Man mochte ihm die Unwissenheit bereits vergangenen Herbst nicht so recht abnehmen. Er sei sich keines Fehlverhaltens bewusst, beteuerte Martin Winterkorn im September an einer Pressekonferenz zum VW-Abgasskandal. Erst vor Kurzem habe er von den manipulierten Abgaswerten erfahren. Dennoch gebe er – «im Interesse des Unternehmens» – seinen Posten als Vorstandsvorsitzender des VW-Konzerns ab.
Der Verdacht, dass Winterkorn nicht aufrichtig war, wird nun durch Recherchen der «Bild am Sonntag» gestützt. Laut der Zeitung war der damalige VW-Chef bereits 2014 von einem Manager vor Ermittlungen der US-Umweltbehörden gewarnt worden. Dabei stützt sich das Blatt auf interne Dokumente, die ihm vorliegen.
Winterkorn wusste von Möglichkeit einer Manipulation
So liess Bernd Gottweis, oberster Krisenmanager des Unternehmens, Winterkorn im Mai 2014 eine unmissverständliche Notiz zukommen. Dabei geht es um Messungen der US-Behörden, bei denen die erlaubten Stickstoffwerte (NOx) offenbar um das bis zu 35-Fache überschritten worden sind. Gottweis schrieb:
«Eine fundierte Erklärung für die dramatisch erhöhten NOx-Emissionen kann den Behörden nicht gegeben werden. Es ist zu vermuten, dass die Behörden die VW-Systeme daraufhin untersuchen werden, ob Volkswagen eine Testerkennung in die Motorsteuergeräte-Software implementiert hat (sogenanntes Defeat Device).»
Dass die US-Behörden nach einer Manipulations-Software suchen könnten, davon ging Gottweis also schon zu diesem Zeitpunkt aus – im Wissen Winterkorns. Laut «Bild am Sonntag» handelte der VW-Chef allerdings lange Zeit nicht.
Winterkorn will von Software nichts gewusst haben
Winterkorn selbst bestätigt die Recherchen nicht. Aufgrund der laufenden Ermittlungen wolle er sich nicht äussern. Bei seiner Vernehmung, die die von VW für die Untersuchung des Skandals beauftragte US-Kanzlei Jones Day durchführte, soll er allerdings bestätigt haben, bereits im Mai 2014 von Problemen mit den überhöhten Abgaswerten in den USA erfahren zu haben. Dass eine Manipulations-Software eingesetzt wurde, habe er hingegen nicht gewusst.
Klar ist: Noch bevor Winterkorn im Mai 2014 informiert wurde, haben VW-Mitarbeiter an der PR-Strategie gebastelt für den Fall, dass der Betrug an die Öffentlichkeit gelangen sollte. So wurden Szenarien ausgeheckt, wie man auf die Ermittlungen der US-Umweltbehörden reagieren könnte. «Kommentarlose Anerkennung oder Ignorierung der Ergebnisse», soll es in einem internen Dokument der Motorexperten von VW heissen. Auch wird erwägt, betroffene Autos in den USA zurückzukaufen und ausser Landes zu bringen.
Wie viel und wann Winterkorn von alledem wusste, ist nicht nur für die Ermittler, sondern auch für das Unternehmen zentral. Strafzahlungen dürften laut «Bild am Sonntag» deutlich höher ausfallen, wenn die VW-Spitze in den Skandal verwickelt ist, zudem drohen happige Schadenersatzklagen. Alles in allem stehen Milliarden auf dem Spiel. (lha)