Historiker Niall Ferguson erklärt
Darum könnte Donald Trump den Konflikt USA-China beruhigen

Ein Gespräch über den Konflikt USA-China, seine wirtschaftlichen Folgen und die Frage, ob Trump eine unerwartete Rolle spielen könnte.
Publiziert: 28.09.2023 um 16:16 Uhr
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Fabienne Kinzelmann
Handelszeitung

Sie haben sich mit den ökonomischen Folgen des «Zweiten Kalten Krieges» zwischen den USA und China beschäftigt. Worum geht es dabei aus Ihrer Sicht?
Niall Ferguson: Um finanzielle Zerstörung statt um die nukleare Zerstörung. Was die USA und China bisher einschränkt, ist die Tatsache, dass es für beide Seiten sehr teuer wäre, den Konflikt offen auszutragen – im Gegensatz zu den USA und der Sowjetunion, die wirtschaftlich voneinander getrennt waren, sind die USA und China noch immer ziemlich verflochten.

Wo stehen wir auf der Eskalationsskala?
Der «Zweite Kalte Krieg» hat etwa 2018 begonnen, also vor fünf Jahren. Damals begannen die Amerikaner zu erkennen, dass sie von China nicht nur wirtschaftlich herausgefordert werden. Analog zum ersten Kalten Krieg, der 1947 begann, bringt uns das in die frühen 50er Jahre. Damals tobte noch immer der Koreakrieg. Ich sehe den Krieg in der Ukraine als Äquivalent dazu: als den ersten «heissen» Krieg während des «Zweiten Kalten Kriegs».

Was bedeutet das?
Typisch für kalte Kriege sind viele regionale heisse Kriege. Ein grosser zwischen China und den USA hingegen würde den Dritten Weltkrieg bedeuten. Ich würde also sagen, wir sind in einer frühen Phase, in der die Ukraine dieselbe Rolle spielt wie damals Korea. Der «Zweite Kalte Krieg» ist ein transpazifischer Wettbewerb zwischen den USA und China, aber der offene Kampf passiert weit weg in Europa. Und es wird schwierig sein, ihn zu beenden, solange Putin an der Macht bleibt. Er dürfte andauern, bis Putin geht oder stirbt. So war es auch beim Koreakrieg, der erst endete, als Stalin 1953 starb. Zudem brachte der neue US-Präsident Eisenhower frischen Wind mit.

Gemäss Historiker Neill Ferguson tobt der «Zweite Kalte Krieg» zwischen China und den USA schon seit 2018.
Foto: ZVG
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Artikel aus der «Handelszeitung»

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Nächstes Jahr ist die US-Wahl…
Ja, um es einfach zu sagen: Stellen Sie sich vor, wir sind im Jahr 1952 des Kalten Kriegs.

Kann der Krieg in der Ukraine dann überhaupt enden, bevor die US-China-Beziehung nicht gelöst ist?
Ich glaube nicht, dass man sie lösen kann, denn sie ist wie die Beziehung zwischen den USA und der Sowjetunion so tief von Rivalität, Misstrauen und Technologiewettbewerb geprägt, dass das über Jahrzehnte anhalten wird. Aber wenn sich die beiden Nationen darauf verständigen könnten, wie der Krieg enden sollte, könnte er das. Die USA können Selenski sagen, was zu tun ist, und China kann das Gleiche mit Russland machen, weil beide Kriegsparteien von deren wirtschaftlichem und militärischem Support abhängen.

Haben die USA und China ein gleich grosses Interesse, den Krieg zu beenden?
Für die USA ist es eine Ressourcenfrage. Der Krieg kostet sie unheimlich viel und er lenkt von ihren Herausforderungen in Asien ab. Aus chinesischer Sicht ist es zweischneidiger. Auf der einen Seite ist es gut für China, dass Russland zunehmend von ihm abhängig ist. Auf der anderen Seite würde es China miterschüttern, wenn Russland völlig im Chaos versinkt.

Ihr Tipp?
Aus Vorsicht wird der Krieg an irgendeinem Punkt im nächsten Jahr enden. Aufgrund der US-Wahlen ist es schwer, vorherzusagen, was danach passieren könnte.

