Darum gehts
- Holcim wurde Ende Januar 2023 von vier indonesischen Inselbewohnern verklagt
- Eine Verurteilung könnte ähnliche Verfahren zur Folge haben
- Zur Debatte stehen nur 3600 Franken Schadenersatz pro Kläger
Es ist ein wichtiger Tag für den Zementhersteller aus Rapperswil-Jona SG: Heute Mittwoch steht Holcim vor Gericht. Das Kantonsgericht Zug berät darüber, ob die Voraussetzungen für einen Prozess einer Anklage Anfang 2023 von vier Bewohnern der indonesischen Insel Pari gegen den Konzern gegeben sind. Zwei von ihnen, Ibu Asmania und Arif Pujianto, sind in die Schweiz gereist und vertreten die vierköpfige Gruppe im Zuger Kantonsratssaal.
Dort finden die Verhandlungen aufgrund des grossen öffentlichen Interesses statt. Denn plötzlich schaut die ganze Welt auf die Schweizer Firma, die 2007 gegründet wurde und 2015 mit der französischen Lafarge zu einem der weltweit grössten Zementhersteller aufgestiegen ist.
Eine Verurteilung hätte international weitreichende Folgen. Nicht wegen des Geldes: Es geht um bescheidene 3600 Franken pro Kläger. Für das finanzstarke Grossunternehmen ein Klacks. Doch eine Verurteilung des Konzerns könnte ähnliche Verfahren nach sich ziehen – gegen Holcim oder andere Unternehmen.
Existenz der Inselbewohner bedroht
Die vier Indonesier und Indonesierinnen verlangen von der Schweizer Firma Schadenersatz, Genugtuung sowie Schutzmassnahmen auf ihrer Insel, die dem Untergang geweiht ist. Denn Pari, auf der nur rund 1500 Menschen leben, liegt 1,5 Meter über Meer. Schon heute zerstören der steigende Meeresspiegel und regelmässige Überschwemmungen die Lebensgrundlage vieler Bewohner.
Das Verfahren stellt in vielen Punkten ein Präzedenzfall dar. Holcim soll unter anderem für bereits entstandene als auch für zukünftige Schäden aufkommen. Die Beweisführung gestaltet sich dafür schwierig: Das global tätige Unternehmen hatte zwar einige Standorte in Indonesien, ist dort aber seit Jahren nicht mehr aktiv. Auf Pari gab es nie einen Geschäftssitz. Trotzdem soll der Konzern für klimabedingte Schäden auf der Insel aufkommen.
Neben den Parteien der Klage waren zum Auftakt der Verhandlung am Mittwochmorgen über 50 interessierte Personen und Medienschaffende zugegen. Im Plädoyer der Klagepartei äusserte sich neben einer Anwältin auch Asmania kurz und stellvertretend für die Gruppe. Die Schäden und Kosten, die wegen des steigenden Meeresspiegels anfallen, hätten die Bewohnerinnen und Bewohner nicht selbst verursacht. Es fehle das Geld, um Massnahmen zu ergreifen. Ihre Anwältin übersetzte und trug die rechtlichen Argumente vor.
Holcim wollte Klage schon «an der Schwelle des Gerichts» stoppen
Im gut einstündigen Plädoyer warf die Anwältin Holcim vor, die Klage schon «an der Schwelle des Gerichts» stoppen zu wollen, indem der Konzern die Erfüllung der Prozessvoraussetzung in Zweifel ziehe. Wie es das Gesetz verlange, seien die Interessen der Klägerin und der drei Kläger persönlich, praktisch, und aktuell. Die Persönlichkeitsrechte der Gruppe würden bereits heute durch den Klimawandel und dessen Folgen geritzt.
Die Anwältin führt aus, dass der Zementkonzern Holcim zu diesen Schäden durch den Ausstoss von Treibhausgasen massgeblich beitrage. Holcim habe in seiner Unternehmensgeschichte doppelt so viel CO₂ ausgestossen wie der ganze Schweizer Staat. Eine Verringerung der Emissionen des Unternehmens würde dazu beitragen, das globale Ziel der Beschränkung der Erderwärmung auf 1,5 Grad zu erreichen. Damit könnte die Zukunft der Insel Pari, die im Meer zu versinken droht, gerettet werden.
Anwälte des Grosskonzerns widersprechen
Im Namen von Holcim plädierten heute in Zug eine Anwältin und ein Anwalt. Für den Klimaschutz sei in der Schweiz der Gesetzgeber verantwortlich, betonten diese. Ein Zivilgericht könne darüber hinaus keine Massnahmen verordnen. So würden das demokratische System und die Gewaltenteilung unterwandert. Die Klage sei ein rein «politischer Prozess», hinter dem Nicht-Regierungsorganisationen wie das Hilfswerk der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz stehe. Der Anwalt sprach von einer «Aufführung», für die das «Schweizer Vorzeigeunternehmen Holcim» als «Bösewicht» hinhalten müsse.
Die Klägerinnen und Kläger hätten kein schützenswertes Interesse, das ausreichend persönlich, praktisch und aktuell sei, wie es die Zivilprozessordnung verlange. Vielmehr sei die gesamte Weltbevölkerung von den Folgen des Klimawandels betroffen. Die besondere und konkrete Betroffenheit sei deshalb nicht gegeben. Überdies seien die Schadenersatzforderungen rein symbolisch. Den Klagenden gehe es um allgemeine Massnahmen an der ganzen Insel Pari, die nicht nur ihren eigenen, persönlichen Interessen dienen würden.