Während draussen auf der Baustelle Arbeiter Pflastersteine klopfen und in den noch weichen Mörtel drücken, erzählt in einem Gebäude der neue Postchef von seiner ersten Lateinstunde, braucht das Bild vom Berg, den es zu überwinden gelte. Mit welcher Strategie Roberto Cirillo (48), seit fünf Monaten im Amt, das gelbe Imperium in die Zukunft führen möchte, dazu gibt er wenig Anhaltspunkte.
Seine Fünf-Monate-Bilanz zieht Cirillo auf einer Baustelle in Cadenazzo TI. Hier ist eines der neuen regionalen Paketzentren der Post im Entstehen. Im Gegensatz zur Strategie der Post ist das Zentrum schon fast fertig, geht im Oktober in Betrieb.
«Wir müssen uns bewegen», erklärt Cirillo. «Wir dürfen uns nicht auf den Lorbeeren ausruhen», das habe er in seiner Jugend gelernt.
Erfahrungen an der Front
Bewegt hat sich Cirillo, hat das Büro verlassen und sich auf eine Tour de Postbegeben, hat mit Hunderten Mitarbeitern gesprochen. Dabei hat er die Erfahrung an der Front zu schätzen gelernt: «Unsere Mitarbeiter verstehen wirklich, dass sich die Bedürfnisse der Bevölkerung und der Wirtschaft verändern, sie spüren das stark im eigenen Arbeitsalltag.»
Deshalb holt er Mitarbeitende an Bord, um die neue Strategie der Post zu entwickeln. Dieses interne Strategieteam besteht aus Postangestellten, die meist zwischen 30 und 40 Jahre alt sind, dem Management müssen sie nicht angehören. «Aber sie sind bereit, Neues zu denken, bequeme Wege zu verlassen, Muster aufzubrechen», erklärt Cirillo die Idee. Denn «die Mitarbeitenden wollen, dass wir schnell eine neue Strategie entwickeln».
Das würde auch helfen, das Selbstvertrauen der Angestellten wieder zu stärken. Denn das hat unter dem Postauto-Skandal doch gelitten, wie der neue Postchef feststellen musste.
Immerhin: Der Auftritt Cirillos ist souverän, die Nervosität vom ersten Mal im April ist abgelegt. Ab und zu teilt er auch gegen Konkurrenten aus, die sich in lukrativen Logistik-Nischen eingerichtet haben. «Wir von der Post dagegen sind keine Rosinenpicker», sagt Cirillo mit einem gewissen Stolz. Will heissen, die Post macht vieles und will in Zukunft noch viel mehr machen – was genau, das bleibt offen.
Ins Schwitzen kommt der Tessiner erst beim anschliessenden Interview-Marathon – und das liegt nicht allein an der feuchten Hitze auf der Baustelle. Auf die konkreten Fragen der Journalisten folgen meist schwammige Antworten.
«Wir müssen den Gürtel enger schnallen»
Vor dem Gespräch mit BLICK gönnt sich der Postchef kurz einen Espresso, konkreter wird er deswegen nicht. «Wir müssen den Gürtel enger schnallen», hat er an der Medienkonferenz gesagt. Erst auf Nachfrage macht er klar: Es geht um die Kürzung «von Investitionen in Sachanlagen, die Mitarbeitenden werden davon nichts spüren». Und auch die Kunden nichts, wie Cirillo versichert.
Postchef Cirillo hat im Tessin eine Chance verpasst. Erst im Dezember soll es konkrete Neuigkeiten zur künftigen Ausrichtung und Strategie des gelben Riesen geben. Noch einmal darf er die Erwartungen von Bevölkerung und Postangestellten nicht enttäuschen.