KI mischt Arbeitsmarkt auf
«Die Hälfte aller heutigen Jobs gab es vor 80 Jahren nicht»

Programmiererin oder doch lieber Pflegefachfrau? KI krempelt die Arbeitswelt um – und verunsichert Jugendliche bei der Berufswahl. Ökonom David Dorn erklärt, warum die Zukunft weniger düster ist als befürchtet.
Publiziert: 15:33 Uhr
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«Schnelle Umbrüche führen oft zu Anpassungsschwierigkeiten»: Ökonom David Dorn.
Foto: PD

Darum gehts

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Gian Signorell
Beobachter

David Dorn*, eine aktuelle ETH-Studie zeigt, dass die Arbeitslosigkeit in Berufen mit hoher KI-Betroffenheit wie etwa Softwareentwicklung oder Journalismus um 27 Prozent gestiegen ist. Überrascht Sie das?
David Dorn:
Nein, das überrascht nicht. Früher oder später wirkt sich jede neue Technologie auf den Arbeitsmarkt aus. Was allerdings auffällt: Diese Effekte zeigen sich sehr schnell – nur drei Jahre nach der Einführung von ChatGPT. Bei früheren Innovationen wie dem PC in den 1980ern oder dem Internet in den 1990ern dauerte es länger, bis sie sich durchsetzten. 

Warum geht es diesmal so schnell?
Das liegt an der Strategie der Anbieter. Sie wollen zunächst möglichst viele Nutzer gewinnen und später Geld verdienen. Deshalb gibt es Sprachmodelle wie ChatGPT oder Perplexity in einigen Versionen kostenlos. Diese breite Verfügbarkeit beschleunigt die Verbreitung enorm. Beim PC oder auch beim Internet mussten die Nutzer erst teure Geräte kaufen oder Abos abschliessen, um Zugang zu den neuen Technologien zu erhalten.

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Sprechen wir bei KI also von einer Revolution statt einer Evolution?
Ich sehe es als Evolution. Die Automatisierung der Arbeit läuft seit Jahrhunderten. Betroffen sind auch jetzt manche Berufe, die schon in den letzten Jahrzehnten stark automatisiert wurden – etwa Buchhaltung oder Journalismus. Dort haben Softwarelösungen bereits viele Prozesse vereinfacht und Stellen reduziert. 

«Es geht immer darum, die Produktion effizienter zu machen.»
Foto: Samuel Schalch

Was ist der rote Faden dieser Entwicklung?
Es geht immer darum, die Produktion effizienter zu machen. Das gelingt, indem man Menschen bessere Werkzeuge an die Hand gibt – Maschinen oder Software, die ihre Produktivität steigern. Oder – die zweite Möglichkeit – indem man Menschen durch Maschinen ersetzt, wie es bei Produktionsarbeitern und Robotern der Fall ist. 

Überwiegen bei solchen Produktivitätsfortschritten die Vor- oder die Nachteile?
Für die gesamte Gesellschaft ist es grundsätzlich erfreulich, wenn die Produktivität steigt. Es bedeutet, dass mit denselben Ressourcen mehr Güter geschaffen werden. Schauen Sie auf die letzten 200 Jahre: Die industrielle Revolution hat Textilien und Lebensmittel so günstig gemacht, dass Schweizer Haushalte heute im Vergleich zu früher nur noch einen kleinen Anteil ihres Einkommens dafür verwenden müssen. Das frei gewordene Geld hat mehr Ausgaben in Bereichen wie Freizeit, Tourismus, Weiterbildung oder Gesundheit ermöglicht, wodurch in diesen Sektoren viele neue Jobs entstanden sind. 

Eltern mit Teenagern sind verunsichert: Welche Berufe sollten ihre Kinder wählen?
In der Schweiz gibt es eine hohe Nachfrage nach Arbeitskräften und keine Massenarbeitslosigkeit. Sowohl die Architektin als auch der Historiker findet in der Regel einen Job. Und dass sich das so schnell ändern wird, ist nicht absehbar. Erstens weil in vielen Arbeitsbereichen noch völlig unklar ist, ob KI die Menschen produktiver macht – was die Nachfrage nach solchen Stellen sogar steigern könnte – oder ob KI die Menschen ersetzt. 

«Die KI bedroht spezialisierte Stellen, hilft aber kreativen Köpfen, die neue Inhalte schaffen.»
Foto: Samuel Schalch

Ein konkretes Beispiel?
Nehmen Sie Ihren Job: Für Journalisten werden Tätigkeiten wie Transkribieren, Korrekturlesen oder Zusammenfassen einfacher. Das bedroht spezialisierte Stellen, hilft aber kreativen Köpfen, die neue Inhalte schaffen. 

Und was ist der zweite Grund?
Die Entwicklung der KI selbst ist ungewiss. Wenn Computer zunehmend ihre eigenen Trainingsdaten generieren, statt auf menschliche Daten zurückzugreifen, könnte das problematisch werden. KI imitiert menschliches Verhalten. Wenn aber zum Beispiel kaum noch Softwareingenieure auf Programmierforen neue Probleme diskutieren, weil ihre Arbeit von der KI übernommen wird, fehlen der Maschine irgendwann verlässliche Ausgangsdaten. 

