Ex-CS-Banker Andrew Pearse
«Ich will kein gieriger Banker mehr sein»

Andrew Pearse betrog die Credit Suisse und Mosambik. Jetzt kocht er Suppe in der Gassenküche. Wie glaubwürdig ist die Wandlung des Spitzenbankers?
Publiziert: 19:21 Uhr
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Aktualisiert: vor 59 Minuten
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Andrew Pearse war dreizehn Jahre lang Managing Director bei der Credit Suisse und kassierte bei einem Milliarden-Deal viel Schwarzgeld.
Foto: Bloomberg via Getty Images

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Stefan Barmettler
Handelszeitung

Wenn Andrew Pearse an der Haustür klingelt, heisst es Abschied nehmen – vom durchgesessenen Sofa, von der klapprigen Wohnwand, vom defekten Tiefkühler. Pearse räumt Wohnungen aus und bringt die Ware ins Brockenhaus oder direkt auf die Halde. Auf seinem grünen Ford Transit steht der Name seiner Entsorgungsfirma: Waste Not Group.

Doch die Bezeichnung ist leicht übertrieben. Die Gruppe besteht genau aus zwei Leuten: aus Pearse und einem Helfer. Es geht bei der Waste Not Group nicht um Profit, denn was unter dem Strich übrig bleibt, überweist der Firmengründer an Hilfswerke. Das Ausmisten mit ethischem Anspruch kommt gut an bei der Kundschaft: Die ehemalige Antiquitätenhändlerin Rita Woodman hat die Dienste der Firma bereits zweimal in Anspruch genommen: «Wer beim Ausräumen keinen Ärger will: Andrew ist dein Mann.»

Was die begeisterte Kundin nicht weiss: Pearse war Spitzenbanker der Credit Suisse und leitete die Division Global Finance. Nicht Ethik war sein Antrieb, sondern der nächste heisse Deal. Er strukturierte Kredite und Anleihen und platzierte sie bei Investoren. So finanzierte die Bank Grossprojekte wie Fabriken oder Flughäfen irgendwo auf der Welt, wobei es nicht um ein paar Millionen ging, sondern um Milliarden.

Artikel aus der «Handelszeitung»

Dieser Artikel wurde erstmals im Angebot von handelszeitung.ch veröffentlicht. Weitere spannende Artikel findest du unter www.handelszeitung.ch.

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Pearse war ein wichtiger Kreditvermittler – ein Regenmacher, wie es in der Branche heisst, ausgestattet mit Direktorensalär und Millionenbonus, dazu ein Büro in der schicken Canary Wharf in London. Heute sagt er im Gespräch: «Ich will kein geldgieriger Banker mehr sein.» Ist er mit seinem Lieferwagen unterwegs, erinnert nichts mehr an die glamouröse Bankerzeit: In Jeans und grauem T-Shirt buckelt er sperriges Mobiliar durch enge Treppenhäuser. «Kein Auftrag zu gross oder zu klein», wirbt er.

Ein neuer Mensch

Der Weg vom Spitzenbanker der Credit Suisse zum Entsorger von Altmöbeln war ein Gang durch die Hölle. In diesen zehn Jahren verlor Pearse alles: Job, Vermögen, Kreditkarte, Familie. Im Jahr 2000 hatte er bei der Credit Suisse begonnen. Weggefährten, die einst mit ihm zu tun hatten, werden bei einer Anfrage nervös und wollen ihren Namen auf keinen Fall in den Medien lesen. Sie sagen, Pearse sei ein arroganter, ehrgeiziger und besserwisserischer Karrierist gewesen, der Prototyp eines Bankers, scharf aufs Geld, keine Zeit für Empathie – doch er habe sich in den letzten zwei Jahren radikal gewandelt.

«Ein anderer Mensch», sagt einer. Mit dem Gestern habe er Schluss gemacht, meint Pearse selbst. Der Kontakt in die Finanzwelt: abgebrochen. Der Aktienmarkt: Lichtjahre entfernt. Seine Familie: Hat sich von ihm abgewandt. Die Scheidung: rechtskräftig. Er lebt nun in einer bescheidenen Wohnung in einem Arbeiterquartier in einem Londoner Vorort und hält Handwerker für die wahren Helden. «Die rennen nicht dem Geld hinterher.»

