Die schlechte Nachricht für viele Postangestellte kam am Mittwoch: 600 Filialen sollen in den nächsten vier Jahren schliessen, verkündete Postchefin Susanne Ruoff (58). Bis zu 1200 von derzeit mehr als 62'000 Mitarbeitern könnten betroffen sein, hiess es in einer Medienmitteilung. Doch da hört der Abbau bei der Post noch lange nicht auf, wie SonntagsBlick-Recherchen zeigen.
Ruoff setzt den Rotstift auch im Backoffice an. Die Abteilungen Personal, Finanzen und Kommunikation werden neu organisiert. Ziel ist eine «stärkere Kosten- und Prozesseffizienz», wie die Post auf Anfrage bestätigt.
Erreicht werden soll dieser Zustand durch ein neues Führungsmodell. Das entsprechende Projekt soll nun aufgegleist werden; im April wird die neue Struktur eingeführt. Wie viele Mitarbeiter vom Abbau betroffen sind, ist noch unklar. «Die Grössenordnung wird im Rahmen der Projektarbeiten erarbeitet», sagt Sprecher Richard Pfister. Wo Stellen wegfallen, werde man «alles da-ransetzen, um sozialverträgliche Lösungen zu finden», so Pfister.
Die Belegschaft ist verunsichert. Bereits machen Gerüchte die Runde, auch bei den PostFinance-Kollegen müsse gespart werden.
Die Post ist im Strudel der Veränderung: Als Grund für die massiven Sparmassnahmen nennt Sprecher Pfister grundlegende Herausforderungen «im Kontext des aktuellen Marktumfeldes und der digitalen Transformation». Tatsächlich steht das bisherige Geschäftsmodell der Schweizerischen Post in Frage – auch weil die Kunden mehr und neue Dienstleistungen erwarten.
Die Post, als Teil des Service public eigentlich ein Staatsbetrieb, agiert plötzlich wie ein Privatunternehmen. Das erschreckt viele.
«Die Post hat kein politisches Fingerspitzengefühl», ärgert sich Unia-Gewerkschafter und SP-Nationalrat Corrado Pardini (50). «Gemeinsam haben wir Seite an Seite die Initiative ‹Pro Service public› bekämpft. Und nun hält es die Konzernspitze nicht einmal für nötig, die Gewerkschaften angemessen zu informieren.»
War der Bundesrat informiert?
In der kommenden Session wird Pardini den Bundesrat befragen, ob er über die Pläne der Post informiert war. Es dürfe nicht sein, dass die Geschäftsleitung der Post «derart tief greifende Entscheide fällt, ohne vorher mit dem Eigner, also dem Bund, Rücksprache genommen zu haben».
Die Post streicht nicht nur Stellen und schliesst Filialen, sie lagert auch zunehmend Dienstleistungen an Private wie den Lebensmittelhändler Volg aus – und umgeht damit die Gesamtarbeitsverträge. Auch innerhalb der Post ging die Zahl der Mitarbeiter, die dem GAV unterstehen, von 88,9 Prozent im Jahr 2004 auf aktuell 61,5 Prozent zurück. Die Zahl der Poststellen sank zwischen 2001 und 2016 von 3200 auf 1400. Gleichzeitig wurden seit 2001 rund 800 Postagenturen eröffnet, in denen private Unternehmen postalische Dienstleistungen erbringen.
Besonders frappant sind dabei die Unterschiede bei den Löhnen: Nach Angaben der Gewerkschaft Syndicom beträgt der jährliche Durchschnittslohn eines Poststellenangestellten rund 80'000 Franken. Zum Vergleich: Wer bei Volg eine dreijährige Lehre abgeschlossen hat, schafft es dank Mindestlohn auf ein Jahreseinkommen von knapp über 50'000 Franken.
Will heissen: Wenn immer mehr Pakete von Volg-Angestellten und anderen Dienstleistern entgegengenommen werden, spart nicht nur die Post Geld; es wird insgesamt weniger Lohn für diesen Service gezahlt.
