Ehemaliger Bewohner packt aus
«Ich bin im Badener Gammelhaus geboren»

Das Haus gehört einer Millionenerbin. Trotzdem vergammelt mitten in der Badener Altstadt die Liegenschaft. Einem ehemaligen Bewohner blutet deshalb das Herz.
Publiziert: 29.11.2019 um 23:12 Uhr
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Aktualisiert: 26.06.2020 um 11:56 Uhr
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Die Fenster und Türen des gelben Haus am Brenntweg in Baden AG bleiben seit Jahren verschlossen.
Foto: Fabio Giger
Julia Fritsche

Das gelbe Mehrfamilienhaus mitten in Baden AG lottert seit Jahrzehnten vor sich hin. Für Aussenstehende ist die senffarbene Liegenschaft entweder ein Schandfleck. Oder aber ein Zeichen von bewundernswerter Sturheit.

Eigentümerin des Hauses am Brenntweg in der Nähe vom Bahnhof ist die Immobilienfirma Schwert AG und damit auch die Millionärin Elisabeth Dosenbach (71). Die Erbin der Schuh-Dynastie weigert sich aber seit Jahren, das über 100-jährige Haus zu renovieren oder zu verkaufen.

Kontakt zur Millionen-Erbin zu bekommen, ist schwierig. Die Stadt Baden ist nur bis zu Mitarbeitern der Schwert AG vorgedrungen, wie die «Aargauer Zeitung» berichtete. BLICK erreicht ebenfalls nur den Vertreter einer Immobilienfirma von Dosenbach. Hinter der Zukunft des Hauses steht also ein grosses Fragezeichen.

Weniger verschwiegen zeigen sich Bewohner, die einmal im Gammelhaus gewohnt haben. BLICK stösst auf Kemal Günay (41). «Ich bin im Gammelhaus geboren», erzählt der Badener. Im August 1978 war das. «Da das Kantonsspital Baden noch nicht eröffnet war, bin ich zuhause auf die Welt gekommen.»

Wenig Geld für viel Platz

Seine Eltern waren zwei Jahre vorher an die Adresse gezogen. Familie Günay wohnte in einer Drei-Zimmer-Wohnung im zweiten Stock – zu siebt! Kemal war das jüngste von fünf Kindern. Er hat zwei Brüder und zwei Schwestern. «Im ersten Stock war unser türkischer Verein eingemietet», erinnert er sich. «Später hatten wir das ganze Haus für uns.» Ganz unten waren Lagerräume der umliegenden Geschäfte.

Die Räume seien sehr gross und hoch gewesen. Die Miete dagegen tief. 600 Franken hätten sie damals im Monat gezahlt. «Für die Wohnung bin ich den Badenern sehr dankbar. Auch der Vermieterin, Frau Dosenbach.»

Mit der Schuhdynastie-Erbin verbindet ihn sogar eine Gemeinsamkeit. Günay ist Schuhmacher. Seit vielen Jahren betreibt er ein Geschäft in Baden, seit einiger Zeit auch ein Atelier in Zürich.

Gammelhäuser müssen sicher sein

Waltraut G.* (77) muss 16 Altbauwohnungen renovieren. Dazu hat ein Berliner Verwaltungsgericht die Hausbesitzerin im Oktober verpflichtet. Die Vorgabe: Die Wohnungen sollen wieder bewohnt werden können. «Das Liegen- und Verfallenlassen einer Immobilie ist rechtlich verboten und somit illegal», zitiert die lokale Boulevardzeitung «B.Z.» einen Vertreter des Bezirks. Instandhaltung gehöre zu den Pflichten eines Wohnungs-Eigentümers. Solche Vorgaben gibts auch in der Schweiz. «Ein Hauseigentümer hat generell die Pflicht, die Liegenschaft so zu unterhalten, dass kein Dritter zu Schaden kommen kann», erklärt Sonja Rueff, Leiterin Rechtsdienst des Hauseigentümerverbands Aargau. Dazu zählten etwa die Kontrolle der Elektroinstallationen. Der Besitzer ist auch verantwortlich dafür, dass keine Passanten von herunterfallendem Schnee und Eis verletzt werden und kein Dritteigentum beschädigt wird. Je nach Verstoss greift ein Amt ein oder der Fall kommt vor einen Friedensrichter. Wichtig: Auch wenn ein Haus völlig verlottert, eine Enteignung oder ein Zwangsverkauf sind undenkbar. Julia Fritsche