Seine Firma besteht aus zwei Personen: Andrew Pearse vor seinem Lieferwagen.
Foto: Waste Not Group Ltd

Viel mehr gebe es zum Gestern nicht zu sagen, meint der 55-Jährige. «Alles andere steht in den Gerichtsakten.» Am 25. Februar 2013 sass er in einem Luxushotel in Mozambiques Hauptstadt Maputo und verhandelte mit der Regierung über einen Kredit in der Höhe von 1,3 Milliarden Dollar. Mit dem Geld wollte die Regierung eine Thunfischfangflotte kaufen, um mit Fischerei Arbeitsplätze zu schaffen. Das war die offizielle Version. In Wahrheit aber diente das Kreditgeschäft Ministern, Geheimdienstlern und dem Credit-Suisse-Banker Pearse dazu, Schwarzgeld in die eigene Tasche abzuzweigen. Insgesamt 500 Millionen Dollar versickerten irgendwo zwischen London und Maputo, knapp die Hälfte davon, 200 Millionen Dollar, schanzten sich die Verschwörer zu; am meisten – 45 Millionen – kassierte der Banker, als Honorar für die Orchestrierung des Milliardenkredits.

Seinen Anteil liess er sich auf ein Bankkonto in Abu Dhabi überweisen, wobei er sich bei der Kontoeröffnung auf der Bank als Schweisser ausgab, der auf den unzähligen Baustellen am Golf malochte. In Wahrheit stand er im Rang eines Managing Directors auf der Gehaltsliste der Grossbank und fuhr frühmorgens im feinen Anzug ins Büro. Von dort aus überwies er 8 Millionen an zwei Komplizen in der Bank, die mithalfen, die Finanzierung durch die internen Kontrollen zu bringen.

Sein Vorgehen war dreist: Weil der Konstrukteur der Fischerboote auf einer schwarzen Liste der Credit Suisse stand und als «unerwünschter Kunde» sowie als «Master of Kickback» geführt wurde, diktierte Pearse seinen CS-Kumpanen beim Formulieren des Kreditantrags: «Lasst ihn einfach aus dem Bild verschwinden.» Der Zaubertrick glückte. Eine vertiefte Prüfung? Gabs bei der Credit Suisse nicht. Das ist sehr erstaunlich, denn die Kredithöhe, um die es hier ging, entsprach immerhin 10 Prozent des Bruttoinlandprodukts des schuldengeplagten Landes. Eine Rückzahlung ist kaum zu erwarten.

CS-Milliardenkredit für Fischfangflotte: Die Schiffe verrosten heute im Hafen von Maputo.
Foto: IMAGO/Le Pictorium

Auch die Korruptionsbekämpfungsorganisation Transparency International (TI) warnt vorab bei Geschäften mit der Regierung, welche seit Jahrzehnten fest im Griff der bewaffneten mosambikanischen Volksfront Frelimo ist – der Länderbericht von TI schätzt das Korruptionsrisiko in Mosambik als «sehr hoch» ein.

Schliesslich winkten sämtliche Kontrollgremien den manipulierten Milliardenkredit durch. Es war offenkundig: Den Deal wollte man sich nicht noch mit Nachfragen vermiesen, denn Mosambik versprach immerhin einen Zins von 9 Prozent. Als das Geschäft unter Dach war, kündigte Pearce bei der Credit Suisse und übernahm die Finanzfirma Polimar in Zürich, die er mit dem Schwarzgeld aus dem Mosambik-Deal zur Finanzboutique entwickeln wollte.

An Kontakten fehlte es dem gebürtigen Neuseeländer nicht, zumal er jahrelang Grossprojekte in aller Welt finanziert hatte. Als erste Mitarbeiterin stellte er seine ehemalige Kollegin von der CS ein, die mittlerweile seine Freundin war. Als ersten Kunden gewann er die Regierung Mosambiks, für die er eben noch einen Milliardenkredit stellte. Selbst da leuchtete bei der CS keine Warnlampe auf. Ein Interessenkonflikt, der niemanden störte.

Vom Täter zum Kronzeugen gegen die CS

Ab 2017 kam die britische und amerikanische Finanzaufsicht den kriminellen Machenschaften auf die Spur, und zwar auf Hinweis von Investoren. Ihnen dämmerte nach der Staatspleite, dass die Credit Suisse sie hinters Licht geführt hatte. Anfang 2020 wurde Pearse in London verhaftet und in die USA ausgeliefert. Diese klagten ihn wegen Betrugs und Geldwäscherei an, wobei ihm bei einer Verurteilung die Höchststrafe von zwölf Jahren Haft blühte. Ein Schreckensszenario. Um diesem zu entgehen, bot er sich der Staatsanwaltschaft als Kronzeuge an und gestand alle Gaunereien.