Auch wenn heute Sonntag zum ersten Mal Sonntagslieferungen möglich sind, sind dafür keine Postangestellten zuständig, sondern beispielsweise Taxifahrer. Auch Briefkästen werden nicht mehr allein von Pöstlern geleert, sondern teils von Privatpersonen. In einem neuen Projekt sollen sogar Wohnungen von Rentnern als Paketabholstellen dienen. Bisweilen springt auch die öffentliche Verwaltung ein: Die Poststelle in Menznau LU wird im Frühling schliessen, dann übernimmt die Gemeindeverwaltung.
Corrado Pardini ist empört: «Es ist untragbar, wenn die Post als bundesnaher Betrieb über die Auslagerung an Agenturen die Löhne drückt und den bestehenden Gesamtarbeitsvertrag unterläuft.» Für ihn ist klar: «Wir kommen nicht um eine grundlegende Debatte über Service public herum.»
Nicht die Konzerne hätten zu entscheiden, wie viele Poststellen und Zugstrecken sich die Schweiz leisten will, sondern das Volk. Pardini: «Es wird einen Grundsatzentscheid fällen müssen.»
Frau Ruoff, Sie haben in dieser Woche bekannt gegeben, dass die Post Filialen schliessen wird. Zudem sei ein Abbau im Backoffice geplant. Wird es auch nach 2020 Schliessungen geben?
Susanne Ruoff: Wir haben den Trend für die nächsten vier Jahre skizziert. Wie es danach weitergeht und vor allem wie sich die Kundenbedürfnisse entwickeln, wissen wir derzeit nicht. Es ist nicht an uns, den Leuten zu sagen, was sie machen sollen. Die Bedürfnisse der Kunden wandeln sich ständig – und wir uns mit ihnen. Denken Sie an den Lieferroboter, der Medikamente nach Hause bringt, oder selbstfahrende Postautos. Entscheidend ist für uns, dass wir hier mitgestalten und dass wir keine Angst vor der Zukunft haben. Nur so können wir konkurrenzfähig bleiben.
Die Post lagert immer mehr Dienstleistungen an Externe aus, zum Teil auch weil sie die Arbeit nicht selbst erbringen darf. Braucht es eine Liberalisierung des Postgesetzes?
Nein, das Postgesetz ist ausreichend. Es ist ja nicht so, dass wir ersatzlos Services streichen. Wir schaffen sogar mehr Zugangspunkte, statt 3700 sind es neu 4000. Entscheidend ist für uns der unternehmerische Freiraum, damit wir auf Veränderungen flexibel reagieren können. Die Entwicklungen folgen heute Schlag auf Schlag.
Viele Mitarbeiter, die neu Services für die Post erbringen, unterliegen aber nicht mehr dem GAV und sind folglich schlechter bezahlt. Ein gutes Geschäft für die Post.
Unser Fokus liegt klar auf dem Kunden. Er wird immer mobiler, will auch um 23 Uhr noch sein Paket abholen können. Diesen Trend kann ich nicht aufhalten. Es ist logisch, dass Mitarbeiter von eigenständigen KMU, Familienbetrieben oder Unternehmen als Partnern nicht dem GAV Post unterstellt sind. Auch in der Branche der Dienstleister gibt es Regelungen, Vorgaben und Arbeitsgesetze. Da ist es an den Sozialpartnern, genau hinzuschauen. Oft geht auch vergessen, dass wir als Post viele Stellen in wachsenden Bereichen schaffen, etwa Postlogistik oder Informatik. Der Grossteil der Mitarbeiter dort untersteht dem fortschrittlichen GAV Post, den wir erst vor kurzem mit den Sozialpartnern abgeschlossen haben.
Am Mittwoch standen Sie bei einem internen Anlass auf der Bühne. Die Mitarbeiter feierten, obwohl Sie just an diesem Tag den Abbau bekannt gegeben hatten. Hätten Sie den Event nicht absagen müssen?