Blinken, Yellen, Raimondo – mehrere Mitglieder der Biden-Regierung haben China dieses Jahr besucht. Warum haben sie kaum etwas erreicht?
Die Amerikaner wollen nicht über dieselben Dinge reden wie die Chinesen – nämlich Zölle und Technologiebeschränkungen. Ich glaube aber nicht, dass sich die Beziehung verbessern kann, wenn genau darüber nicht gesprochen wird. Denn die Chinesen werden daran festhalten, dass es sich nicht um «De-risking» handelt, sondern um eine Entkopplung mit Wirtschaftssanktionen, welche sie selbst beim technologischen Fortschritt behindern. So sehen es die Chinesen.

Und nicht zu Unrecht, oder? Der nationale Sicherheitsberater Jake Sullivan hatte das im Frühjahr in einem Vortrag als Ziel hervorgehoben – auch wenn es vermeintlich «nur» um Technologie geht, welche auch zu militärischen Zwecken eingesetzt werden kann.
Ja, und wenn Sie Ihrem Hauptkonkurrenten sagen, dass es Ihr Ziel ist, ihn technologisch im Hintertreffen zu halten, indem Sie seinen Zugang zu High-End-Halbleitern einschränken, und diese Halbleiter überwiegend in Taiwan hergestellt werden – das in den Augen Pekings chinesisch ist –, dann scheint das eine recht schwierige und in der Tat riskante Situation zu sein.

Tragen die USA Ihrer Ansicht nach die Hauptverantwortung für die Eskalation?
Beide Seiten sind verantwortlich; ein kalter Krieg geht nie nur von einer Seite aus. Die Chinesen unter Xi Jinping haben zunehmend strategische Ziele verfolgt, die die Vormachtstellung der USA in Frage stellen. Das gilt eigentlich schon seit einem Jahrzehnt. Die Liste von der «Belt and Road Initiative» bis zur Militarisierung Südkoreas ist lang. 

Und die USA?
Die USA waren auch nicht passiv. Mit Trumps Strafzöllen haben sie angefangen, China aktiv einzuhegen. Unter Biden wurde der Druck erhöht. Was Taiwan angeht, denke ich, haben die USA ihre Position so verändert, dass ich verstehe, dass die Chinesen das problematisch sehen. Biden hat dreimal im Prinzip gesagt, dass die USA militärisch reagieren würden. Strategische Ambiguität scheint passé, auch wenn das Weisse Haus Bidens Aussagen dazu jeweils abgemildert hat. Das zeigt auch Nancy Pelosis Besuch in Taiwan vergangenes Jahr. Die Dynamik ist dieselbe wie im ersten Kalten Krieg: Jede Seite nimmt die andere als aggressiv wahr.

Wenn es um China und die Taiwan-Frage geht, sind sich die Demokraten und Republikaner in den USA ungewohnt einig. Könnte sich der Ansatz gegenüber China mit der US-Wahl nächstes Jahr dennoch verändern?
Falls Donald Trump die Wahl gewinnt, ja. Ihn interessiert kein kalter Krieg, er war immer nur auf Handel fixiert. Es gab andere in seiner Regierung, wie etwa Mike Pompeo oder Mike Pence, welche den Schwerpunkt von Zöllen auf Technologie und dann weiter zu geopolitischen Fragen verschoben haben. Trump interessiert sich mehr für Zölle als für Taiwan. Ironischerweise könnte das gut für Frieden sein.

Schwer zu glauben aus europäischer Sicht: dass ausgerechnet Trump möglicherweise den Konflikt beruhigen würde.
Weil Europäer Trump immer für einen Kriegspräsidenten gehalten haben. Dabei ist er trotz mancher Rhetorik…

…wie die Rede von «Feuer und Zorn», mit denen er Nordkorea begegnen wollte…
…weniger interessiert an militärischen Auseinandersetzungen im Ausland als andere Präsidenten. Ich denke, er würde nach seiner Wahl sehr schnell handeln, um den Krieg in der Ukraine zu beenden und den Konflikt um Taiwan zu deeskalieren. 

Wie könnte das aussehen?
Ich denke, Trump könnte ein Handelsabkommen mit Xi Jinping abschliessen und versuchen, die Beziehungen zu verbessern. Er könnte die Unterstützung für die Ukraine beenden und versuchen, die Beziehungen zu Putin zu verbessern. Alle würden vor Empörung aufheulen, aber die Leute sind eh empört, egal was Trump tut.

