Keine Arbeit, nichts in der Kasse. Ein Teil der Kosten aber bleibt. So traurig ist die Rechnung derzeit für viele Gastronomen, Coiffeursalons und Boutiquen-Inhaberinnen in der Schweiz. Das Gewerbe leidet massiv unter der Corona-Pandemie. Läden waren lange zu – Restaurants sind noch immer im Lockdown. Miete abdrücken müssen sie alle dennoch.
Die Reaktion der Immobilienbesitzer auf die behördlichen Corona-Massnahmen ist in der Krise zu einem grossen Politikum geworden. Die Frage betrifft nicht zuletzt auch den Staat in seiner Rolle als Vermieter von Gewerbeflächen. Geraden den Städten kommt hier eine Vorbildfunktion zu.
Aber wie grosszügig ist der Staat? Blick wollte es genau wissen und hat bei 20 grossen Städten in allen Sprachregionen der Schweiz nachgefragt.
Erster Lockdown: Grosszügig und schnell
Die Umfrage zeigt: Bei der ersten Corona-Welle waren die Städte wesentlich nachsichtiger als bei der zweiten. Als der Bundesrat im März den Lockdown beschloss, haben die Verwaltungen schnell reagiert. Die Hilfeleistungen reichten von Mietzinsreduktionen über Umsatzmieten und Stundungen bis hin zu totalen Mieterlassen.
Städte wie Luzern, Lugano TI, Thun BE, Bern oder Neuenburg hatten zu Beginn die Spendierhosen an: Sie haben den betroffenen Gewerbemietenden bis zum Ende des ersten Lockdowns sämtliche Monatsmieten erlassen. Biel BE, Chur GR und Kriens LU haben Restaurants, Coiffeursalons oder Hotels immerhin die Hälfte oder bis zu zwei Drittel der Monatsmieten gestrichen.
In Zürich, St. Gallen und Freiburg beurteilte man die Lage individuell. Diese Städte haben zusammen auf Miet- und Gebühreneinnahmen von über acht Millionen Franken verzichtet.
«Dieses Entgegenkommen ist eine Selbstverständlichkeit», findet Gewerbeverbandsdirektor Hans-Ulrich Bigler (62). Der Staat habe Massnahmen ergriffen, welche für gewisse Branchen zu einem Berufsverbot und zum Verlust der verfassungsmässig garantierten Wirtschaftsfreiheit führte. «Der Staat muss entschädigen, weil er dazu auch verpflichtet ist», sagt er.
Zweiter Lockdown: Städte werden knausriger
Weniger Freude dürfte Bigler an der Reaktion der Städte bei der zweiten Welle haben. Zwar profitieren die meisten Restaurants wie im vergangenen Sommer erneut von gebührenfreien Aussenterrassen. Aber die Blick-Umfrage zeigt auch: Viele Städte sind im Vergleich zum ersten Lockdown knausriger und langsamer geworden.
In Winterthur ZH, Thun BE, St. Gallen und Neuenburg hat man noch keine Hilfeleistungen beschlossen. Auch die Stadt Luzern hat mittlerweile die Spendierhosen abgelegt, will nichts mehr von Mieterlassen wissen. Dort können die Gewerbemieter immerhin noch die Mietschulden zu einem späteren Zeitpunkt begleichen.
Biel und Schaffhausen helfen nicht mehr
Einige Städte verzichten nun auch komplett auf Unterstützung. Biel BE begründet dies unter anderem damit, dass die Betriebe viel besser auf den zweiten Lockdown vorbereitet waren als noch bei der ersten Welle.
Schaffhausen schiebt die «grosszügige Härtefallregelung» des Kantons vor. Das Problem dabei: Die Kantone zahlen das Härtefall-Geld nur sehr langsam aus. Die meisten Unternehmen warten wohl noch Wochen oder Monate auf Hilfe. Die Mieten müssen aber dennoch bezahlt werden.
«Ich finde das bedauerlich», sagt FDP-Nationalrat Philippe Nantermod (36). Die privaten Immobilienbesitzer hätten auch in der zweiten Welle auf mehrere Millionen Franken Miete verzichtet. Tatsächlich: Laut einer Umfrage des Schweizerischen Verbands der Immobilienwirtschaft sind in 46 Prozent der Fälle Mietzinsreduktionen vereinbart worden. «Wir können mindestens genauso viel von den Behörden erwarten», sagt Nantermod.
Röstigraben: Westschweizer sind grosszügiger
Die Blick-Umfrage offenbart spätestens bei der zweiten Corona-Welle auch einen Röstigraben. Die Westschweizer Städte Genf, Lausanne und Sitten gehen voran. Sie sind landesweit die einzigen, die erneut einen Total-Mieterlass für ihre Gewerbemieter beschlossen haben.
