Vor einer Woche schrieb Werner Vontobel: «195'000 Jobs in 20 Jahren: Nur der Staat schafft neue Stellen». Dafür hagelte es Kritik.
Dabei hat der Volkwirtschafts-Experte der Blick-Gruppe nur eine Statistik zusammengefasst: Seit 1991 sind in der Schweiz 195'000 zusätzliche Vollzeit-Stellen geschaffen worden: 245'000 beim Staat bzw. im Gesundheitswesen, in der Bildung und in der Verwaltung, minus 50'000 In der übrigen Privat-Wirtschaft.
Diese simple Feststellung hat offenbar tief sitzende Ängste geweckt und Entrüstung ausgelöst.
Es setzte ausschliesslich negative Reaktionen ab. Kostproben: «Diese Entwicklung muss gestoppt und soweit möglich rückgängig gemacht werden. Bei uns wird der Sozialismus eben schleichend und durch die Hintertür eingeführt» schreibt Linus Good.
«1 Job beim Staat, killt 3 Jobs in Privatwirtschaft»
«Ich glaube eher, dass gerade weil der Staat so viele neue Jobs geschaffen hat, hat der private Sektor so wenige Jobs generiert», so Christoph von Gamm. Jean-Philippe Ducrey doppelt nach: «Jeder Job in der Verwaltung killt drei Jobs in der Produktion, erhöht die Steuerlast und damit die Produktionskosten.»
«Diese Stellen nützen dem Bruttoinlandprodukt (BIP) gar nichts. Das ganze System ist irgendwie aus dem Ruder gelaufen. Das Erwachen kommt noch» fassen Josef Lenherr und Andreas Oertli zusammen.
Und immer wieder Griechenland: «Wird eines Tages die Schweiz ein zweites Griechenland? Griechenland lässt grüssen.»
Leser Peter Friedli aus Utzendorf will Antworten: «Meine Frage an Herr Werner Vontobel: kommt das gut?»
Rund 4,3 Mio potenzielle Arbeitskräfte
Vontobels Antwort: Es kommt nur gut, wenn wir die Sache mit der Beschäftigung unverkrampft und ohne ideologische Scheuklappen angehen. Etwa so. In der Schweiz gibt es rund 4,3 Millionen Leute, die arbeiten oder arbeiten wollen.
Arbeiten heisst produzieren und produziert wird nur das, was gekauft wird – im In- oder Ausland.
Wie viel gearbeitet wird, hängt also letztlich von den Bedürfnissen ab, von der Kaufkraft, die hinter diesen Bedürfnissen steckt, und von der Produktivität – also von der Frage, wie viele Arbeitsstunden es braucht, um die Bedürfnisse zu befriedigen.
Die Kernfrage lautet: Wo sind noch unbefriedigende Bedürfnisse? Und wie können wir mehr Kaufkraft schaffen.
«Meine» Statistik sagt, dass zusätzliche Bedürfnisse seit 1991 per Saldo nur im Gesundheitswesen(+156'200), in der Bildung ( +52'600) und in der Verwaltung (+35'500) entstanden sind.
Zuwanderung: Plus 1,2 Millionen
Jetzt könnte es theoretisch sein, dass diese Sektoren alle (zusätzlich) verfügbaren Arbeitskräfte aufgebraucht, und so private Jobs verhindert hätten.
Doch seit 1991 sind per Saldo etwa 1,2 Millionen Menschen in die Schweiz eingewandert- und haben sich um 195'000 zusätzliche Vollzeitstellen gestritten. An einem Mangel an Arbeitskräften kann es also schwerlich liegen.
Auch der Einwand, dass der Staat mit seinen Steuern alle zusätzliche Kaufkraft abgeschöpft habe, trifft nicht zu. Seit 1991 ist das reale BIP um 37 Prozent gestiegen.
Die zusätzlichen Angestellten im öffentlichen Sektor haben aber nur etwa 7 BIP-Prozent gekostet. Gegen diese These von der mangelnden Kaufkraft spricht auch die Tatsache, dass wir 2012 einen Ertragsbilanzüberschuss von rund 13 Prozent des BIP erzielt haben. Wir haben also weit weniger ausgegeben, als wir eingenommen bzw. produziert haben.
Wir können froh sein
Nüchtern betrachtet, müssen wir also heilfroh sein, dass wenigstens die Ansprüche an das Gesundheits- und Bildungswesen ein wenig gestiegen sind, und dass die Einwanderung und die zunehmende Komplexität des Lebens auch die Anforderungen an die Verwaltung erhöht haben. Sonst hätten wir auch in der Schweiz sehr viel mehr Arbeitslose.
Wer anderer Meinung ist, müsste zwei Dinge konkret sagen können: Erstens, welche privaten Bedürfnisse noch zusätzlich befriedigt werden sollten. Mehr Autos? Mehr Zweitwohnungen? Mehr Ferien? Mehr Kaviar? Mehr Kino? Mehr Unterhaltung? Mehr Escort-Service?
Zweitens müsste die kritischen Leser sagen, wie diese bisher offenbar nur schlummernden Bedürfnisse geweckt werden könnten.
Liebe kritische Leserinnen und Leser, jetzt sind Sie dran. Werner Vontobel wartet auf konkrete und konstruktive Vorschläge.