Wie er beim Milliardendeal das Risikomanagement seiner Bank ausgetrickst hatte. Oder wie er seinen Kickback ausgehandelt und versteckt hatte. Mit internen Mails belegte er auch, wie die Bank den Investoren die luftigen Anleihen schmackhaft gemacht und die Risiken verschwiegen hatte. Er verriet zudem, welche zwanzig Minister und Chefbeamten in Mosambik mit welchen Beträgen geschmiert waren. Tatkräftig half Pearse mit bei der Enttarnung eines kriminellen Netzwerks, in dem er und seine Bank eine Hauptrolle spielten.

Als Kronzeuge überzeugte er die Justiz derart, dass diese im Frühling 2025 das Bundesgericht in New York bat, bei seiner Strafzumessung Milde walten zu lassen. Schliesslich habe Pearse die Beweise zur Aufdeckung eines gigantischen Finanzbetrugs geliefert. Seine Aussagen ermöglichten es der Justiz auch, die Credit Suisse dazu zu zwingen, ihre kriminellen Machenschaften und ihr löchriges Risikomanagement einzugestehen.

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Für die Bank endeten die trüben Geschäfte in Mosambik im Desaster: Sie bekannte sich der Geldwäscherei schuldig und wurde zur Kasse gebeten: 547 Millionen Dollar verlangte die US-Justiz, 200 Millionen erhielt die britische Finanzaufsicht, 30 Millionen gingen an die betrogenen Investoren – und Mosambik bekam auf die offenen Kredite einen Abschlag von 200 Millionen zugesprochen. Unter dem Strich entstand der Bank ein finanzieller Schaden von 1 Milliarde Dollar. Vom Reputationsverlust gar nicht zu sprechen: Der «Tuna-Scandal» («Wall Street Journal») gilt als einer der grössten Korruptionsfälle Afrikas und sorgte von Sidney bis Zürich für Schlagzeilen. Der Code of Conduct der Grossbank – «Wir wollen die respektierteste Bank sein» – wurde als hohle Phrase entlarvt. Bald darauf wurde die ramponierte Credit Suisse an die UBS verkauft.

Mosambik schlitterte mit dem Kreditgeschäft in die Staatspleite und versank im Chaos. Heute verrostet die Thunfischflotte im Hafen von Maputo, auslaufen wird sie nie. Nur der einstige Spitzenbanker Pearse, der bei deren Finanzierung das CS-Risikomanagement getäuscht hatte, kam glimpflich davon. Als Kronzeuge blieb ihm bei der Urteilsverkündung am 6. März 2025 eine Gefängnisstrafe erspart. Dafür wanderte ein anderer hinter Gitter: Mosambiks Ex-Finanzminister Manuel Chang. Er hatte für die CS-Kredite ohne Rechtsgrundlage eine Staatsgarantie unterschrieben und dafür 10 Millionen Dollar an Schwarzgeld erhalten. Die Strafe: achteinhalb Jahre Gefängnis.

«Ich bin kein unmoralischer Banker»

Zugute kommt Pearse zweifellos, dass er vor Gericht alle seine Betrügereien zugab und einen radikalen Lebenswandel versprach. Ja, er habe seinen Arbeitgeber hinters Licht geführt, auch die Investoren, das Volk von Mosambik und seine eigene Familie. Ja, er habe damals seine allerschlimmste Seite gezeigt und werde sich nie mehr von Schuld und Scham befreien, schrieb er in einem mehrseitigen Brief ans Gericht. Zur Wiedergutmachung musste er einen Grossteil seines Vermögens abliefern, darunter ein Weingut in Stellenbosch, ein fettes Aktienportfolio, Anteile an Quarzminen und Gasfeldern in Polen und Australien – insgesamt ein Marktwert von 50 Millionen Dollar.

Als Tatbeweis seines Umdenkens will er seine Freiwilligenarbeit verstanden wissen: von Montag bis Donnerstag bei seiner Entsorgungsfirma Waste Not Group und am Freitag in der Gassenküche Foodcycle in Wolverton bei London. Dort schnippelt er mit blauer Kopfhaube Karotten, oder er schenkt Obdachlosen heisse Gemüsesuppe aus. «Ich möchte nun beweisen, dass auch ein ehemals geldgieriger, unmoralischer Banker zu Gutem fähig ist.» Er will seine zweite Chance nutzen und hofft insgeheim, ein Vorbild für seine alten Bankerkollegen zu sein.

Wie glaubwürdig seine Neuerfindung wirklich ist, lässt sich schwer sagen. Immerhin: Eine Rückkehr in die Vergangenheit ist ihm verwehrt, denn die britische Finanzmarktaufsicht FCA hat ihm ein lebenslanges Berufsverbot in der Finanzindustrie erteilt, wegen seines Mangels an Ehrlichkeit und Integrität, wie im Urteil steht. Pearse’ Vertreibung aus der Bankenwelt könnte ein guter Anfang sein.

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