Doktor Farshad, Sie sind gerade zum Direktor der Klinik Balgrist berufen worden – mit 34 Jahren. Warum sind Sie Chirurg geworden?
Mazda Farshad: Aus Faszination für den menschlichen Körper. Ich bin in einer akademischen Familie aufgewachsen. Daheim hatten wir eine riesige Bibliothek, überall im Wohnzimmer waren Bücher. Die besten waren die medizinischen. Für die Orthopädie habe ich mich entschieden, weil sie die perfekte Kombination aus Biologie, Physik und Mechanik ist. Sie ist ein intellektuelles Fach, es geht längst nicht mehr nur um Hammer und Meissel, sondern darum, die richtigen Entscheide zur richtigen Zeit für den Patienten zu treffen.
Sie gelten als Visionär. Wie wollen Sie den Balgrist verändern?
Offiziell übernehme ich am 1. August. Für mich gibt es einen klaren Grundsatz: Der Patient steht im Vordergrund. Alles andere richtet sich danach. Wenn man heute einen Patienten optimal behandeln will, braucht man höchstmögliche Spezialisierung. Das ist und bleibt die Philosophie der Universitätsklinik Balgrist.
Die immer weitergehende Spezialisierung der Medizin ist umstritten, weil sie die Kosten in die Höhe treibt.
Für die Chirurgie stimmt das nicht, da braucht es Spezialisierung, um die richtigen Entscheidungen zu treffen, weniger Fehler zu machen und damit die Komplikationen und Kosten zu senken. Man muss aber aufpassen, dass man die Grundkonzepte nicht vergisst. Da kommen wir zum Patienten zurück. Er steht im Fokus, nicht das Gelenk. Wir behandeln als Ärzte Menschen und nicht als Chirurgen nur Gelenke.
Zunehmend ist auch sehr viel Technologie in der Medizin. Am Campus Ihrer Klinik forschen über 200 Informatiker, Biomechaniker, Biologen und Mediziner an der Zukunft. Was bringt das dem Patienten?
Welche Abklärung und Behandlung für den Patienten am besten ist, kann nur die Forschung beantworten. Wir wollen den Patienten schneller, sicherer, besser und zuverlässiger behandeln. Wir personalisieren die Medizin. Da sehe ich grosse Chancen.
Geben Sie mir ein Beispiel …
Wir erfassen zum Beispiel die Anatomie des Patienten in 3-D, übertragen sie in ein Simulationsmodell und berechnen die Auswirkung des geplanten Eingriffs. Wir können die Anatomie in 3-D ausdrucken, um Operationsschritte durchzuspielen. (Er steht auf und geht zu einem Schrank, holt ein weisses Knochenmodell heraus, dazu einen Aufsatz, den er auf den Knochen drückt.) Das war der 3-D-Druck eines Knochens einer vierjährigen Patientin mit einer Skoliose der Wirbelsäule. Wir konnten so die Schrauben testen, die wir setzen wollten und dann in der Operation mittels der vorgefertigten Zielvorrichtung präzise einsetzen. Sie müssen sehr präzise sitzen, damit sie nicht in die Lunge gehen oder das Rückenmark durchbohren. Da ist die Technologie eine unendliche Hilfe. Früher war man ausschliesslich auf die Erfahrung des Chirurgen angewiesen. Heute kann man das sehr präzise planen und ausführen. Das Ziel muss sein, dass die Operation möglichst risikoarm und unabhängig vom Talent oder Tagesform Ihres Chirurgen ist.
Auf welche Helfer setzen Sie im Operationssaal selbst?
Wir haben Instrumente, die uns helfen, die Qualität während der OP zu sichern, wie die 3-D-Bildgebung, die fortgeschrittene Operations-Mikroskopie, oder eben die patientenspezifischen Zielvorrichtungen. Wir arbeiten an Brillen mit Augmented Reality, die uns Strukturen anzeigen, die wir anatomisch nicht sehen würden. Der Chirurg bekommt so einen Röntgenblick.
Ersetzt die Technik den Chirurgen?
