Eine riesige Tiefgarage in der Nähe des Zürcher Letzigrund-Stadions. Der erst vor wenigen Jahren totalsanierte Bau hat ein ernsthaftes Abwasserproblem. Rund um die Abwasserschächte liegen riesige Pfützen. Anstatt brav abzulaufen steigt Wasser aus gewissen Schächten und plätschert dann in einen Lüftungsschacht. So manches Auto steht auf seinem Parkplatz mit den Pneu im Wasser. Ein typischer Fall für Hans-Jörg Lips, Kanalreiniger oder neudeutsch: Entwässerungstechnologe.
Die Verstopfung lässt die Stahltüren zum Zivilschutzbunker rosten
Er parkt den VW-Bus mit Hochdruckreiniger, Wassertank und Rohrkamera möglichst nahe an die verstopfte Stelle. Mit dabei ist der Tankanhänger mit einer starken Absaugpumpe. «Wir spülen hier alle vier Wochen die Leitungen durch. Danach fliesst das Wasser wieder ab», sagt Lips. «Warum die eine Leitung immer wieder verstopft ist, ist unklar.» Auch woher das nachfliessende Wasser kommt, ist für die Crew ein Rätsel.
Das Wasser in der Tiefgarage ist ein grosses Problem. Es geht um mehr als nur um die geparkten Autos. Auch der Zivilschutzkeller für mehrere Hundert Personen ist in Gefahr. Zwei riesige 6-Tonnen-Türen, die im Ernstfall die Kammer abschliessen, stehen auch in den Pfützen – und drohen zu verrosten. Darum begleitet auch Marcel Eicher (49) von «Schutz und Rettung Zürich» die Rohrputzaktion. «Die Schienen, auf denen die Türen gleiten, sind aus Stahl und verrosten», sagt Eicher. «Ohne die Kanalreiniger könnten wir das Problem wohl nicht lösen.»
Detektivarbeit mit der Kamera-Sonde
Die Arbeit von Hans-Jörg Lips gleicht heute der eines Detektivs. Nachdem er zwei Gulli-Löcher abgepumpt und die übliche Blockade mit einer Hochdruck-Sonde entstopft hat, fliesst das Wasser unter den Stahlbetontüren noch immer nicht ab. Die Männer in Blau entfalten riesige Pläne des Abflusssystems. Dann schickt Lips eine Kamera-Sonde in das eine Rohr. Er entdeckt auf dem kleinen Bildschirm einen Seitenarm, der für den Rückstau verantwortlich sein könnte. Das Rohr führt in einen Nebenraum, hier ist ein weiterer Schacht.
Endlich: Der Kanalreiniger findet das Problem. Eine verklemmte Rückstauklappe. Hans-Jörg Lips schlägt sie auf, es gurgelt in allen Ecken der Tiefgarage und die ganze braune Sauce verschwindet wie von Zauberhand.
Ein «Drecksjob», der auch Spass macht
Lips ist seit 11 Jahren Kanalreiniger und liebt seinen Job. «Die Arbeit ist sehr abwechslungsreich und technisch anspruchsvoll. Ich habe jeden Tag Kundenkontakt. Das ist mir sehr wichtig», sagt der vierfache Vater aus Boswil (AG). Gelernt hat Lips ursprünglich Bauspengler. Zum Kanalreiniger wurde er durch seine Schwägerin, die bei einer grossen Kanalservice-Firma arbeitete. Durch sie erfuhr er, dass das Unternehmen Fachleute sucht.
Mit den negativen Seiten des Jobs hat er gelernt umzugehen. Am schlimmsten seien die Fettpfropfen in der Kanalisation oder in den Fettabscheidern von Restaurants. «Die entwickeln einen säuerlichen Gestank, der nur schwer auszuhalten ist – und lange an Kleidern und Haaren hängen bleibt», sagt Lips. Das sei auch deutlich schlimmer als der Gestank von Fäkalien. «Da ist es ein bisschen, wie wenn man eine schmutzige Toilette betritt. Nach kurzer Zeit nimmt man den Gestank nicht mehr wahr.»
«Die Leute spülen heisses Fett und Haushaltsmüll die Toilette runter»
Die Fettklumpen bestehen aus einer Mischung von gehärtetem Kochfett und sanitären Abfällen wie Windeln und Feuchttüchern. «Die Leute spülen heisses Fett und Haushaltsmüll die Toilette runter. Das materialisiert sich dann in der Kanalisation zu einem monströsen Fettklumpen, der alles verstopft», sagt Hans-Jörg Lips.
Zu Hause hat niemand ein Problem mit Papas Job. «Meine Kinder beklagen sich höchstens mal, dass ich nach der Arbeit stinke», sagt Lips. «Aber das ist selten.» Auch in der Nachbarschaft oder unter Freunden ist Kanalarbeiter nichts Aussergewöhnliches. «In Boswil ist eine Kanalreinigungsfirma der grösste Arbeitgeber in der Region. Darum hat es auch viele von unserer Gilde hier.»
Lesen Sie morgen: Er war diplomierter Automechaniker, jetzt sorgt Fehmi Racipi (52) jeden Tag für saubere Toiletten auf den Autobahnraststätten. Er macht seinen neuen Job mit viel Herzblut. Er sagt: «Rastplätze sind wie eine Visitenkarte für die Schweiz.»