Waltraut G.* (77) muss 16 Altbauwohnungen renovieren. Dazu hat ein Berliner Verwaltungsgericht die Hausbesitzerin im Oktober verpflichtet. Die Vorgabe: Die Wohnungen sollen wieder bewohnt werden können. «Das Liegen- und Verfallenlassen einer Immobilie ist rechtlich verboten und somit illegal», zitiert die lokale Boulevardzeitung «B.Z.» einen Vertreter des Bezirks. Instandhaltung gehöre zu den Pflichten eines Wohnungs-Eigentümers. Solche Vorgaben gibts auch in der Schweiz. «Ein Hauseigentümer hat generell die Pflicht, die Liegenschaft so zu unterhalten, dass kein Dritter zu Schaden kommen kann», erklärt Sonja Rueff, Leiterin Rechtsdienst des Hauseigentümerverbands Aargau. Dazu zählten etwa die Kontrolle der Elektroinstallationen. Der Besitzer ist auch verantwortlich dafür, dass keine Passanten von herunterfallendem Schnee und Eis verletzt werden und kein Dritteigentum beschädigt wird. Je nach Verstoss greift ein Amt ein oder der Fall kommt vor einen Friedensrichter. Wichtig: Auch wenn ein Haus völlig verlottert, eine Enteignung oder ein Zwangsverkauf sind undenkbar. Julia Fritsche

Heizen war schwere Arbeit

Das Gammelhaus war schon in den 80er-Jahren in einem schlechten Zustand. «Fast zum Abreissen», beschreibt Günay rückblickend die Verhältnisse. Es gab keine Zentralheizung, nur einfach verglaste Fenster, gierende Treppen. Die Decken waren feucht. Schimmel machte sich breit.

«Im Winter mussten wir mit zwei 20-Liter-Kannen Öl vom Keller bis in den zweiten Stock schleppen, um zu heizen. Jedes Zimmer hatte einen separaten Ofen», sagt der Schuhmacher. Erst kurz vor dem Auszug der Familie wurden Heizrohre verlegt.

Die Erinnerungen an das Leben am Brenntweg sind trotzdem glücklich. Die zentrale Lage war ein grosser Pluspunkt. Und die alten Fenster hatten auch einen Vorteil: «Die Fenster waren so dünn, dass mein Vater erst aus dem Haus ging, wenn er von den SBB die Ansage ‹Gleis 1! Einfahrt des Schnellzugs nach Zürich!› hörte.»

Trauriger Auszug

Die Nähe zum Bahnhof und zur Badstrasse mit ihren Geschäften machte das Heim der Familie Günay zum beliebten Treffpunkt. «Wir hatten fast jeden Tag Besuch. Alle unsere Freunde, die in Baden einkaufen gingen, haben uns besucht.» Die Kinder konnten an den Wochenenden von den Fenstern aus das Partyvolk beobachten. Immerhin. In den Ausgang durften sie nicht.

Um das Jahr 2000 mussten Günays schliesslich ausziehen. «Es war nicht mehr sicher, darin zu wohnen», erinnert sich der Schuhmacher. «Wir waren sehr traurig, denn wir hatten eine sehr schöne Zeit.»

Kemal Günay versteht nicht, warum das Gebäude nicht renoviert wird. Noch immer hängt er am Haus seiner Kindheit: «Hätte ich finanziell die Möglichkeit, würde ich es gerne kaufen.»

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