Meyer Burger war einst der Stolz der Schweizer Solarindustrie. In den vergangenen acht Jahren hat das Unternehmen mit Sitz in Thun BE aber stets rote Zahlen geschrieben. Der Umsatz schrumpfte von 1,3 Milliarden auf 260 Millionen Franken, die Anzahl Mitarbeiter ging von 2800 auf 800 zurück, die Konzernspitze zoffte sich öffentlich über die richtige Strategie. Doch diese Woche gaben die Aktionäre grünes Licht für einen Neustart unter CEO Gunter Erfurt (47).
SonntagsBlick: Herr Erfurt, Sie sind seit April CEO von Meyer Burger. Ein Grund zum Gratulieren oder zum Kondolieren?
Gunter Erfurt: Ganz klar ein Grund zum Gratulieren! Ich habe diese Position nicht übernommen, weil ich lebensmüde bin, sondern weil ich an diese Firma und unsere Neuausrichtung glaube.
Viele dürften weniger euphorisch sein: Vor einigen Jahren war eine Meyer-Burger-Aktie zehn Franken wert, heute kostet sie weniger als 30 Rappen.
Es ist klar: Aus finanzieller Sicht haben wir in den vergangenen Jahren enttäuscht. Technologisch sind wir aber nach wie vor hoch angesehen. Fast alle Solarmodule, die auf den Dächern dieser Welt installiert sind, enthalten Technologie von Meyer Burger.
Wenn Ihre Technologie so gut ist, wieso steht Meyer Burger dann vor dem finanziellen Kollaps?
Wir haben Maschinen entwickelt und verkauft, mit denen sich immer effizientere Solarmodule produzieren lassen – die Produzenten konnten die Preise für unsere Maschinen aber trotzdem immer weiter drücken. Das ging nicht nur uns so, sondern vielen Maschinenbauern. Aus diesem Dilemma kommt man nur raus, wenn man selbst produziert – und das werden wir in Zukunft tun.
Am Freitag haben die Aktionäre eine Kapitalerhöhung genehmigt, die mindestens 150 Millionen Franken einbringen soll. Mit diesem Geld wollen Sie vom Maschinenbauer zum Modulhersteller werden. Wieso soll das den Turnaround bringen?
Weil damit der Mehrwert, den unsere Maschinen generieren, bei uns bleibt und wir von der gesamten Wertschöpfung profitieren. Wenn Meyer Burger jetzt aufhört, ihre führende Technologie zu verkaufen, sondern sie selbst nutzt, wo kriegt die weltweite Solarindustrie dann ihre Technologie her?
Die heutige Solarindustrie wird von China beherrscht. Heisst das, dass die Chinesen jetzt zittern, weil Sie eine eigene Produktion aufbauen?
Nein, die Chinesen zittern nicht. Aber die chinesische Fotovoltaik-Industrie würde es ohne Meyer Burger gar nicht geben.
Aber Sie haben ja schon Maschinen verkauft. Ihre Technologie kann also bereits kopiert werden.
Unsere neue Heterojunction-Smartwire-Connection-Technologie nicht. Die haben nur wir und die verkaufen wir nicht mehr.
Es tönt so einfach: Wir produzieren jetzt einfach selbst, dann wird alles gut. Wenn es so einfach ist, wieso tut Meyer Burger das nicht längst?
Vor zehn Jahren war die Situation für Maschinenbauer noch deutlich besser. Zudem ist es uns erst jetzt möglich, selbst zu produzieren. Es ist das erste Mal in der Geschichte von Meyer Burger, dass wir von A bis Z alles selbst herstellen können. Jetzt ist der perfekte Zeitpunkt für eine eigene Produktion!
Das klingt zu schön, um wahr zu sein: Kurz vor dem Konkurs entwickelt man eine neue Technologie, welche die Wende bringt.
Wir haben zwölf Jahre lang daran gearbeitet und verfügen über diese allumfassende Technologie von der Zelle bis zum Modul erst seit 2019. Das ermöglicht uns einen völligen Neustart, sozusagen als Start-up mit Erfahrung.
Wieso hat das frühere Management diese Chance nicht erkannt?
