Glitzer in Zahnpasta und Co.
Kinderarbeit verschönert uns den Alltag

Mica gibt Puder, Lidschatten und Zahnpasta Glanz. Oft sind es Kinder, die das Mineral schürfen müssen.
Publiziert: 28.07.2019 um 14:56 Uhr
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Aktualisiert: 24.01.2024 um 00:04 Uhr
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Mica ist ein natürlich vorkommendes Mineral und wird oft in illegalen Minen gewonnen – von Kindern. Mica wird häufig für Autolacke und Beauty-Produkte verwendet.
Foto: AFP
Dana Liechti

Geheimnisvoller Glitzer in der Zahnpasta soll bei den Kleinsten die Freude am Zähneputzen wecken, Glanzpartikel in Cremen die Gesichtspflege luxuriös erscheinen lassen. Es ist das Mineral Mica (engl. für Glimmer), das die Produkte zum Funkeln bringt – ein glamouröser Rohstoff mit dunkler Kehrseite: Häufig wird er in Ländern wie Indien aus illegalen Minen gewonnen – von Kindern. Bis zu 20000 Minderjährige arbeiten laut Terre des hommes Niederlande für den Abbau. Die Dunkelziffer ist hoch. Eine kürzlich veröffentlichte Reportage des US-Magazins «Refinery29» zeigt, wie selbst kleine Kinder schwer beladen aus den engen Tunneln krabbeln. Viele von ihnen schuften jeden Tag. Sie verletzen sich, erleiden Atemwegserkrankungen – und viele haben schon Freunde in den Minen verloren, an Erdmassen, die sie unter sich begraben haben.

Die Abnehmer des Micas? Unter anderem grosse Kosmetikfirmen. Auch im Sortiment der Schweizer Detailhändler taucht Mica auf. Sowohl in Fremd- wie auch in Eigenmarken. Etwa im Sephora-Rouge bei Manor, im Nars-Lidschatten bei Globus, der Naturaline-Tagescreme «Perfekter Teint» bei Coop oder in gewissen Zahnpasten bei Migros, etwa in der «Colgate Smiles» für Kinder.

Ist es also möglich, dass auch in unseren Alltagsprodukten Glitzerstaub aus Kinderarbeit steckt? Ja, sagen das Hilfswerk Terre des hommes Schweiz und die Nichtregierungsorganisation (NGO) Public Eye.

Lieferketten zurückzuverfolgen ist fast unmöglich

«Das Risiko, ungewollt Produkte zu kaufen, die mit Kinderarbeit in Verbindung gebracht werden, ist sehr hoch», weiss Oliver Classen, Mediensprecher von Public Eye, «eine unhaltbare Situation.» Richard Geer, Leiter Kommunikation bei Terre des hommes Schweiz: «Untersuchungen von Terre des hommes Niederlande haben ergeben, dass die meisten Minen nicht offiziell sind. Das gewonnene Mica wird von Zwischenhändlern abgeholt und mit jenem von anderen Minen vermischt.»

Dadurch sei es fast unmöglich, die Lieferketten zurückzuverfolgen und auszuschliessen, dass Kinder für den Glitzerstaub gearbeitet haben.

Die Detailhändler verweisen auf ihre Richt­linien und Verhaltens kodizes, die Kinderarbeit strikt untersagen und deren Durchsetzung regelmässig streng kon­trolliert werde. Dennoch lassen Migros und ihre Tochterfirma Globus unisono verlauten, man wolle den Austausch mit den Markenproduzenten suchen: «Die Bilder machen uns betroffen und sind in keinster Weise akzeptierbar.»

Lieferanten müssen Richtlinien einhalten

Manor schreibt, man behalte es sich grundsätzlich vor, die Zusammenarbeit mit gewissen Lieferanten zu beenden, falls diese nachweislich gegen die ethischen Standards verstosse. Die Anbieter seien verpflichtet, keine Ware zu liefern, «die durch ausbeuterische Kinderarbeit hergestellt wird». Bei Coop, wo man «geringe Mengen Mica» auch für die Eigenmarken We! und Naturaline verwendet, verweist man darauf, dass von den Lieferanten die Einhaltung der Richtlinien erwartet werde. Sie verpflichten sich demnach, ethische, faire Arbeitsbedingungen ohne Kinderarbeit einzuhalten, was regelmässig überprüft werde. «Zudem führen wir eigene Kon­trollen durch», so Coop.

Laut der «Refinery29»-Reportage sind verschiedene internationale Unternehmen wie L’Oréal Paris oder Estée Lauder Teil der «Responsible Mica Initiative». Die habe das Ziel, die Probleme bei der Mica-Beschaffung bis 2022 zu lösen.

Die von den Detailhändlern genannten Richtlinien seien zwar im Allgemeinen gute Instrumente, um der Kinderarbeit ein Ende zu setzen, sagt Terre-des-hommes-Sprecher Geer. Aber: «Sie sind keine Garantie.» Die Initiative sei ein guter Anfang, die Herausforderungen aber gross: «So ein Projekt wird Zeit brauchen. Die Unternehmen sind noch lange nicht am Ziel angekommen. Darum kann man die Produkte mit Mica noch nicht ohne schlechtes Gefühl kaufen.»

Synthetische Ersatzprodukte

Am besten sei es, auf Produkte mit Mica zu verzichten, betont auch Oliver Classen von Public Eye.

Wer trotzdem glitzern möchte, könne zu synthetischen Ersatzprodukten greifen – am besten solche ohne Plastik. Die beiden NGO-Vertreter plädieren für die von Public Eye mitgetragene Konzernverantwortungs-Initiative. Das Ansinnen gelangt 2020 zur Abstimmung und fordert, dass Schweizer Firmen auch für Verstösse gegen Umwelt- und Ethikstandards im Ausland haftbar gemacht werden sollen.

Die Bürgerlichen lehnen die Vorlage ab. Sie befürchten eine Schwächung des Schweizer Wirtschaftsstandorts.

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