vom Schweizerischen Maler- und Gipserunternehmer-Verband erklärt gegenüber SonntagsBlick: «Wir fordern, dass Unternehmen, die sich für öffentliche Aufträge bewerben, mindestens 50 Prozent des Personals selbst stellen müssen – sonst erhalten sie den Auftrag nicht.» Mit Unterstützung der Wirtschaftskommission des Nationalrats wollen die Arbeitgeber ihre Forderung einbringen.
Kritisch sieht dies der Arbeitsrechtler Thomas Geiser (65) von der Hochschule St. Gallen. Müsse ein Unternehmen mindestens 50 Prozent der für einen Auftrag benötigten Angestellten beschäftigen, würden diese in der Flaute einfach entlassen. Denn das Schweizer Arbeitsrecht sei liberal und erlaube auch die Kündigung fest angestellter Mitarbeiter in relativ kurzer Zeit.
Heute nutzen viele Unternehmen Temporärangestellte dazu, saisonalen Schwankungen zu begegnen, sagt Bäriswyl. «Das Modell erlaubt, Auftragsspitzen im Sommer abzufedern.» Dabei sehe der Gesamtarbeitsvertrag vor, dass angefallene Überstunden im Sommer abgebaut werden: «So kann man gleichzeitig die auftragsarme Zeit im Winter überbrücken.»
Kritisch sieht die jüngste Entwicklung auch der Gewerkschaftsbund. Daniel Lampart (49) vom SGB zu SonntagsBlick: «Nur rund ein Drittel der Temporärangestellten arbeitet freiwillig temporär – zwei Drittel wünschen sich eigentlich eine feste Anstellung.»
Studien in Deutschland hätten zudem gezeigt, dass temporäre Anstellungen oft keine Brückenfunktion in eine Festanstellung bildeten, «im besten Fall sind sie ein unsicherer, wackliger Steg».