Meine Vorgänger strebten eine Partnerschaft mit dem norwegischen Modulhersteller REC Solar an. Da hätten wir die Profite geteilt. Dass wir jetzt unseren eigenen Weg gehen, hat auch damit zu tun, dass ich aus der Zell- und Modulfertigung komme.
Sie wollen in Deutschland produzieren. Können Sie preislich mithalten mit den Chinesen?
Das Personal verursacht bei der Produktion von Solarmodulen nur zehn Prozent der Kosten. Unsere Solarpanels werden in der Anschaffung zwar trotzdem etwas teurer sein. Doch langfristig betrachtet lohnt sich der höhere Preis, weil unsere Panels mehr Strom produzieren. Eine Produktion in Europa ist aber auch deshalb sinnvoll, weil sie Transport- und Logistikkosten spart und die Umwelt schont. Zudem hat sich das politische Umfeld verbessert.
Die Klimadebatte.
Genau. Die Akzeptanz der Solarenergie in Europa ist grösser denn je. Zudem sind wir nicht mehr teurer als andere Energieträger und brauchen keine Subventionen mehr. Fotovoltaik ist das Öl der Zukunft. Und es wächst die Erkenntnis, dass wir diese Energie hier bei uns produzieren sollten und nicht irgendwo in Asien.
Corona hat viele Diskussionen über die Abhängigkeit von China ausgelöst. Was bedeutet das für die Solarindustrie?
Es ist schrecklich, das zu sagen, aber es ist so: Corona hilft uns enorm! Bis jetzt haben wir es in Europa versäumt, die Solarenergie ernsthaft in unsere Industriepolitik einzubeziehen. Jetzt spüren wir ein Umdenken. Endlich wird hinterfragt, ob es Sinn macht, in Europa für viel Geld Technologie und Maschinen zu entwickeln, die dann in Asien Jobs kreieren.
Der Solaranteil in der Schweiz beträgt aktuell nur 3 bis 4 Prozent. Wie viel liegt drin?
Grundsätzlich könnte sich eine Gesellschaft zu 100 Prozent mit Solarenergie versorgen. Das ist sicher nicht sinnvoll, weil es auch andere saubere und nachhaltige Energieträger gibt, wie Wasser- und Windkraft. Am Ende wird das aber über die Kosten entschieden. Und da hat die Solarkraft sehr gute Karten. Zudem haben wir im dicht besiedelten Europa einen weiteren Vorteil: eine Windkraftanlage will niemand vor seinem Haus haben, eine Solaranlage dagegen ist kein Problem.
Sie glauben an eine Zukunft der Solarindustrie in Europa. Auch mit einer Produktion in der Schweiz?
Unsere Forschung bleibt in der Schweiz. Zentralisiert ist eine Produktion ebenfalls denkbar. Es gibt zum Beispiel das Projekt «Solar Glaronensis» für den Kanton Glarus. Die Idee steckt zwar noch in den Kinderschuhen, geplant wäre aber unter anderem die Errichtung einer Modul-Produktionsstätte. Wir schauen uns das an.
Gunter Erfurt (47) ist Physiker. Er stammt aus Ostdeutschland und stiess 2015 zu Meyer Burger. Seit April 2020 ist Erfurt neuer CEO des geschrumpften Solarunternehmens. Zuvor war er in seiner Funktion als technischer Direktor an der Entwicklung der Heterojunction-Smartwire-Technologie massgebend beteiligt. Auf dieser Technologie ruhen die Hoffnungen Meyer Burgers auf einen erfolgreichen Neustart als Solarmodul-Hersteller.
Gunter Erfurt (47) ist Physiker. Er stammt aus Ostdeutschland und stiess 2015 zu Meyer Burger. Seit April 2020 ist Erfurt neuer CEO des geschrumpften Solarunternehmens. Zuvor war er in seiner Funktion als technischer Direktor an der Entwicklung der Heterojunction-Smartwire-Technologie massgebend beteiligt. Auf dieser Technologie ruhen die Hoffnungen Meyer Burgers auf einen erfolgreichen Neustart als Solarmodul-Hersteller.