Es wäre das Ende der Ukraine.
Ja. Und dafür bin ich natürlich nicht. Aber das wäre das, was Trump – basierend auf seinen Äusserungen – wohl tun würde. Er würde die Ukraine nicht um jeden Preis unterstützen, sondern es mit irgendeinem Deal probieren, der sicher beinhalten würde, dass die Ukraine Territorium verliert. Die Krim bliebe sicher in russischen Händen und Kiew könnte noch mehr vom Donbass verlieren. Und es gäbe in einer zweiten Trump-Regierung wohl keine moderaten Kräfte mehr wie Jim Mattis oder H.R. McMaster, die dafür gesorgt haben, dass Trump die Nato nicht verlässt und Europa nicht verprellt. In einer zweiten Amtszeit Trumps wären alle Schleusen offen. Die Europäer, die wollen, dass die Ukraine gewinnt, und die wollen, dass die Nato-Erweiterung fortgesetzt wird, sollten sich also wirklich Sorgen über die Wahlen im nächsten Jahr machen.

Falls Trump noch davon abgehalten wird, anzutreten – wer würde Ihrer Ansicht nach gegen Biden antreten? Haben Sie einen Favoriten?
Trump dürfte kaum noch aufzuhalten sein. Trotz der laufenden Rechtsfälle. Es dürfte vor der Wahl nicht mehr zu einer Verurteilung kommen und er hat den letzten Umfragen zufolge rund 60 Prozent der Wählerinnen und Wähler in den Vorwahlen hinter sich. Viel spannender finde ich die Frage, ob der demokratische Kandidat wirklich Biden sein wird.

Das ist unwahrscheinlicher?
Wenn Biden wohl gegen Trump verlieren würde, dürfte es grossen Druck geben, dass er zurücktritt. Gavin Newsom wäre dann aus meiner Sicht der offensichtliche Kandidat. Ich könnte mir vorstellen, dass Biden Anfang nächstes Jahr wie Lyndon Johnson 1968 sagt: Aus gesundheitlichen Gründen ist es nicht im Interesse des Landes, dass ich nochmal antrete. Gavin Newsom könnte sofort einspringen. Er hat das Geld dafür, die Kampagnenstruktur. Mein Bauchgefühl sagt mir: Trump tritt an, aber Biden nicht. Und Harris auch nicht. Immer vorausgesetzt, dass die Umfragen sagen, dass sie Trump nicht schlagen können.

Aber der kalifornische Gouverneur Newsom könnte das, Trump schlagen?
Oh ja. Er würde gewinnen, weil Trump so viele ungünstige Eigenschaften hat, dass grosse Teile der Wählerschaft zögern werden, ihn bei den Präsidentschaftswahlen zu wählen. Ein jüngerer Mann hingegen wird viele der wichtigen Wechselwähler ansprechen, die nicht mal auf seine Bilanz und Kalifornien schauen werden. Newsom ist ein sehr plausibler, politischer Performer.

Gibts Alternativen?
Es gibt sicher andere, die es probieren würden, und es könnte recht offene Vorwahlen geben, wenn Biden zur Seite tritt. Aber Newsom wäre für mich der Spitzenreiter.

Und was wäre das Wahlergebnis, das Sie sich wünschen würden?
Das Land ist von Trumps Präsidentschaft gleichzeitig traumatisiert wie gestärkt. Die objektive Politik von Trump war in wirtschaftlicher Hinsicht und in Bezug auf die Aussenpolitik tatsächlich recht erfolgreich. Aber das Land wurde durch den Stil von Trumps Regierung und die unglaubliche allergische Reaktion, die er bei Liberalen und Progressiven hervorruft, mindestens halb in den Wahnsinn getrieben. Die Leute würden durchdrehen, wenn Trump wiedergewählt würde. Mich beunruhigt, wie die Reaktionen in den Städten oder auf den Uni-Campussen ausfallen könnten.

