Billiges Poulet aus Ungarn statt Schweizer Güggeli, Pferd statt Rind, gefälschte Verfallsdaten – mit diesen Tricks hat die Bündner Fleischhändlerin Carna Grischa über Jahre hinweg ihre Kunden getäuscht. Aufgedeckt hat den Fall ein 30-jähriger Angestellter. Er machte beim Bschiss nicht mit, erstattete Anzeige und brachte den Skandal an die Öffentlichkeit. SonntagsBlick trifft ihn an einem geheimen Ort. N. ist angespannt, redet schnell und ohne Unterbruch. Doch an seinem Entschluss zweifelt er keine Sekunde.
SonntagsBlick: Herr N., Sie haben einen der grössten Schweizer Fleischskandale aufgedeckt. Die Branche ist in Aufruhr. Bereuen Sie es?
B.N.*: Nein. Es ist schön, dass Bewegung in die Sache kommt. In Bern wird eine Verschärfung der Strafen für Betrüger gefordert, das freut mich. Zudem sind Lebensmittelchemiker und die Polizei bei Carna Grischa aufgetaucht.
Überrascht Sie das grosse Echo?
Überhaupt nicht, mir war klar, dass es ein Erdbeben gibt in der Branche, wenn die Machenschaften bei Carna Grischa ans Licht kommen.
Keine Angst vor Racheakten?
Ich habe nichts Falsches gemacht. Deshalb habe ich keine Angst. Seit einer Woche schlafe ich weniger gut als sonst. Aber das wird schon wieder.
Wann haben Sie sich entschlossen, den Betrug aufzudecken?
Ein Kollege sagte mir «Hol’ ein brasilianisches Entrecôte. Dann machen wir ein Schweizer draus!» Mir war klar, dass ich mich an diesen Machenschaften nicht beteilige. Und dass das an die Öffentlichkeit gehört.
Carna Grischa kritisiert, dass Sie nicht erst die Chefs über die Missstände informierten.
Ich habe niemandem mehr getraut in der Firma. Ich habe gesehen, dass der Geschäftsführer mit drin steckt. Ich habe mich von einem Anwalt beraten lassen. Er riet mir zu einer anonymen Anzeige und zum Gang zur Presse.
Man wirft Ihnen vor, dass Sie von der Konkurrenz eingeschleust wurden. Sind sie ein Agent?
(lacht) Aber sicher, ich arbeite für den NSA! Ernsthaft. Ich komme aus der Gastronomie, bin ein Quereinsteiger. Der Vorwurf ist absurd.
Carna Grischa behauptet, dass man Sie wegen schlechter Leistungen entlassen habe.
Das stimmt nicht. Ich habe ihre dreckigen Spielchen nicht mitmachen wollen. Darum haben sie mich entlassen. Von schlechter Leistung war keine Rede. Es hiess nur, dass ich zu wenig Umsatz gemacht hätte.
Haben Sie kein Mitleid mit Ihren Ex-Kollegen, die wegen des Skandals vielleicht den Job verlieren?
Überhaupt nicht. Wer betrogen hat, der soll dafür geradestehen. Mir tun die Kunden leid, die jahrelang nicht das Fleisch erhalten haben, das sie bestellt und bezahlt haben. Und die Konsumenten.
Warum wurde denn überhaupt manipuliert bei Carna Grischa? Angeblich soll sich niemand persönlich bereichert haben.
Die Angestellten hatten Angst, den Job zu verlieren. Darum haben fast alle mitgemacht. Es ist klar, dass in diesem Klima der Angst niemand Unregelmässigkeiten meldet und Kollegen verpfeift.
Laut Carna Grischa handelt es sich um Einzelfälle.
Das sehe ich anders. Wenn Kunden während Jahren von mehreren Angestellten über den Tisch gezogen werden, dann hat das System.
Die Geschäftsleitung will von allem nichts gewusst haben.
Da kann ich nur lachen! Ich als Neuling habe innert weniger Monate herausgefunden, wie getrickst wird.
Dann sagen VR-Präsident Ettore Weilenmann und Geschäftsführer Xaver Dietrich also nicht die Wahrheit?
Das muss die Justiz entscheiden. Alle wussten davon. Bis ganz nach oben. Die Chefs haben ja schliesslich davon profitiert.
Hat man intern darüber geredet?
Nein. Das war ein Tabuthema. Wir hatten eine Klausel im Arbeitsvertrag, die es verbietet, mit Arbeitskollegen über Aufträge zu sprechen.
Seit wann wurde bei Carna Grischa manipuliert?
Sicher seit zehn Jahren, das zeigen interne Dokumente. Und es wurde immer schlimmer. Teilweise wurden die Kunden richtiggehend verhöhnt, nachdem man ihnen etwas Falsches verkauft hat.
Wurde Carna Grischa denn nie kontrolliert?
Doch. Die Lebensmittelkontrolleure schauen aber meistens nur auf die Hygiene. Selbst wenn einmal jemand im Büro kontrollieren würde: Er würde die Rechnungen für ungarisches Poulet sehen. Wo das Fleisch hingeht und als was es verkauft wird, das kontrolliert niemand. Die Belege sind ja sauber.
Welche Rolle spielen Küchenchefs?
Viele wussten davon. Ein Küchenchef, der Pouletbrüstli für 13.90 Franken pro Kilo kauft – 6 Franken unter dem Einkaufspreis – muss einfach merken, dass etwas faul ist.
Welche Kunden werden besonders oft übers Ohr gehauen?
Patriotische Küchenchefs, die nur Schweizer Fleisch wollen. Geld spielt bei denen keine Rolle. Die kann man ausnehmen.
Nennen Sie mir ein Beispiel.
Rindsfilets sind besonders lukrativ. Da wird umdeklariert, weil Schweizer Filets im Ankauf sehr teuer sind. Ein Angus aus der Schweiz kostet 50 Franken. Dem Wirt wird es für 52 Franken verkauft. Zwei Franken Marge pro Kilo sind uninteressant.
Also nimmt er ausländisches Fleisch.
Ja, ein Filet aus Brasilien, das er für 32 Franken einkauft. Es wird «eingebürgert». Und als Schweizer Angus für 52 Franken verkauft. Der Gewinn steigt so auf 20 Franken.
Wo wird noch getrickst?
Beim Poulet, dort ist der Preisunterschied zwischen einheimischem und ausländischem Fleisch sehr gross. Und bei Artikeln, die geschnitten sind. Etwa bei Kalbsvoressen und Rindsgeschnetzeltem.
Sie sind gelernter Koch. Hätten Sie gedacht, dass bei Carna Grischa betrogen wird?
Ich hätte das nicht für möglich gehalten. Ich war naiv. Und habe mich vom guten Lohn und den regelmässigen Arbeitszeiten blenden lassen.
Wie sieht Ihre persönliche Zukunft aus – haben Sie schon wieder einen Job gefunden?
Nein, ich bin auf der Suche. Als ehemaliger Angestellter von Carna Grischa ist es derzeit schwierig, etwas zu finden. Auch wenn man selber nichts Unrechtes gemacht hat.