Die Klimajugend hat das Thema Umwelt ins Bewusstsein der Weltöffentlichkeit katapultiert. Die Politik reagiert, der Druck auf die Wirtschaft steigt. Doch beim letzten, dem wichtigsten Akteur hapert es: beim Konsumenten. Denn der hat – das zeigen aktuelle Zahlen – keinen Bock auf Klimaschutz.
Obwohl es immer mehr Vegetarier gibt, steigt der Fleischkonsum in der Schweiz noch immer: 445 105 Tonnen waren es 2018 – 0,4 Prozent mehr als im Vorjahr. Trotz Flugstreik der Klimajugend nimmt die Zahl der Luftreisen zu – in den ersten drei Quartalen von 2019 um 2,3 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Und im letzten Jahr haben die Schweizer 311 466 neue Autos gekauft, fast vier Prozent mehr als 2018 – und die Hälfte davon SUV.
Mehr Fleisch, mehr Flüge, mehr schwere Autos. Wir wissen genau, welche Verhaltensweisen dem Klima schaden – und doch halten wir daran fest. Warum? «Entweder reagiert man direkt auf eine Bedrohung wie den Klimawandel und entscheidet sich für umweltfreundliche Verhaltensweisen», sagt Umweltpsychologin Isabella Uhl-Hädicke von der Uni Salzburg. Doch dazu seien die Menschen häufig nicht bereit. Als Alternative «reagieren sie auf symbolische Art, um sich vom Bedrohungsgefühl zu lösen. Sie werten die Personen ab, die die bedrohliche Botschaft mitteilen und verteidigen die eigene Gruppe.»
Familie Eisenhut aus Villnachern AG reagiert überhaupt nicht. Sie macht einfach weiter wie bisher. Seit 20 Jahren führen Anna und Christoph Eisenhut ein Leben, das noch vor kurzem von vielen als verschroben abgetan wurde – nun gilt es als vorbildlich. Die Eisenhuts leben mit fünf Kindern in einem alten Haus, das sie selbst renovieren. Geheizt wird mit Holz. «Wir kochen und duschen klimaneutral», sagt Logistiker Christoph (42). In die Ferien gehts mit Auto oder Zug. Bei den Kleidern darf es auch Secondhand sein. Und Lebensmittel werden nur bio gekauft. «Da machen wir keine Kompromisse», sagt Christoph, als er den Einkaufswagen durchs Einkaufszentrum in Brugg schiebt.
Einmal vegan, einmal tierisch
Heute sollen es Hörnli mit Gehacktem sein. Für SonntagsBlick kaufen die Eisenhuts alle Produkte doppelt – einmal vegan, einmal tierisch. Die Lebensmittel scannen sie mit der App Codecheck. Damit können sie den ökologischen Fussabdruck von über 109'000 Lebensmitteln per Handy checken – mit Daten des Schweizer Instituts Eaternity. Diese neue Funktion der App, die seit 2010 Inhaltsstoffe von Kosmetika und Lebensmitteln anzeigt, wird ab April allen Konsumentinnen zur Verfügung stehen. Ihre Einkäufe verstauen die Eisenhuts in einen mit dem Auto-Abo der Firma Carvolution gemieteten VW-Bus. Damit gehören sie in der Schweiz zu einer Minderheit: Ein Prozent aller Autofahrer mietet, vier Prozent teilen den Wagen im Carsharing, wie eine neue repräsentative Umfrage des Link-Instituts im Auftrag von Auto Gewerbe Schweiz zeigt. Weitere Resultate der Studie machen deutlich: Auf den Schweizer Strassen ist von der Klimadebatte noch nichts zu spüren. 73 Prozent der Befragten fahren Benziner. E-Autos und Hybride machen gerade mal fünf Prozent aus. Und: Mehr als die Hälfte aller Autofahrer in der Schweiz setzt auch künftig auf den Verbrennungsmotor. Nur jeder Achte zieht ein Elektrofahrzeug in Betracht.
Ist Autofahrern die Umwelt egal? «Den Konsumenten geht die verordnete Umstellung einfach zu schnell», sagt Urs Wernli (69), Präsident vom Auto Gewerbe Verband Schweiz. «Sie folgen nicht einfach Experten und Behörden, sondern ihren eigenen Vorstellungen und Bedürfnissen.» Aber warum halten die Schweizer verbissen an Benzinern fest? «Der Preis spricht für sie», sagt Wernli. Er warnt: «Die Umstellung muss bezahlbar sein, sonst funktioniert es nicht.» Er erwarte von der Politik, dass sie Vernunft walten lasse und keine Extremforderungen stelle.
Ist ein nachhaltiges Leben extrem? «Nein», findet Anna Eisenhut (41). «Wir kennen nichts anderes.» Zurück vom Einkauf, schnuppert sie am veganen Hackfleisch. «Riecht nach nichts.» In der Pfanne brutzelt schon das echte Fleisch – «sieht viel saftiger aus», sagt Christoph.
Einmal pro Woche Fleisch
Etwa einmal in der Woche gibts bei den Eisenhuts Fleisch – oft von Tieren eines nahen Bauernhofs. Mutter Anna ist Vegetarierin, eines der fünf Kinder isst vegan. «Bei uns gibt es viel Teigwaren, Reis, Quinoa und immer Gemüse.»
Nach einer halben Stunde stehen je zwei Pfannen mit Hörnli und Gehacktem auf dem Tisch, dazu zwei Schalen Apfelmus und Salat. Einmal konventionell-tierisch, einmal bio-vegan. Christoph Eisenhut probiert zaghaft vom veganen Hack: «Okay, das ist sogar besser als das echte», sagt er und schiebt sich eine zweite, grosse Portion in den Mund. «Und man hat keine Angst, auf Knorpel zu beissen.»
Nur Marino mag echtes Fleisch mehr
Auch Anna Eisenhut und Tochter Milva (12) schmeckt es. «Isch fein!» Nur Marino (13), der Sohn, findet das herkömmliche Hack besser. «Ich würde das vegane Hack in Zukunft auf jeden Fall wieder machen», betont Christoph Eisenhut.
Dem Klima würde er damit einen Gefallen tun. Denn die Codecheck-App zeigt: Während das Gericht mit den tierischen Komponenten eine vernichtende Klimabilanz hat – nicht nur Rindshack, sondern auch Reibkäse sind Klimakiller – schneidet die vegane Alternative sehr gut ab.
Und das, obwohl Fleisch und Käse aus der Schweiz stammen, das vegane Hack aber aus dem Ausland. Das beweist: Oft spielt der Transport nur eine untergeordnete Rolle – viel wichtiger ist es, weniger Tierisches zu konsumieren.
Das ist gar nicht so einfach. Denn wie unser Experiment zeigt, schlagen nicht nur Bio-Produkte auf die Kasse, sondern auch vegane. Es wird den Konsumenten also nicht leicht gemacht, nachhaltiger zu essen.
«Aber es funktioniert», sagt Christoph Eisenhut. Er erhält jedes Jahr eine Mahnung der Steuerbehörde. «Manko-Einkommen» lautet der Vorwurf. Mit dem Gehalt eines Logistikers könne er unmöglich eine siebenköpfige Familie durchbringen.
Eisenhut beweist das Gegenteil. Dass in seiner Rechnung auch noch Bio-Essen drinliegt, ist erstaunlich. Seine Familie zeigt: Auch mit kleinem Budget ist ein gesundes und nachhaltiges Leben möglich.