Die Romands treten in der Krise pragmatisch, aber auch unbürokratisch auf: Anders als in Deutschschweiz braucht es in Genf, Lausanne oder Sitten keine Gesuche, um von den Hilfeleistungen zu profitieren. Man wollte den Unternehmen und der Verwaltung keine unnötige Arbeit zumuten, sagt der Genfer Stadtrat Alfonso Gomez (60).
«Diese Unterstützung hat dazu beigetragen, die von der Krise hart getroffenen Unternehmen zu entlasten und die lokale Wirtschaft auf einfache und effektive Weise zu unterstützen.» In Genf haben über 700 Gewerbemieter davon profitiert. Die Kosten seien nicht unbedeutend, sagt Gomez. «Aber diese Krise hat gezeigt, dass die Städte an vorderster Front handeln müssen.»
«Keine Zeit mit Bürokratie verlieren»
Dass die Deutschschweizer jetzt vermehrt knausern, überrascht Lisa Mazzone (33), Ständerätin der Grünen aus dem Kanton Genf, nicht. «Die Romandie zeigt sich Hilfsmassnahmen des Staates gegenüber immer etwas offener», erklärt sie den Röstigraben. Dies könne man auch bei nationalen Abstimmungen beobachten. «Während der Pandemie sollte man keine wertvolle Zeit verlieren mit bürokratischen Verfahren», findet Mazzone.
FDP-Mann Philippe Nantermod weist daraufhin, dass die Westschweiz insgesamt stärker von der Krise betroffen sei. «Bei mir im Kanton Wallis haben wir seit dem ersten Novemberwochenende die Restaurants geschlossen. Deshalb sind die Folgen umso schmerzhafter», sagt er.
«Widersinnig, den Mietern alles zu erlassen»
Dass sich der Staat als Immobilienbesitzer in der Krise grosszügig zeigen sollte, unterstützt auch Markus Meier (58), Direktor des Hauseigentümerverbands Schweiz. Aber er gibt zu bedenken, dass Private nicht immer mitziehen können: «Es ist widersinnig, den Mieter mit Staatsgeldern zu unterstützen und sie gleichzeitig per Zwangserlass von ihren Zahlungsverpflichtungen zu befreien», sagt er.
Die Vermieter müssten ihre Rechnungen auch begleichen können. «Letztlich ist es wie bei einer Lieferkette: Es muss für alle stimmen. Ansonsten kollabiert das System.»
Städte sind innovativ
Das Fazit der Blick-Umfrage fällt positiv aus. So sind Schweizer Städte in der Krise auch erfinderisch geworden. Mit dem sogenannten Uster-Batzen hat etwa die Zürcher Stadt einen Mehrumsatz von 700'000 Franken für die lokalen Detaillisten generiert.
In Biel bekam jeder Anwohner einen Solidaritätsbon im Wert von 25 Franken. In das Gewerbe flossen so zusätzlich knapp eine Million Franken.
Die Stadt Sitten sticht als sehr innovativ hervor: In einer Reihe von weiteren Massnahmen haben dort armutsgefährdete Personen Gutscheine in der Höhe von 50 Franken erhalten. Zusätzlich haben die Walliser im vergangenen Sommer Unterhaltungsprogramme mit Musik und Spiele für die Kinder auf die Beine gestellt.
«So versuchten wir, die abgesagten Grossveranstaltungen zu kompensieren, den lokalen Handel zu unterstützen und den Tourismussektor zu stimulieren», schreibt die Stadtverwaltung. Das Gleiche soll in diesem Jahr wiederholt werden.
Am 1. Juni startet Blick offiziell in der Westschweiz. Bereits heute arbeitet ein Team von 20 engagierten News-Journalistinnen und -Journalisten um Blick-Romandie-Chefredaktor Michel Jeanneret in engem Austausch mit der Redaktion in Zürich zusammen. Ab sofort ist die Crew in Lausanne auf Facebook, Instagram, Youtube und Twitter vertreten, um erste Inhalte auf Französisch zu verbreiten und die Community vor dem grossen Launch aufzubauen.
Die Recherche von Wirtschaftsredaktor Nicola Imfeld – sie deckt einen «Röstigraben» in der Mietpolitik im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie auf – ist eines von vielen Themen, die weit über die Deutschschweiz hinaus von Interesse sind. Unsere Kolleginnen und Kollegen in der Westschweiz nutzen die Gelegenheit für den ersten Twitter-Thread in der Geschichte von Blick in der Westschweiz: heute um 12 Uhr auf @blick_fr
Am 6. Oktober 2020 titelten wir zur Ankündigung der Lancierung in der Westschweiz: «Romandie, wir kommen!» Ab heute können wir sagen: «Romandie, nous voilà!»
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