Warum?
Es könnte erneut eine Seite geben, welche ein Wahlergebnis nicht anerkennt, und das wäre sehr, sehr aufreibend. Und jeder, der sich auf eine zweite Trump-Amtszeit freut, sollte sich klarmachen, dass diese anders aussehen wird als 2017. Er würde die Verwaltungen auf den Kopf stellen und im Justizministerium sicher alle «Gegner» feuern. Das dürfte schwer auszuhalten sein. Selbst für meine Nerven. Auf der anderen Seite habe ich sieben Jahre in Kalifornien gelebt und würde nicht sagen, dass Gavin Newsom sehr erfolgreich gewesen wäre. Das oder Trump 2.0 – das ist eine fiese Wahl.

Bedeutet im Klartext?
Dass ich wünschte, ein anderer republikanischer Kandidat könnte sich durchsetzen. Ron DeSantis ist aus meiner Sicht noch nicht tot. Auch andere könnten sich hervortun, wenn Trump zu wirr wird. Es wäre generell super, wenn für beide Parteien jemand Jüngeres antritt.

Nochmal zurück zum kalten Krieg und seinen wirtschaftlichen Konsequenzen. Hat Europa in diesem Konflikt wirtschaftliches und moralisches Gewicht?
Die europäische Wirtschaft ist gross, wenn man das BIP der Euro-Volkswirtschaften, der Europäischen Union oder der Euro-Zone zusammenzählt, aber das ist wahrscheinlich nicht der wichtigste Massstab im Kontext des kalten Krieges. Der wichtigste Massstab ist eher die Technologie als die Produktivitätsleistung. Und es ist klar, dass Europa in Bereichen wie der künstlichen Intelligenz oder dem Quantencomputing, also der Spitzentechnologie, weit zurückliegt und nicht wirklich eine Rolle spielt.

Es arbeitet gerade fleissig daran, aufzuholen. Intel etwa baut dank grosszügiger Subventionen eine Halbleiterfabrik im ostdeutschen Magdeburg.
Ja, aber es wird ein langer Weg sein. Selbst wenn es um Elektrofahrzeuge geht – trotz der starken Autoindustrie –, weil China die Lieferketten dominiert und Europa mit billigen Elektroautos fluten kann. Das passiert bereits. Aber immerhin ist Europa bei diesem kalten Krieg weniger verletzlich als beim ersten. Wäre der eskaliert, wäre Europa das Schlachtfeld gewesen. Jetzt wären es Taiwan oder das Südchinesische Meer. In diesem Sinne würde Europa wahrscheinlich gerne bündnisfrei sein, um mit den USA und mit China verhandeln zu können. Das ist auf jeden Fall eine Option für die Schweiz.

Kann sich die Schweiz aus so einer Situation wirklich heraushalten?
Leichter als Deutschland, weil Deutschland für seine Sicherheit von den USA abhängt und Mitglied der Nato und der EU ist. Die Schweiz ist nichts davon. Ich gehe davon aus, dass es bei diesem kalten Krieg mehr Länder geben wird als beim ersten, die sich aus wirtschaftlichen Interessen auf keine Seite schlagen.

Wer wäre das ausser der Schweiz?
Singapur und die meisten Länder im Nahen Osten zum Beispiel.

Und ist das richtig?
Die Moralfrage ist schwieriger. Denn wenn Sie bündnisfrei oder neutral sind, heisst das, dass es Sie nicht interessiert, wer gewinnt? Wenn der Wettbewerb zwischen den Vereinigten Staaten, die sich der Demokratie, der Meinungsfreiheit und der Rechtsstaatlichkeit verschrieben haben, und China, das sich dem genauen Gegenteil verschrieben hat – nämlich der Alleinherrschaft der Partei, der Zensur und der Überwachung –, ausgetragen wird, scheint es etwas problematisch zu sein, wenn man in diesem Wettbewerb moralisch neutral ist. Denn ich würde nicht gerne in einer Welt leben, in der China die Vorherrschaft hat, in der China die Macht Nummer eins ist. Das wäre eine ziemlich beängstigende Welt, in der wir viel weniger Vertrauen in unsere eigene Privatsphäre und sogar in unsere eigene Sicherheit hätten. Daher denke ich, dass die Schweiz und Westeuropa moralisch gesehen keine andere Wahl haben: Sie gehören auf die Seite der freien Welt.

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