Helena D. ging durch die Hölle
Ausgenutzt, gedemütigt, geschasst

So wie Helena D. arbeiten in der Schweiz Tausende Frauen in prekären Arbeitsverhältnissen, werden von ihren Arbeitgebern ausgenutzt, gedemütigt und geschasst. Viele davon sind Migrantinnen, schlecht qualifizierte Schweizerinnen oder alleinerziehende Mütter.
Publiziert: 12.06.2019 um 23:06 Uhr
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Aktualisiert: 13.06.2019 um 07:42 Uhr
«Es darf nicht sein, dass ich als motivierte Angestellte, als jemand, der ohne zu motzen, Überstunden schob, so mir nichts dir nichts rausgeschmissen werde», sagt die 29-jährige Helena D., die von Zimmer Biomet kürzlich rausgeworfen wurde.
Foto: Philippe Rossier
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Sven Zaugg

Helena D.* lässt sich den Mund nicht mehr verbieten. «Es darf nicht sein, dass ich als motivierte Angestellte, als jemand, der Überstunden schob, so mir nichts, dir nichts rausgeschmissen werde», sagt sie im Gespräch mit BLICK. Für die 29-jährige alleinerziehende Mutter von zwei Kindern bricht am 29. Mai 2019 die Welt zusammen.

Helena D., die für knapp 4300 Franken im Monat vier Jahre als Verpackerin und Koordinatorin beim Milliardenkonzern Zimmer Biomet in Winterthur ZH schuftet, wird an jenem Mittwoch ins Sitzungszimmer zitiert. Dort eröffnen ihr die Vorgesetzten, dass es besser für alle Beteiligten wäre, das Arbeitsverhältnis aufzulösen.

Wie aus einem Schreiben, das BLICK vorliegt, hervorgeht, stimmten laut Zimmer Biomet «Einstellung, Motivation, Leistung und das Vertrauen seit längerer Zeit nicht mehr». Für die junge Frau war das lediglich ein Vorwand, sie loszuwerden: «Wir wurden ständig unter Druck gesetzt, noch schneller zu arbeiten und noch mehr Sonderschichten zu schieben.» Dagegen habe sie sich gewehrt. «Ich habe meinen Vorgesetzten gesagt, dass ich alleinerziehende Mutter sei und mehr Planungssicherheit brauche.» 

Haarsträubendes Arbeitsklima

Laut einer weiteren Angestellten, die wie Helena D. bei Zimmer Biomet arbeitete und unerkannt bleiben möchte, waren sogar Drohungen an der Tagesordnung. Es gäbe genug Bewerberinnen, die den Job zu weniger Lohn machen würden. «Vergesst nicht, ihr arbeitet für euer Essen!», schrien uns die Vorgesetzten an, sagt die Frau im Gespräch mit BLICK.

Dieses Abhängigkeitsmuster ist weitverbreitet. Christa Binswanger, Gender-Dozentin an der Uni St. Gallen, sagt: «Arbeitgeber suchen für einfache Jobs oft Frauen, weil sie von der Annahme ausgehen, dass sich diese besser unterordnen und weniger fordern.»

Bis zum Rauswurf verdient Helena D. ihre Brötchen in der Abteilung Finish. Dort verpackt sie in Schichtarbeit unter sterilen Bedingungen Knie-, Hüft- und Schulterimplantate sowie Platten und Schrauben zur Knochenbruchbehandlung.

Falsche Versprechungen

Schnell steigt Helena D. zur Koordinatorin auf. «Ich war stolz, die Koordination des Teams zu übernehmen.» Doch ein neuer Vertrag bleibt aus, obwohl Helena D. nun längere Schichten schiebt. Dann wird sie schwanger. «Ich habe bis im achten Monat meiner Schwangerschaft alles gegeben.» Den neuen Vertrag als Koordinatorin erhält die 29-Jährige auch bei ihrer Rückkehr aus dem Mutterschaftsurlaub nicht.

Nicht nur das: Helena D. wird wieder zurückgestuft. Den Job als Koordinator erhält ein Mann. «Ich war am Boden zerstört, lag nächtelang wach.» Helena D. fühlt sich betrogen, sucht Hilfe bei einem Psychologen. Diagnose: teilweise Arbeitsunfähigkeit. Das ist sie auch an dem Tag, an dem ihr die Vorgesetzten eröffnen, dass sie gehen muss.

Der Kniff von Zimmer Biomet: Die Vorgesetzten hielten Helena D. eine Aufhebungsvereinbarung unter die Nase. Würde sie diese nicht unterschreiben, drohten die Vorgesetzten mit der Kündigung. Was Helena D. nicht wusste: Weil sie krankgeschrieben war, wäre eine Kündigung nichtig gewesen. «Sie sagten mir, es sei besser, wenn ich die Vereinbarung unterschreibe, sonst hätte ich gar nichts», sagt Helena D. «Die haben mich rausgeworfen, nur weil ich den Mund aufgemacht habe.»

Zimmer Biomet gelobt Besserung

So wie Helena D. arbeiten hierzulande Tausende Frauen in prekären Arbeitsverhältnissen. Viele davon sind Migrantinnen, schlecht qualifizierte Schweizerinnen oder alleinerziehende Mütter. Das beobachtet auch Florian Keller (36) von der Gewerkschaft Unia: «Diese Arbeitnehmerinnen haben keine Wahl, als diesen Job zu machen.» Genau das nutzten die Unternehmen aus. «Die Frauen kennen ihre Rechte nicht, werden massiv unter Druck gesetzt, bis sie zusammenbrechen», sagt Keller.

Zimmer Biomet will sich zum laufenden Verfahren von Helena D. nicht äussern. Das Unternehmen betont jedoch, dass Drohungen «jedweder Couleur niemals Bestandteil der Kommunikation mit Mitarbeitenden sein dürfen».

Gleichzeitig verspricht Zimmer Biomet: «Ihre Anmerkung nehmen wir entsprechend zum Anlass, in der von Ihnen genannten Abteilung das Gespräch mit den entsprechenden Kolleginnen und Kollegen zu suchen und bei Bedarf entsprechende zusätzliche Massnahmen zu initiieren.»

* Name geändert

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