Getreidehändler Christian Jörg zur Juso-Vorlage
«Diese Initiative stopft kein einziges Maul!»

Am 28. Februar stimmen wir über Nahrungsmittelspekulation ab. Doch was ist das genau? Und wie funktioniert der Handel mit Reis, Weizen und Mais?
Publiziert: 09.02.2016 um 16:08 Uhr
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Aktualisiert: 05.10.2018 um 19:56 Uhr
«Die Ausnahmeklausel der Juso ist nicht praktikabel»: Händler Christian Jörg will den Hunger bekämpfen.
Foto: Pascal Mora
Peter Hossli (Text) und Pascal Mora (Fotos)

Ums Leibhaftige geht es Christian Jörg (49). «Wer nicht essen kann, stirbt.» Jörg handelt mit Getreide – mit Weizen, Mais, Soja. Daraus wird Brot, Polenta, Tofu. Jährlich verschifft er zehn Millionen Tonnen, setzt 1,5 Milliarden Dollar um. «Das sichert Menschen das Leben», sagt Jörg. Er wuchs auf einem Bauernhof im Kanton Schwyz auf. Im Stall standen Kühe. Als gelernter Bauer weiss er, wie man Ernten einfährt.

Als Getreidehändler stellt er sich gegen die Juso-Initiative «Gegen die Spekulation mit Nahrungsmitteln». Sie kommt am 28. Februar an die Urne. «Weltweit leiden 850 Millionen Menschen Hunger», sagt er. «Die Juso missbraucht sie, um alte Feindbilder anzugreifen: Banken und Konzerne.» Aber: «Diese Initiative stopft kein einziges Maul.»

So funktioniert der globale Getreidehandel.
Foto: Infografik/Priska Wallimann

Es sei schwierig, acht Milliarden Menschen zu versorgen. Zumal die Scholle ständig schrumpfe. 1956 ernährten noch 0,5 Hektar landwirtschaftliche Fläche einen einzelnen Weltenbürger, heute sind es 0,2 Hektar, ein Minus von 60 Prozent.

Mehr Land verschwinde, die Bevölkerung wachse weiter. Bis 2056 müssten Bauern 75 Prozent mehr ernten. «Das ist möglich», glaubt Jörg. Russland, die Ukraine und Kasachstan könnten zulegen. Ebenso Afrika, wenn die Korruption verschwinde. «Die Böden sind fruchtbar, es hätte genügend Wasser.» Zudem steigere bessere Technik die Erträge.

Um genügend Getreide in Backstuben zu bringen, seien aber «stabile Märkte nötig». Dazu gehörten Termingeschäfte. Und diesen würden bei der Annahme der Juso-Initiative verunmöglicht.

Dem widerspricht Juso-Präsident Fabian Molina (25): «Termingeschäfte wären nicht betroffen.» Zumal die wichtigen Handelsplätze bereits zwischen «nützlicher Absicherung und schädlicher Finanzspekulation unterscheiden» würden, so Molina. «Bei der Umsetzung der Initiative wäre das kein Problem.»

Gemäss Getreidehändler Jörg liegt die Juso falsch. «Die Ausnahmeklausel der Juso ist nicht praktikabel, sie würde den Handel an diesen Börsen derart einschränken, dass gar kein Finanzinvestor mehr dort auftritt.» Der Handel mit Lebensmitteln sei aber risikoreich. «Bauern, Händler und Käufer wollen sich absichern», kontert Jörg.

Hiesige Handelsfirmen handeln 30 Prozent des weltweiten Getreides. Termingeschäfte wickeln sie in Chicago, in New York und London ab, das ist an Schweizer Börsen nicht möglich.

Das Geschäft funktioniert so: Ein Bauer in der Ukraine pflanzt Mais. Ein Schweizer Händler mit Büros in Kiew und Shanghai kauft Mais. Und lässt ihn 600 Kilometer mit dem Lastwagen ans Schwarze Meer transportieren. Von dort gelangt er per Frachtschiff nach China.

