Im April wandte sich Bundesrat Guy Parmelin (60) mit einem dramatischen Appell an die Schweizer Bevölkerung: «Geht auf die Felder den Bauern helfen!» Die Grenzen waren zu. Niemand wusste, ob die so dringend benötigten Erntehelfer aus Polen und anderen Staaten überhaupt in die Schweiz werden einreisen dürfen. Ein Teil der Ernte drohe zu verrotten, sagten Bauern zu BLICK.
Doch die Lage hat sich bereits seit Wochen merklich entspannt. Der Engpass bei den Erntehelfern ist nicht eingetreten. So konnten die Spargeln gestochen und der Spinat geerntet werden. Auch für die Hauptsaison, die Mitte Mai beginnt, erwarten die Bauern, dass genügend Hilfskräfte zur Verfügung stehen. Da die Landwirtschaft ein systemrelevanter Sektor ist, konnte sie auch während des Lockdowns ausländische Erntehelfer einstellen.
141 Portugiesen eingeflogen
Derzeit reisen Erntehelfer sogar mit Chartermaschinen der Swiss ins Land. Auf Facebook teilte die Airline am Dienstag mit: «Pünktlich zu dieser Jahreszeit hat Swiss, im Auftrag von Agri Genève, einen Charterflug zwischen Porto und Genf durchgeführt, um mit 141 Helferinnen und Helfern für Verstärkung bei den fälligen Arbeiten in den Genfer Weinbergen zu sorgen.»
Agri Genève, der Dachverband der Genfer Landwirtschaft, bestätigt auf Anfrage die Ankunft der 141 Erntehelfer aus Portugal. «Die Hilfskräfte bleiben bis Anfang Juli in der Schweiz. Dann gehen sie zurück in ihre Heimat und kehren zur Ernte der Trauben im Herbst zurück», sagt Sprecher François Erard.
Unklare Lage
War also alles nur Panikmache? Markus Waber (30), stellvertretender Direktor des Schweizer Gemüseproduzentenverbandes, wiegelt ab: «Wir wussten lange nicht, ob die Grenzen komplett dicht gemacht werden. Gleichzeitig zogen es einige Erntehelfer vor, in der Heimat bei ihren Familien zu bleiben.» Die Lage habe sich jedoch schnell entspannt. «Die ausländischen Erntehelfer durften zu Beginn mit einer Arbeitsbewilligung und einer vorgängigen Anmeldung einreisen, einige Tage später benötigten sie zudem eine Aufenthaltsbewilligung.»
Die Gemüsegärtner hätten, wenn Bedarf vorhanden war, auch auf inländische Arbeitskräfte zurückgegriffen, sagt Waber. Dazu spannte der Verband mit dem Personaldienstleister Coople zusammen, der den Betrieben ein grosses Reservoir an flexiblen Arbeitskräften vermittelte – vor allem aus der Gastro- und Hotelbranche, die aufgrund des Lockdown komplett heruntergefahren wurde. Der grösste Teil wurde aber direkt über die Betriebe vermittelt.
Gut durch den Lockdown gekommen
Auch Gemüsebauer Thomas Wyssa (59) zählte auf den Dienst des Jobvermittlers Coople. «Wir konnten so sehr kurzfristig zehn Hilfskräfte gewinnen.» Wyssa beschäftigt rund 60 Angestellte. 30 in einer Festanstellung, zur Haupterntezeit kommen weitere 25 bis 30 Erntehelfer aus dem Ausland dazu. «Hauptsächlich aus Polen und Portugal», sagt der Gemüsebauer aus Galmiz FR.
Von einem Engpass bei den Erntehelfern könne bei ihm keine Rede sein. «Auch die meisten meiner Kollegen im Seeland sind gut durch den Lockdown gekommen», sagt Wyssa. Und nächste Woche wird sein Team weiter aufgestockt: «Wenn alles klappt, erwarten wir weitere Hilfskräfte aus Portugal.»
Höhere Produktionskosten
Wegen der Schliessung der Grenzen ist die Einstellung von Saisonarbeitern aus dem Ausland jedoch etwas komplizierter als sonst. Denn die Bauern müssen die Hilfsarbeiter, die auf den Landweg in die Schweiz reisen, an der Grenze abholen. Grund: Der Fahrer des Fahrzeugs, der die Hilfskräfte transportiert, darf die Grenze nicht überqueren.
Derweil erwartet der Dachverband Obstunion Schweiz aufgrund der komplizierteren Personalrekrutierung und einer geringeren Ernte durch die Anwendung der vom Bundesamt für Gesundheit empfohlenen Hygienemassnahmen höheren Produktionskosten. Damit könnten auch die Preise für Obst in den Regalen der Detailhändler leicht steigen.
Grosse Solidaritätswelle
«Gleichzeitig war die Solidaritätswelle enorm», sagt Waber. «Die Betriebe wurden mit Anfragen von Schweizerinnen und Schweizer, die einfach helfen wollten, regelrecht überschwemmt.» Leider konnten für die körperlich anstrengende Arbeit nicht alle vermittelt werden. Nicht zuletzt deshalb, weil die Gemüsegärtner gerne mit Personal arbeiten, die den Betrieb und das Handwerk seit Jahren kennen.
Denn die Gemüseernte ist Knochenarbeit. Jedes Jahr malochen 20'000 bis 25'000 ausländische Hilfskräfte auf den Schweizer Feldern, damit Gemüse und Obst frisch auf unseren Tellern landet. Harte körperliche Arbeit für 3300 Franken pro Monat bei einer 55-Stunden Woche.
Dickere Rüebli im Regal
Neben den Erntehelfern konnten die Bauern noch ein anderes Problem lösen. Jedes Rüebli, das schwerer ist als 200 Gramm, geht eigentlich in die Gastronomie. Weil die Beizen aber seit dem 17. März und erst wieder ab kommenden Montag mit reduziertem Betrieb öffnen, ist ein Absatzzweig weggefallen. Um sie nicht alle wegwerfen zu müssen, haben die Gemüseproduzenten mit dem Detailhandel eine Spezial-Vereinbarung getroffen.
«Bei den Karotten konnten wir die Kalibergrösse von 200 auf 250 Gramm anpassen», sagt Waber. Nicht zuletzt deshalb sind die Rüebli im Offenverkauf oder im Ein-Kilo-Beutel etwas grösser als sonst. Gleiches gilt für Chabis, Sellerie und den Lollo-Salat, der fast ausschliesslich für die Gastronomie produziert wird. «Was nicht beim Detailhändler in den Regalen landete, verkauften die Bauern in ihren Hofläden», sagt Waber.