Wir veranstalten immer wieder Anlässe, um unseren über 60000 Mitarbeitern für Einsatz und Engagement zu danken. Diesmal war Stefanie Heinzmann eingeladen, um zu singen. Das war schon lange vorgesehen und vorbereitet. Ich habe mich bewusst entschieden, den Event nicht abzusagen, selbst vorbeizuschauen und in einer kurzen Grussansprache meinen Dank auszusprechen. Alles andere wäre ein schlechtes Zeichen gewesen. Die Reaktionen der Mitarbeiter waren dann sehr positiv. Einer schenkte mir sogar ein Schokoladeherz!
Interview: Katia Murmann
Frau Ruoff, Sie haben in dieser Woche bekannt gegeben, dass die Post Filialen schliessen wird. Zudem sei ein Abbau im Backoffice geplant. Wird es auch nach 2020 Schliessungen geben?
Susanne Ruoff: Wir haben den Trend für die nächsten vier Jahre skizziert. Wie es danach weitergeht und vor allem wie sich die Kundenbedürfnisse entwickeln, wissen wir derzeit nicht. Es ist nicht an uns, den Leuten zu sagen, was sie machen sollen. Die Bedürfnisse der Kunden wandeln sich ständig – und wir uns mit ihnen. Denken Sie an den Lieferroboter, der Medikamente nach Hause bringt, oder selbstfahrende Postautos. Entscheidend ist für uns, dass wir hier mitgestalten und dass wir keine Angst vor der Zukunft haben. Nur so können wir konkurrenzfähig bleiben.
Die Post lagert immer mehr Dienstleistungen an Externe aus, zum Teil auch weil sie die Arbeit nicht selbst erbringen darf. Braucht es eine Liberalisierung des Postgesetzes?
Nein, das Postgesetz ist ausreichend. Es ist ja nicht so, dass wir ersatzlos Services streichen. Wir schaffen sogar mehr Zugangspunkte, statt 3700 sind es neu 4000. Entscheidend ist für uns der unternehmerische Freiraum, damit wir auf Veränderungen flexibel reagieren können. Die Entwicklungen folgen heute Schlag auf Schlag.
Viele Mitarbeiter, die neu Services für die Post erbringen, unterliegen aber nicht mehr dem GAV und sind folglich schlechter bezahlt. Ein gutes Geschäft für die Post.
Unser Fokus liegt klar auf dem Kunden. Er wird immer mobiler, will auch um 23 Uhr noch sein Paket abholen können. Diesen Trend kann ich nicht aufhalten. Es ist logisch, dass Mitarbeiter von eigenständigen KMU, Familienbetrieben oder Unternehmen als Partnern nicht dem GAV Post unterstellt sind. Auch in der Branche der Dienstleister gibt es Regelungen, Vorgaben und Arbeitsgesetze. Da ist es an den Sozialpartnern, genau hinzuschauen. Oft geht auch vergessen, dass wir als Post viele Stellen in wachsenden Bereichen schaffen, etwa Postlogistik oder Informatik. Der Grossteil der Mitarbeiter dort untersteht dem fortschrittlichen GAV Post, den wir erst vor kurzem mit den Sozialpartnern abgeschlossen haben.
Am Mittwoch standen Sie bei einem internen Anlass auf der Bühne. Die Mitarbeiter feierten, obwohl Sie just an diesem Tag den Abbau bekannt gegeben hatten. Hätten Sie den Event nicht absagen müssen?
Wir veranstalten immer wieder Anlässe, um unseren über 60000 Mitarbeitern für Einsatz und Engagement zu danken. Diesmal war Stefanie Heinzmann eingeladen, um zu singen. Das war schon lange vorgesehen und vorbereitet. Ich habe mich bewusst entschieden, den Event nicht abzusagen, selbst vorbeizuschauen und in einer kurzen Grussansprache meinen Dank auszusprechen. Alles andere wäre ein schlechtes Zeichen gewesen. Die Reaktionen der Mitarbeiter waren dann sehr positiv. Einer schenkte mir sogar ein Schokoladeherz!
Interview: Katia Murmann