Die Umsätze sind hoch, die Margen mit eins bis zwei Prozent gering. Währungen schwanken. Beim Transport und im Lager verrottet Ware. «Das grosse Risiko aber ist der Preis», so Jörg. Bauern in der Ukraine wie Müller in China sichern dieses Risiko ab – an Terminbörsen. Dort schliessen sie sogenannte Futures ab, eine Art Rückversicherung. Dabei verkauft der Bauer den Mais vor der Ernte zu einem fixen Preis. Zumal er seine Kosten kennt. Liefern wird er am vereinbarten Tag. Der Müller kauft zu fixen Preisen und erhält die Ware fristgerecht. So können beide ihr Geschäft planen.

Ein Future kostet Geld, wie jede Versicherung. Von Preisschwankungen profitiert der Händler des Termingeschäfts. Oder der Spekulant verliert. «Klar verdienen einige mit Termingeschäften Millionen», so Jörg. «Aber andere verlieren Millionen.»

Warum sind Termingeschäfte überhaupt nötig? «Die Margen sind gering, der Handel ist volatil», sagt Jörg. «Es braucht Sicherheit.» Die Nachfrage ändere sich kaum. «Das Bürli zur Bratwurst wollen wir, ob das nun einen Franken oder zwei Franken kostet.» Das Angebot schwanke. Weiche die Ernte um drei bis vier Prozent vom Üblichen ab, ergebe das Preisunterschiede von bis zu 30 Prozent. Sind es nicht die spekulativen Termingeschäfte, die Preise treiben und so Hunger fördern? «Kurzfristige Preisausschläge sind auf Wetterkapriolen zurückzuführen. Das kann Regierungen veranlassen, Exportstopps einzuführen was die Preise weiter ansteigen lässt.»

Hunger erklärt Jörg anders: 30 Prozent der Ernte verrotte auf den Feldern oder in Lagerhäusern. Zudem würden Konsumenten 30 Prozent der Lebensmittel wegwerfen. Ein grosser Teil von dem, was wächst, gelangt nicht auf Teller oder in Tröge. Jährlich gehen 1,3 Milliarden Tonnen Getreide kaputt – 20000 volle Supertanker.

Solche Verluste und nicht Termingeschäfte führten zu Hunger, sagt Jörg. «Und der Irrsinn, aus Mais Diesel herzustellen.» Die Klimaveränderung bedinge Ernteausfälle. «Die Juso-Initiative verhindert Biodiesel nicht, sie macht nichts gegen Klimawandel.»

Schweizer Getreidehändler kaufen in Süd- und Nordamerika ein, in Australien und Osteuropa. Sie schieben die Ware nach Asien, Afrika und in den Nahen Osten. Sie sichern sich mit Termingeschäften ab. Ein Ja zur Initiative brächte Schweizer Händlern wie ihm «riesigen administrativen Aufwand». Jörg erklärt: Ein voll beladenes Schiff transportiert 65 000 Tonnen Getreide. Es gehört Tausenden von Kunden. «Kommt die Initiative durch, muss bei jedem überprüft werden, ob die Absicherung der Inititiave entspricht.»

Die Folge: «Ein Exodus der Handelshäuser aus der Schweiz.» Ist das nicht Angstmacherei? Jörg widerspricht und nennt historische Beispiele. So verschwand 1760 die japanische Reisbörse wegen Verboten von Termingeschäften. Bis 1891 war Berlin der wichtigste Handelsplatz für Getreide. Bis die Behörden die Termingeschäfte untersagten. Just zog die Börse weiter – nach Amerika und Grossbritannien. Zurück blieben in Berlin leere Bürohäuser.

Zug und Genf könnte Ähnliches widerfahren, befürchtet Jörg. Dort bringt der Rohstoffhandel je zwanzig Prozent der Steuereinnahmen. Historisch sei die Schweiz attraktiv für Rohstoffhändler. Die Steuern sind tief, die politische Stabilität hoch, über die guten Banken lässt sich der Handel finanzieren.

Mittlerweile seien Steuern andernorts tiefer, in Dubai entfallen sie ganz. «Mit solchen Initiativen sinkt die rechtliche Stabilität», sagt Jörg. «Und Stabilität ist das wichtigste Kapital der Schweiz.»

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