In der Werbung brechen reifere Zeiten an
Die Alten sind gut für das Geschäft

Die Agenturen können sich vor Anfragen kaum retten: Senioren-Models wie Christina (65) und Mathias (70) werden immer beliebter.
Publiziert: 06.05.2012 um 02:07 Uhr
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Aktualisiert: 07.10.2018 um 14:08 Uhr
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Mathias (70) und Christina (65) sind seit vielen Jahren im Modelgeschäft. Privat sind sie kein Paar, werden aber für Kampagnen gerne zusammen gebucht. Sogar Christinas Hund stand schon mal vor der Kamera.
Foto: Michael Mey
Von Britta Krauss (text), Michael Mey (foto)

Als Mathias F.* aus Sursee LU vor elf Jahren eine Treppe hinunterstürzte, konnte er nicht ahnen, dass dies der Beginn seiner zweiten Karriere werden würde. Wegen der Herzerkrankung, die den Sturz ausgelöst hatte, gab er sein Beratungsunternehmen auf. Heute wirbt er für Krankenkassen, Banken, Pharmaunternehmen oder Spitäler: als Seniorenmodel – im Fachjargon «Best-Age-Model».

Er lässt sich auch für die SBB ablichten oder für Ikea. «Rund 20 Aufträge bekomme ich pro Jahr», sagt er. «Er ist der klassische Grossvater-Typ», schwärmt Christa Stutz, Inhaberin der Zürcher Modellagentur Special, für die Mathias arbeitet. «Besonders im Bereich der Altersvorsorge ist er sehr begehrt.»

Der 70-Jährige ist nur einer von vielen: «Bei 20 Prozent der Anfragen werden heute Modelle gesucht, die älter als 50 sind», sagt Jad Hayek, Chef der Agentur Fotogen. «Noch vor vier Jahren hatten wir gar keine Anfragen.»

Bettina Schaefer, Inhaberin der Model-Agentur Scout, bestätigt: «Die Nachfrage hat deutlich zugenommen. Und sie steigt weiter. Vor allem in der Werbung sind ältere Models gefragt», sagt sie. «Auch in der Mode sind sie im Kommen.» Finanziell lohne sich das: «Best-Age-Models verdienen genauso gut, manchmal sogar besser als Jüngere», sagt Schaefer. «Es gibt einfach weniger von ihnen, und sie handeln oft bessere Preise aus.»

Amateurmodels kassieren Tagessätze zwischen 800 und 1500 Franken, professionelle Models Gagen ab 2500 Franken.

Mathias kam über ein Inserat dazu: «Ein Unternehmen suchte Modelle für Zahnimplantate. Finanziell hatte ich das nicht nötig. Aber ich fühlte mich fit und hatte Lust, wieder etwas zu machen.» Als Modelpartnerin stellt man ihm heute oft Christina Z.* (65) zur Seite. «Die beiden werden gern gemeinsam gebucht», sagt Agentur-Chefin Stutz. «Sie passen gut zusammen.» Zuletzt stiegen sie für eine SBB-Kampagne in den Zug.

Christina, ehemalige Spitex-Angestellte und fünffache Mutter aus dem Raum Zürich, begann vor sechs Jahren zu modeln. Ein Pharmaunternehmen suchte per Inserat ein Modell für seine Osteoporose-Broschüre. «Da musste ich Turnübungen machen, Milch trinken und einen Apfel essen», sagt sie. Inzwischen stand sie schon für die Brustkrebs-Vorsorge, Banken und Versicherungen vor der Kamera. Denn sie bringt die wichtigsten Modelvoraussetzungen mit: «Man braucht gutes Aussehen, Selbstbewusstsein, und man muss Anweisungen der Fotografen sofort umsetzen können.» Mit dem Modeln fing sie an, weil sie «Lust auf etwas Abwechslung» hatte. «Und im Alter sollte man aktiv bleiben.»

Der Grund für den Best-Age-Boom: «Die Werbeindustrie weiss, heute hat die ältere Generation das meiste Geld», sagt Zineta Blank, Inhaberin der Agentur Vi­sage. «Unsere Kunden müssen ihnen glaubwürdige Modelle präsentieren. Man kann mit dem Gesicht einer 25-Jährigen keine Creme für eine 50-Jährige verkaufen.»

Frank Bodin, Chef des Schweizer Arms der Werbeagentur Euro RSCG, glaubt, dass Senioren noch beliebter werden: «Es gibt einen Trend in Richtung Authentizität und Glaubwürdigkeit. Die Kunden wollen lieber echte Menschen mit Ecken und Kanten statt künstlicher, glatt geschliffener Models.»

Zugenommen hat auch das Angebot an Best-Agern. Die Senioren drängen geradezu in die Agenturen. «Ich habe heute bestimmt 50 Prozent mehr Bewerbungen als noch vor vier Jahren», sagt Special-Inhaberin Stutz. «Die Älteren trauen sich mittlerweile, uns anzuschreiben.»

Das freut auch die Werber: «Früher mussten wir bei Schauspielagenturen oder im Ausland casten», sagt Nicole Suter von der Agentur Wirz. Weil die Menschen immer jünger aussehen, gehen Werber heute nach dem optischen Alter: «Wenn eine Zielgruppe zwischen 30 und 40 Jahren angesprochen werden soll, müssen Models häufig schon 45 Jahre alt sein.»

Dass seine Werbung wirkt, stellte Mathias nach einer Kampagne für einen Elektronikhändler fest: «Der Auftraggeber sagte, dass er jetzt mehr Kaffeemaschinen verkaufe.»

Einfach ist sein Job nicht immer: «Einmal habe ich für ein Pharmaunternehmen einen Tag lang schmusen müssen – auch unter der Dusche», erzählt er. «Da darf man keine Berührungsängste haben. Gut, dass meine Frau nicht eifersüchtig ist.» * Namen der Redaktion bekannt

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