Das tut weh! Allein um die jüngste Lohnerhöhung von Credit-Suisse-Chef Tidjane Thiam (56) zu verdienen, müsste ein Beschäftigter mit einem Durchschnittsmonatslohn von 6235 Franken 37 Jahre arbeiten. Gleichzeitig bleibt es der Mehrheit der Angestellten wie im Vorjahr versagt, ihren Lohn aufzubessern. Denn die Teuerung frisst Lohnerhöhungen weg.
Und vor der nächsten Lohnrunde im Herbst und der bis dann erwarteten wirtschaftlichen Abkühlung ist eines klar: Vom Schweizer Wirtschaftsboom in den vergangenen Jahren werden die meisten Angestellten auf dem Lohnkonto nichts merken.
Mehr zu verteilen
Ökonomen erwarten dieses Jahr eine mickrige Reallohnerhöhung von 0,2 Prozent. Heisst: Arbeitnehmende können sich von ihrem Lohn kaum mehr leisten. Dabei besteht genau jetzt Nachholbedarf, denn sogar die Arbeitsproduktivität stieg die letzten Jahre mit 2 Prozent (2017) respektive 2,2 Prozent (2018) beachtlich. Das hätte sich auch positiv auf die Löhne auswirken müssen.
Arbeitsmarktökonom Michael Siegenthaler (34) von der Konjunkturforschungsstelle KOF der ETH sagt: «Die Firmen wuchsen und konnten nach schwierigen Jahren auch wieder profitabler werden - deshalb gibt es eigentlich mehr zu verteilen als bisher.»
Doch die Lohnbezüger dürften nur einen Teil des grösseren Kuchens abbekommen. Tatsächlich gingen die grossen Stücke dieses Jahr bisher nicht an die Masse der Arbeitnehmenden, sondern an wenige Topmanager und Aktionäre, wie die Lohnschere-Studie 2019 der Gewerkschaft Unia zeigt, die BLICK exklusiv vorliegt.
Lohnschere praktisch unverändert
UBS-Chef Sergio Ermotti (59) kassierte mit 13,9 Millionen Franken nicht nur den höchsten Lohn aller CEOs in der Schweiz. Seine Grossbank erhält auch den zweifelhaften Titel als Firma mit der grössten Lohnschere. Laut Unia verdient der höchstbezahlte Chef 267-mal (Vorjahr: 273-mal) mehr als eine Schweizer UBS-Mitarbeiterin mit dem tiefsten Lohn. Eine Lohnschere von über 1:200 besteht auch bei Roche, Credit Suisse und Nestlé. Erstmals nicht mehr unter den Top Ten ist der Novartis-CEO. Vasant Narasimhan (43) verdiente deutlich weniger als sein Vorgänger Joe Jimenez (60).
Der Rückgang beim Novartis-Chef erklärt auch, wieso die durchschnittliche Lohnschere bei den grössten Schweizer Unternehmen von 1:136 im Vorjahr auf 1:134 leicht zurückgegangen ist. Ebenfalls zur leichten Schliessung der Lohnschere trägt der Kampf um höhere Mindestlöhne bei. Die tiefsten Löhne erhöhten sich etwa in der Reinigungsbranche, dem Coiffeur- und dem Gastgewerbe.
Nicht an Gewinnen des Booms beteiligt
Die Fortschritte bei den untersten Löhnen ändern aber nichts daran, dass das Gros der Schweizer Arbeitnehmenden nach zwei Jahren mit weniger Reallohn noch immer nicht an den Gewinnen der robusten Wirtschaft beteiligt wird. Letztes Jahr betrug die Inflation 0,9 Prozent, die Reallöhne sanken um 0,4 Prozent. Die steigende Prämienlast bei den Krankenkassen beschert Angestellten weitere Reallohnverluste.
Doch die Forderung nach einem generellen Teuerungsausgleich perlt beim Arbeitgeberverband bereits vor der nächsten Lohnrunde ab. Dessen Präsident Valentin Vogt (58) sieht dafür keinen Anlass.
Die Lohnverhandlungen fänden in der Schweiz dezentral auf Betriebs- und allenfalls auf Branchenebene statt, sagt Vogt. Er betont: «Die Arbeitgeber orientieren sich in erster Linie an der eigenen Arbeitsproduktivität und am Geschäftsverlauf ihres Betriebs und nicht an Kostenentwicklungen ausserhalb wie etwa der Inflation.»
Lohnherbst wird knallhart
KOF-Ökonom Siegenthaler befürchtet, dass die Lohnbezüger von der Konsumentenpreisteuerung überrascht worden seien. Dies, nachdem sie in Jahren nach der Franken-Krise schwache Lohnerhöhungen mit sinkenden Konsumpreisen und der Negativteuerung wettmachen konnten. Siegenthaler betont: «Die Konsumenten - vielleicht auch die Gewerkschaften - müssen sich wieder daran gewöhnen, einen Teuerungsausgleich für die Nominallöhne zu verlangen - das dürfte nun langsam geschehen.» Bei seiner letzten Prognose ging der Bund für dieses Jahr von einer Jahresteuerung von 0,4 Prozent aus.