Die einen sitzen gebannt vor den Börsencharts, die anderen starren in den Spielautomaten. Es geht um viel Geld, das Adrenalin pumpt, die Ereignisse überschlagen sich. Triumph und Abgrund liegen so nahe beieinander, dass der Kick süchtig machen kann.
Ob man an der Börse oder im Casino zockt, spielt keine grosse Rolle. Zu diesem Schluss jedenfalls kommt die vor kurzem eingereichte Abschlussarbeit von Ermin Halilovic an der Uni Zürich. Der Wirtschaftsstudent ist im Nebenjob Croupier bei Swiss Casinos in Zürich. Er kennt beide Welten.
Der Unterschied zwischen Casinos und Börse: Erstere sind in der Schweiz streng reguliert, liefern bis zu 80 Prozent des sogenannten Bruttospielertrags (gespieltes Geld minus an die Spieler ausbezahlter Gewinn) der AHV und den Kantonen ab – im vergangenen Jahr laut dem Schweizer Casinoverband 320 Millionen Franken. An der Börse hingegen gibt es kaum Kontrollen, die Eintrittsschwelle ist tief.
Auch die Börse ist oft ein Glücksspiel
«Die Faktoren, die zu Abhängigkeit führen, sind bei der Börsensucht sehr ähnlich wie bei der Spielsucht», bestätigt Christian Ingold (42), Präventionsfachmann beim Zentrum für Spielsucht in Zürich. «Zum Beispiel schnelle Ereignisfrequenz, Einsatzhöhe oder Gewinnmöglichkeit.» Dabei sieht die Gesellschaft die Börse und das Casino durch zwei verschiedene Brillen: «Beim Börsentrading redet man von Investment und Rendite, am Roulette-Tisch von Einsatz und Gewinn.»
Doch: Wie in der Arbeit von Ermin Halilovic nachgewiesen wird, ist auch die Börse vielfach nicht viel mehr als ein Glücksspiel. Die Heerscharen von Analysten, Brokern und sonstigen Experten täuschen darüber hinweg, dass viele Börsenereignisse schlicht nicht vorhergesagt werden können. «Es ist längst wissenschaftlich erwiesen, dass Tiere auf lange Frist nicht schlechter anlegen als Menschen. Der Zufallsanteil ist viel höher als erwartet», sagt Präventionsexperte Ingold.
Profis und Amateure sind suchtgefährdet
Börsenprofis und private Kleintrader vor dem Laptop sind gleichermassen gefährdet. Das ist mittlerweile in den Geldhäusern angekommen. «Wir beraten beispielsweise Portfoliomanager, die bei Banken angestellt sind», sagt Ingold. «Die Banken sind sich der Herausforderung bewusst und offen für eine Zusammenarbeit mit uns.» Auf Anfrage wollten dies die Banken nicht bestätigen, sie verwiesen auf interne Richtlinien und Kontrollen.
Das prominenteste Opfer der sogenannten Börsensucht ist Uli Hoeness (64), heute Verwaltungsratspräsident des Fussballklubs Bayern München. « Ich habe richtig gezockt, habe Tag und Nacht gehandelt», sagte er in einem Interview. Resultat: 52'000 Transaktionen in zehn Jahren. Weil Hoeness das Geld nicht deklarierte, musste er ins Gefängnis.
Das Problem: Börsensucht ist kaum erforscht, Zahlen für die Schweiz gibt es nicht, genauso wenig wie Präventionsprogramme. Genau das fordert jetzt Christian Ingold: «Gewinne aus Online-Trading müssten besteuert werden. Damit könnte man Prävention finanzieren. Gleich wie bei Alkohol oder Tabak.»