Beide tragen Bart, beide haben die Haare nach hinten gekämmt, lassen die zwei obersten Knöpfe am Jeanshemd offen und tragen hellbeige Hosen. Nur die Sohlen ihrer weissen Turnschuhe haben nicht dieselbe Farbe.
Dass sich Robert Gentz (29) und Dominik Rief (26) heute in die gleichen Klamotten geworfen haben, fällt ihnen erst auf, als sie im Sitzungszimmer in der Zalando-Zentrale in Berlin-Kreuzberg Platz nehmen.
Gentz ist einer der Gründer und Geschäftsführer des deutschen Online-Modehändlers, Rief ist der Länder-Verantwortliche für die Schweiz – er findet es «super», einen Chef zu haben, «mit dem man sich identifizieren kann».
Zalando-Formel
Gentz gibt als Vorbild einiges her, nicht nur modisch, auch geschäftlich. Von ihm stammt die Zalando-Formel: Günstige Mode im «Blitzversand» verkaufen – «ein breit gefächertes Sortiment topaktueller Schuhe und Modeartikel». Wem die Grösse oder das Modell doch nicht zusagt, schickt die Ware einfach zurück. Kostenlos, versteht sich.
Zalando hat einen kometenhaften Aufstieg hingelegt: «Vor viereinhalb Jahren fingen wir in einem Raum an, der kleiner war als der hier», sagt der studierte Betriebswirt Gentz. Der Konferenzraum hat etwa 30 Quadratmeter. «Die Schuhkartons haben wir an der Seite gestapelt, den Kundenservice wickelten wir per Handy ab.»
Dann ging es Schlag auf Schlag: Der mit Millionen Werbegeldern verbreitete Slogan «Schrei vor Glück» traf den Nerv der Konsumenten. Mittlerweile gibt es Zalando in 14 europäischen Ländern. Letztes Jahr knackte der Onlinehänder die Umsatz-Milliarde.
Doch das Wachstum ist teuer erkauft. Zalando schreibt rote Zahlen. Etwa die Hälfte der bestellten Ware schicken die Käufer zurück. Das geht ins Geld. Ein solches Geschäftsmodell lasse sich nicht auf Dauer profitabel betreiben, monieren Kritiker. «In der Kernregion Deutschland, Österreich, Schweiz haben wir im letzten Jahr die Gewinnschwelle erreicht», entgegnet Gentz. «Das zeigt: Die Retourenquote ist kein Problem.»
«Jeder zehnte Schweizer hat bei uns ein Konto»
Wie viel die Schweiz zum Umsatz beiträgt, will er aber nicht sagen. So locker und zwanglos sich Zalando gibt – wenn es um Zahlen geht, ist das Unternehmen verschwiegener als eine Schweizer Bank. Nur so viel lässt sich Geschäftsführer Gentz entlocken: «Jeder zehnte Schweizer hat bei uns ein Konto.» Das wären knapp 800 000 Schweizer Kunden.
Und die sind beliebt. Länderchef Rief: «Verglichen mit Kunden aus anderen Ländern geben Schweizer pro Bestellung am meisten Geld aus.» Sie seien, wie der Zalando-Durchschnitt, mehrheitlich weiblich und etwas über 30 Jahre alt. Die Schweiz gilt auch sonst als Vorzeigemarkt. Die Konsumenten sind qualitätsbewusst, shoppen gern online und haben hohe Service-Ansprüche. «Was Ihr Schweizer zuerst einfordert, wollen andere Länder auch», sagt Rief.
Damit die Päckli schneller ankommen, verhandelt Zalando derzeit mit der Schweizerischen Post. Die soll am Tag, bevor das Paket ausgetragen wird, den Kunden ein SMS schicken und die Retouren gleich aus dem Milchkasten mitnehmen. «Der SMS- und der Retourenservice kommen wohl noch dieses Jahr», verspricht Rief. Gleichzeitig laufen Verhandlungen über flexiblere Zustellzeiten. Rief: «Da haben wir noch keinen Fahrplan.» Die Post hat grosses Interesse an den Päckli. Je nach Expertenschätzung bestellten die Schweizer allein im letzten Jahr drei Millionen Mal beim Onlineriesen.
Die meisten Pakete für die Schweiz kommen aus Zalandos grösstem Logistikzentrum in Erfurt, drei Autostunden von Berlin entfernt. In «Europas grösstem Kleiderschrank» wird die Ware gelagert, verpackt und verschickt.
Was viele nicht wissen: Retournierte Schuhe und Kleider wandern direkt wieder ins Erfurter Lager – ungereinigt. Da funktioniere der Onlineladen genau wie jedes andere Geschäft, sagt Gentz: «Wenn ich in der Umkleide ein Teil anprobiere und am Ende zurücklege, kauft es der Nächste.»
Wie aber stellt Zalando sicher, dass Kleider nicht als neu verkauft werden, die andere eventuell schon übers Wochenende und auf einer Party getragen haben? «Unsere Retourenabteilung schaut sich jedes Stück ganz genau an», sagt Gentz. Fehlerhafte Artikel würden aussortiert. Weist ein Stück deutliche Gebrauchsspuren auf, ruft Zalando den Kunden auch mal direkt an und hakt nach.
Wie häufig das geschieht, weiss Gentz nicht: «Es ist zumindest keine so grosse Ziffer, dass sie mir bekannt wäre.»
Retouren mit Gebrauchsspuren und Restposten landen in einem Outlet-Store in Berlin. Dort werden sie 30 bis 70 Prozent günstiger verramscht.
Eine «typische Zalando»
Zalando verkauft nicht nur Fremdmarken, sondern versucht sich auch als Modeschöpfer. Der Vorteil der eigenen Labels: Die Marge ist höher als bei externen Markenprodukten. Caroline von Stieglitz (28) ist Chefdesignerin der Zalando-Eigenmarke Mint & Berry. Sie ist eine «typische Zalando», wie die Angestellten im Firmenslang genannt werden.
Nicht nur ihr Alter entspricht genau dem Durchschnitt der rund 1000 Angestellten, auch ihre Biografie passt. «Ich führe ein Startup im Start-up», sagt von Stieglitz. Sie stiess im Sommer 2010 dazu, im Alter von 25 Jahren. Im ersten Jahr gaben sie und ihr Dreierteam eine Minikollektion mit 36 Teilen heraus. Zwei Jahre später entwirft sie mit 16 Mitarbeitern pro Jahr schon zwei Kollektionen mit je 250 Stück. Für einen Online-Händler zu entwerfen, bedeute umzudenken, sagt von Stieglitz: «Der Kunde hat nur ein Foto. Die Form muss gut lesbar sein.»
Wie sich Gentz und Rief äusserlich gleichen, so behaupten böse Zungen, sei auch Zalando nur eine Kopie: des US-Online-Händlers Zappos. Ihr Unternehmensziel sei es, den Klon ans Original zu verkaufen. Gentz reagiert empört: «Zalando ist ein eigenes Unternehmen mit eigener Kultur und Webseite. Wir sind keine Kopie.»