Könnte sich die KI damit in eine Sackgasse manövrieren?
Ja, Studien aus der Informatik zeigen solche Muster. Wenn ein Computer handgeschriebene Zahlen analysiert, dann neue Zahlen generiert und diesen Prozess wiederholt, werden die Ergebnisse irgendwann unleserlich. Die Maschine versteht nicht, was sie tut, und erkennt nicht, wenn die Qualität der Daten sinkt. 

In welchen Branchen wird sich KI stark ausbreiten?
KI funktioniert gut in Bereichen mit grossen Datenmengen – etwa in der Finanzbranche, der Buchhaltung oder in Teilen der Wissenschaft und der Medizin. Weniger geeignet ist sie für Bereiche, in denen menschliches Einfühlungsvermögen, Verantwortung, Innovation oder handwerkliches Geschick gefragt sind. Dazu gehören Kinderbetreuung, Unternehmensführung, Polizei oder Baugewerbe. Menschen haben dort Vorteile, wo Interpretation, Abwägung sowie zwischenmenschlicher und physischer Kontakt gefragt sind. 

Die ETH-Studie nennt Programmierer, Journalisten und Werbetexter als besonders gefährdet. Würden Sie von diesen Berufen abraten?
Nicht unbedingt. Gerade die Informatik zeigt, dass in einem Bereich Stellen wegfallen und gleichzeitig neue entstehen können. Sprich: Der Bedarf an einfachen Programmieraufgaben geht zurück, während im Gegenzug die Nachfrage nach KI-Spezialisten stark wächst. 

«Es gibt auch Technologien, bei denen man irgendwann in einer Sackgasse landet.»
Foto: Samuel Schalch

Oft hört man, handwerkliche Berufe seien weniger gefährdet. Stimmt das?
Die Vielseitigkeit menschlicher Hände bleibt sicherlich ein Vorteil. Aber man darf nicht vergessen: Auch die Robotik profitiert von KI. Anderseits verläuft die Qualität einer technologischen Entwicklung eben nicht immer linear oder sogar exponentiell. Nehmen wir das Beispiel selbstfahrende Autos: In dem Bereich ist man bis heute weit hinter den optimistischen Prognosen zurückgeblieben. Es gibt auch Technologien, bei denen man irgendwann in einer Sackgasse landet.

Wie lautet Ihr Fazit: Überwiegen beim Thema KI eher die Chancen oder die Risiken?
Das hängt vom Tempo der Veränderungen ab. Schnelle Umbrüche führen oft zu Anpassungsschwierigkeiten, etwa wenn Firmen anfangen, wegen einer neuen Technologie im grossen Stil Arbeitsplätze abzubauen. Bei einer allmählichen Entwicklung schrumpfen dagegen einige Berufe, während andere wachsen. So zeigt eine US-Studie: Mehr als die Hälfte der heutigen Jobs gab es 1940 noch gar nicht. Dazu gehören Berufe, die durch die technologische Entwicklung überhaupt erst entstanden sind, wie Softwareentwickler oder Cybersecurity-Experten. Aber auch neue Dienstleistungen wie Fitnesstrainer oder Lebensberater, für die erst später eine entsprechende Nachfrage entstand. 

Was kann der Mensch besser?
Aufschlussreich sind die Ergebnisse einer Studie im Kundenservice. Wenn sich ein Kunde via Chat mit einem Problem meldet, sucht die KI nach ähnlichen Fällen in früheren Chats und schlägt dem Mitarbeiter eine Antwort vor. Das hilft den Menschen beim Lernen, weil neue Mitarbeiter mit KI-Unterstützung nun bereits nach wenigen Wochen das Niveau von viel erfahreneren Kollegen erreichen. Die Erfahrenen profitierten aber nicht von dieser KI-Anwendung. Bei neu auftauchenden Problemen braucht es deren menschliche Fähigkeiten, um neue Situationen zu bewerten, abzuwägen und Entscheidungen zu treffen – das kann ein System nicht, das nur auf Vergangenem basiert. 

Was unterscheidet Menschen letztlich von Maschinen?
Maschinen brauchen bestehende Datensätze von möglichst hoher Qualität. Weil sie das Verhalten von Menschen imitieren, sind sie dort erfolgreich, wo Menschen bei einer Aufgabe bereits gute Ergebnisse erzielen. Schachcomputer sind dafür das beste Beispiel. Maschinen können auch Bekanntes neu kombinieren – etwa ein Landschaftsbild aus 1000 Vorlagen herstellen. Doch etwas völlig Neues zu schaffen, das Menschen als bahnbrechend empfinden, fällt ihnen schwer.

* David Dorn ist Schweizer Ökonom und UBS-Professor für Globalisierung und Arbeitsmärkte an der Universität Zürich. Er erforscht die Auswirkungen technologischer Veränderungen auf den Arbeitsmarkt. 

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