Kaum eine Branche bricht so skrupellos mit Traditionen wie der Detailhandel. Bestes Beispiel: der Ausverkauf. Galten einst fixe Zeiten, so herrscht heute Anarchie.
Früher gabs Ausverkauf eigentlich nur nach Neujahr und im Hochsommer. Inzwischen ist der Markt liberalisiert, Ausverkäufe sind das ganze Jahr über möglich. Nun locken die Läden mit zu unmöglichen Zeiten mit Rabatten.
Das spüren die Konsumenten jetzt auch in der Vorweihnachtszeit. Nachdem der Start des Ausverkaufs vor ein paar Jahren von Anfang Januar auf den 26. oder 27. Dezember verlegt wurde, beginnt er nun schon Mitte Dezember. Also genau dann, wenn die Leute Weihnachtsgeschenke einkaufen.
Zweifelhafter Nutzen
Den Höhepunkt erreichte die vorweihnachtliche Prozente-Schlacht gestern Sonntag in den Einkaufspassagen der Schweizer Städte. In den Schaufenster dominieren die «Sale»-Plakate. In den Läden hängen Prozent-Schilder von der Decke. Es gibt kein Entkommen.
Die Verkäufer könnten sich mit dieser Praxis ins eigene Fleisch schneiden: «Ob sich das für die Detailhändler tatsächlich lohnt, mag ich bezweifeln», sagt Patrick Stäuble, Center-Leiter des Shoppi Tivoli in Spreitenbach AG.
Das Problem: Je mehr Sale-Schilder vor Weihnachten aufgehängt werden, desto weniger Kunden suchen die Läden nach dem Fest auf. Und die Gewinne schmelzen noch schneller dahin.
Coop und Manor machen nicht mit
Trotzdem machen inzwischen fast alle Läden beim Ausverkaufsspielchen mit. Weil sie befürchten, dass die Kunden vor Weihnachten nur noch dort einkaufen, wo es Rabatte gibt, ziehen alle nach.
Aber es gibt Ausnahmen: «Wie jedes Jahr starten wir den traditionellen Winter-Ausverkauf auch im 2013 erst nach den Festtagen, also ab dem 26. Dezember», sagt Manor-Sprecherin Elle Steinbrecher.
Man setze auf Bewährtes, weil sich die Leute schliesslich daran gewöhnt hätten: «Die Kunden schätzen die beiden traditionellen Ausverkaufsperioden nach Weihnachten und während der Sommerferien sehr», erklärt Steinbrecher.
Ähnlich sieht es bei Coop aus: «Der Ausverkauf wird bei uns erst am Freitag, 26. Dezember starten», sagt Sprecherin Nadja Ruch. Eine Ausnahme ist Coop City, weil dort Kleider angeboten werden.
Modeketten haben damit angefangen
Im Textilbereich sind denn auch die «Schuldigen» angesiedelt: «C&A und H&M haben letztes Jahr mit dem vorweihnachtlichen Ausverkauf angefangen», weiss Patrick Stäuble vom Shoppi Tivoli. Je grösser die Mode-Kette sei, desto schneller könne sie auf solche Trends reagieren.
Er spricht vom Rasenmäher-Effekt: «Wenn im Sommer einer im Quartier mit dem Rasenmähen beginnt, ziehen sogleich alle Nachbarn mit.»
Die Shoppingcenter profitieren von dieser Entwicklung: «Der Ansturm nach dem Fest ist dann bei uns nicht mehr so stark, das Gedränge nimmt ab, die Kunden verteilen sich besser.»
Derweil lässt sich aber über das Optische streiten. Die knalligen Sale-Schilder würden nicht so gut mit der besinnlichen Weihnachtsdeko harmonieren, findet Stäuble: «Aber man gewöhnt sich dran.» (alp)