Anne, hast du gedacht, dass du einmal eine so machtvolle Position übernimmst?
Anne Héritier Lachat: Nein. Das war eine Chance, die sich mir bot, und ich wollte mich dieser Herausforderung stellen. So habe ich das in meiner Karriere immer gemacht.
Was macht dich mächtig?
Ganz allein kann ich nichts bewegen, es braucht ein Team. Zudem legt das Gesetz den Auftrag der Finma fest. Den Raum, den wir als Verwaltungsrat selbst gestalten können, fülle ich gemeinsam mit den Kollegen.
Ich kann mich gut an den Moment erinnern, als du gewählt wurdest. Viele, auch ich, waren überrascht. Und das, obwohl du bereits Mitglied des Finma-Verwaltungsrats warst. War die Überraschung so gross, weil du eine Frau bist?
Ich glaube nicht, dass das mit der Tatsache zusammenhängt, dass ich eine Frau bin. Das hing vermutlich damit zusammen, dass man als Verwaltungsratsmitglied der Finma nicht exponiert ist, im Gegensatz zum Präsidenten oder der Präsidentin.
Was hast du gesagt, als du gefragt wurdest, ob du Finma-Chefin werden möchtest?
Als der Anruf kam, habe ich kurz überlegt und dann sofort Ja gesagt. Ich wusste ja bereits, worum es bei diesem Posten geht, und konnte mich deshalb schnell entscheiden.
Du hast es bei deiner Arbeit mit Bankern zu tun. Das sind oft risikofreudige, gierige, farblose Menschen. Gefällt dir dieses Klima?
Das sind Klischees. Möglicherweise trifft das in gewissen Fällen zu. Aber ich persönlich habe das nie erlebt. Ich habe die Menschen höflich, sachlich und ruhig kennengelernt.
Du bist Anwältin, kommst nicht aus der Bankenbranche. Nimmt man dich trotzdem ernst?
Ich habe stets positive Erfahrungen gemacht, wenn man sich seriös vorbereitet und die Materie versteht.
Fühltest du dich jemals als Frau nicht ernst genommen?
Als junge Anwältin hat mich ein Mandant einmal gefragt, ob er mich «Madame» oder «Mademoiselle» nennen solle. Und ich antwortete: «Nennen Sie mich doch ‹Maître› (französischer Titel für Rechtsanwalt – Red.).» Das war die einzige Situation.
Das ist deine erste Position, in der du so exponiert bist. Fühlst du dich auf dieser Bühne wohl?
Das ist ein Teil meiner Arbeit, den ich akzeptiere. Er gehört zum Job und bereitet mir keine ausserordentlichen Schwierigkeiten.
Wie führst du?
Ich führe mit einer gewissen Gelassenheit, aber mit entschiedener Art. Zudem betrachte ich in vielen Situationen auch eine Prise Humor als ein sehr effizientes Instrument.
Du hast dich für eine Frauenquote ausgesprochen. Weshalb?
Ich bin für eine Frauenquote, aber nur bei Verwaltungsräten grosser Firmen. Deren Mitglieder werden oft aufgrund ihres Netzwerks oder durch Bekanntschaften rekrutiert. Da diese traditionell von Männern geprägt sind, besteht das Risiko, dass die Frauen untervertreten bleiben.
Wie kann man Frauen im operativen Teil der Firmen fördern?
Wo zu wenig Frauen in verantwortungsvollen Posten tätig sind, sollte man bei gleichen Qualifikationen den Frauen den Vorrang geben. An der Universität in Genf hat man dieses System eingeführt, und es funktioniert. Daneben gibt es eine Reihe von praktischen Massnahmen, etwa Krippen, Tagesschulangebote oder die Möglichkeit, von zu Hause aus zu arbeiten. Das sind wichtige Schritte.
Und wie bringt man diese Frauen in den Chefsessel?
Die erwähnten Massnahmen müssen greifen, damit Familie und Beruf in anspruchsvollen Bereichen besser unter einen Hut gebracht werden können. Mentoring kann eine Massnahme sein, die nicht viel kostet, aber hilft, die Situation zu entspannen. Wenn mehr Frauen im Management agieren, steigt die Chance, dass Frauen in Chefpositionen kommen.
Hattest du selber einen Mentor?
Nein.
Machst du bei der Finma etwas, um die Frauen zu fördern?
Nein, aber ich habe die Diskussion bei meinen Kollegen vom Verwaltungsrat lanciert.
Woran liegts, dass der Verwaltungsrat bisher nichts unternommen hat? An den Männern?
Nein. Wir haben im Moment einfach viele andere Prioritäten.
Hast du einmal eine Situation erlebt, in der du dir mehr Frauen in einem Team gewünscht hättest?
Zahlreich sind die Beispiele nicht. Ich erinnere mich aber an eine Situation, als ich mit drei Männern eine Anwaltskanzlei führte. Stundenlang haben wir über die Reihenfolge der Namen auf dem Briefkopf diskutiert. Ich bin überzeugt, unter Frauen hätten wir diese Frage deutlich schneller gelöst.
Wie können wir junge Frauen motivieren, auch in der Finanzbranche Karriere zu machen?
Vielleicht erscheint jungen Frauen die Hürde, hier Karriere machen zu können, besonders hoch. Dann muss die Branche ihre Personalpolitik besser erklären und den Worten Taten folgen lassen.
Du bist Mutter von zwei erwachsenen Söhnen. Hattest du jemals Schwierigkeiten, Familie und Beruf zu vereinbaren?
Ich habe es immer als Privileg erlebt, dass ich ein Berufs- und ein Familienleben führen darf – und nie als Bürde.
Wie kann es eine Frau in deine Position schaffen?
Da gibt es kein einfaches Rezept. Aber eine gute Ausbildung ist essenziell, um weiterzukommen. Und: Eine Karriere sollte nicht zu strikt geplant sein. 20-Jährige mit einem fixen Karriereplan machen mir eher Angst.