Hugh Johnson hat 14 Millionen Taschen-Weinführer verkauft
«Ich verstehe nichts von Wein»

Der Journalist und Schriftsteller Hugh Johnson verrät im Interview, was hinter dem Erfolg seiner Weinführer steckt.
Publiziert: 05.11.2016 um 22:49 Uhr
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Aktualisiert: 11.09.2018 um 05:40 Uhr
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Hugh Johnson liebt Wein und ist einem guten Tropfen nie abgeneigt. Er würde sich selbst aber nie als Kenner bezeichnen.
Foto: INTERTOPICS
Michael Merz

Wie kamen Sie darauf, ein «Pocket Wine Book», einen Weinführer im Miniformat zu verfassen?
Hugh Johnson: Es war nicht meine Idee. Gestohlen habe ich sie aber auch nicht. Sagen wir es so: Sie wurde mir geschenkt.

Wie das?
Ich hatte 1966 mit dem begonnen, was man Weinjournalismus nennen könnte. Bald da­rauf schrieb ich auch mein erstes Buch: «World Atlas of Wine». Ein Buch mit den allerfeinsten Weinkarten der allertollsten Weine dieser Welt. Eine grosse Aufgabe – und ich machte sie offenbar gut. Ich schrieb also über Wein und nochmals über Wein. Eines Tages zog mein Verleger seinen Taschen-Terminplaner aus dem Jackett und sagte, so was brauche die Welt. Ein schmales Büchlein, in dem alles stehe, wenn man über Wein Bescheid wissen wolle!

Und?
Gesagt. Geschrieben. Es verkaufte sich gut und im nächsten Jahr hiess es, so was müsse aktuell sein. Es müsse ein neues her. Da begriff ich endlich!

Jeder Weinjahrgang ist neu und verschieden vom letzten ...
... und so gibt es seit 40 Jahren «Der kleine Johnson». Nur ist er mittlerweile viel dicker. Er enthält Informationen zu Tausenden Weinen und Weingütern. Eine saumässige Arbeit.

Glücklicherweise gehen Ihnen in der ganzen Welt über dreissig Fachautoren zur Hand.
Aber den Endtext schreibe ich. In möglichst wenigen Worten. Alles Überflüssige muss raus!

Hauptsache, die Informationen sind hieb- und stichfest.
Zu meinem Vergnügen verstecke ich viele Witze im Text.

Witze?
Ich erfinde Weine, die es nicht gibt ...

Und wenn man herausfindet, welche?
Das ist noch nie passiert. Wenn ich sie aber in Büchern anderer Autoren finde, weiss ich, woher sie stammen.

Das Vorwort zum «Kleinen Johnson» schreiben Sie über Weine und die Weinindustrie. Sie haben dabei nicht nur eine Meinung, sondern vertreten diese sehr pointiert. Sie sagen etwa, dass es eigentlich keine schlechten Weine mehr gibt!
Früher gab es Weine mit bemerkenswerten Fehlern. Heutzutage kann man eigentlich alles trinken. Die Industrie produziert Weine ohne technische Fehler – aber auch ohne Seele. Als Gegentrend gibt es jetzt «natural wines», natürliche Weine.

Weine, die ohne technische und chemische Hilfsmittel entstanden.
Die, wenn Sie Pech haben, zwar ungeniessbar sind, dafür aber teuer!

Hugh Johnson: «Weinbauern aus der Neuen Welt steigerten ganz bewusst den Alkoholgehalt ihrer Weine.»
Foto: INTERTOPICS

Ob gut oder schlecht – was teuer ist, wird gekauft.
Wein steht heute in der Abteilung für Luxusartikel. Jeder weiss, was dort geschieht. Was für 100 Franken nicht weggeht, verkauft sich garantiert für 300 Franken! Keine gute Nachricht für alle, die schöne Weine trinken möchten.

Die Weinwelt ist inzwischen so riesig, dass kein Mensch wirklich alles weiss.
So kommen die sogenannten Autoritäten ins Spiel. Die sagen, was wir im Wein zu sehen und zu spüren haben, und verleihen ein «Daumen hoch» oder «Daumen runter». Diese Autoritäten zeichnen die Weine mit Punkten aus und machen sie damit kleiner.

Das verstehe ich nicht.
Es begann damit, dass gewisse Weinbauern aus der Neuen Welt den Alkoholgehalt ihrer Weine ganz bewusst steigerten. Um höhere Punkte zu erreichen.

Der Grund?
Bei einer Fachdegustation sitzen die Fachleute hinter 20, 30, gar 40 Weinen. Da wird der Mund rasch müde. Auch hat Alkohol gewisse Effekte auf ihr Gehirn. Vergleicht man zum Schluss die Resultate, haben alkoholreiche Weine immer die meisten Punkte.

Das garantiert hohe Preise.
Was wiederum Freunde an den richtigen Plätzen anzieht sowie gute Vertriebskanäle und Marketing. All das braucht es, damit sich die Produkte verkaufen. Nicht zu vergessen: Die Produkte müssen selten sein. Das sind die Gründe, weshalb Château Pétrus teurer ist als Château Lafite. Und damit sind wir wieder beim Luxusmarkt.

Wann haben Sie eigentlich realisiert, dass Sie etwas von Wein verstehen?
Ich bin kein Wein­experte. Um es deutlicher zu sagen: Ich verstehe nichts von Wein! Ich bin Journalist, Schriftsteller. Wenn Sie so wollen, bin ich ein Schreiberling, der den Wein interpretiert.

Nicht so bescheiden! Wer mehr als 14 Millionen Taschenweinführer verkauft, kann was!
Ich mache diesen Job nun schon seit über 60 Jahren. Oder um es pointiert auszudrücken: Ich habe lange genug geübt!

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