Nein, sie erweitert seine Fähigkeiten. Ein Roboter wird den Chirurgen in absehbarer Zeit nicht ersetzen können. Der Mensch ist sehr komplex, das kann ein Roboter nicht.
Sie sind ein Digital Native und mit der Technik gross geworden. Wie reagieren ältere Kollegen auf all diese neuen Gadgets?
Nützliches wird unabhängig vom Alter verstanden. Wir sind mit exponentiell wachsender Technologie konfrontiert, die noch viel zu wenig Anwendung findet in der Medizin. Das liegt daran, dass Mediziner primär keine Techniker sind. Gerade deshalb kommt bei uns das Campus-Konzept sehr zum Tragen. 220 Forschende, Mechaniker, Biologen, Ärzte, Entwickler, Industrievertreter, alle arbeiten zusammen und die Kommunikationswege sind extrem kurz. Wir wollen das Fach Orthopädie international weitertreiben.
Gibt es keine Skepsis?
Die Resultate überzeugen. Wer hätte vor zehn Jahren gedacht, dass heute in vielen Haushalten ein Roboterstaubsauger ist. Kaum einer.
Wenn immer mehr Technik in der Medizin ist: Explodieren die Kosten dann noch weiter?
Das Grundproblem der Kostensteigerung ist die Erwartung des Einzelnen und der Gesellschaft. Man will die bestmögliche Behandlung mit den modernsten Mitteln bis ins höchste Alter, unabhängig vom Versicherungsstatus. Dafür kann man sich schon entscheiden, aber dann können nicht gleichzeitig die Kosten sinken. Für mich als Arzt ist es einfach: Wir müssen zur richtigen Zeit das Richtige tun, operieren nur, wenn es sinnvoll ist und Fehlbehandlungen und Komplikationen vermeiden. Diese Haltung müssen wir dem Nachwuchs weitergeben. So können wir nachhaltig Kosten sparen. Dabei kann die moderne Technologie helfen. Das müssen wir Schritt für Schritt wissenschaftlich evaluieren.
Wo treibt die Politik die Kosten in die Höhe?
Das Arbeitsgesetz ist für uns ein riesiges Problem. Unsere Assistenten dürfen heute nur 50 Stunden pro Woche arbeiten. So brauchen wir mehr Leute, die Ausbildung ist weniger intensiv und dadurch weniger gut. Das verteuert die Medizin unglaublich auf Ebenen, die nicht mehr berechenbar sind.
Wie viele Stunden arbeiten Sie?
Um die 80 Stunden. Keiner wird Arzt, um von neun bis fünf arbeiten.
Schon 50 Stunden pro Woche ist viel. Was muss passieren?
50 Stunden sind zu wenig, wenn wir an der Spitze sein wollen. Die Schweiz muss das Arbeitszeitgesetz lockern, um international konkurrenzfähig zu bleiben. Man muss nicht jeden zwingen, so viel zu arbeiten, aber es muss möglich sein für die, die das wollen.
Mazda Farshad (34) ist im Iran geboren. Er gilt als Ausnahmetalent. Mit 18 machte er die Matur, mit 24 schloss er sein Medizinstudium ab und mit 30 erreichte er an der Uni Zürich die Habilitation, die universitäre Lehrbefugnis. Seit Ende 2014 ist er Chef der Wirbelsäulenchirurgie an der Uniklinik Balgrist, am 1. August wird er deren oberster Chef. Er lebt mit seiner Frau, einer Ärztin, bei Zürich.
Mazda Farshad (34) ist im Iran geboren. Er gilt als Ausnahmetalent. Mit 18 machte er die Matur, mit 24 schloss er sein Medizinstudium ab und mit 30 erreichte er an der Uni Zürich die Habilitation, die universitäre Lehrbefugnis. Seit Ende 2014 ist er Chef der Wirbelsäulenchirurgie an der Uniklinik Balgrist, am 1. August wird er deren oberster Chef. Er lebt mit seiner Frau, einer Ärztin, bei Zürich.