«Der Coiffeurbesuch darf kein Luxus sein!»
Berner Coiffeuse lässt Kunden selbst den Preis bestimmen

Mit ihrem neuen Konzept gibt Melanie Keller auch armen Leuten die Möglichkeit, sich schön zu fühlen. Die Berner Coiffeuse hat dafür ihren eigenen Salon im Herzen der Stadt eröffnet – doch nicht ohne Herausforderungen. Wie sie sich schlägt, verrät Keller im Blick.
Publiziert: 00:03 Uhr
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Aktualisiert: 08:16 Uhr
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Das Konzept von Melanie Keller: Einen Haarschnitt für alle – unabhängig davon, wie viel Geld sich im Portemonnaie befindet.
Foto: Mattia Coda

Darum gehts

  • Berner Coiffeursalon bietet Haarschnitte zum selbst gewählten Preis für alle an
  • Kundinnen und Kunden zahlen nach Möglichkeit, einige mehr, andere weniger
  • Kunden wie Yannick Grünig zahlen bewusst mehr, um das Konzept zu unterstützen
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Mattia CodaFotograf

Ein Coiffeursalon, in dem man selbst entscheidet, wie viel man bezahlt? Was nach einer utopischen Idee klingt, ist in Bern Realität. Seit Anfang September bietet Melanie Keller (28) in ihrem Salon Cut N Go genau das: Einen Haarschnitt für alle – unabhängig davon, wie viel Geld sich im Portemonnaie befindet. «Der Coiffeurbesuch darf kein Luxus sein», sagt Keller beim Besuch von Blick. Es gehe um die Würde des Menschen. «Ich möchte ihnen ein Aussehen bieten, mit dem sie sich wohlfühlen.»

Die Begegnungen, die die Coiffeuse erlebt, sind bewegend. Da ist etwa Svetlana S.* (72), eine Modedesignerin aus der Ukraine, die alles verloren hat: «Hier fühle ich mich wieder schön. Ich kann im Moment nur fünf Franken bezahlen, aber ich weiss, dass bessere Zeiten kommen.» Oder Andrigo P.* (62), ebenfalls Geflüchteter, der sagt: «Ich fühle mich hier wohl und kann ich selbst sein. Das ist in einem Coiffeursalon nicht selbstverständlich.»

5 Franken bezahlt Svetlana S. für ihren Haarschnitt.
Foto: Mattia Coda

Und dann gibt es jene Momente, für die es keine Worte braucht: Eine Kundin aus der Ukraine, die kein Wort Deutsch oder Englisch spricht, hat den Salon mit Tränen der Dankbarkeit verlassen – ein stiller Beweis, dass es manchmal nur Zuwendung und eine Schere braucht, um Menschen Hoffnung zu schenken.

«Es sind kleine Gesten», sagt die Berner Coiffeuse, «aber wenn mir eine Frau nach dem Haarschnitt sagt: ‹Endlich fühle ich mich wieder schön›, dann weiss ich, dass es sich lohnt.»

Einige zahlen nichts – andere das Doppelte

Doch das Konzept bringt auch Herausforderungen: Die Zielgruppe zu erreichen, ist nicht leicht. Viele Menschen trauen sich nicht in einen Salon, weil sie sich dort fehl am Platz fühlen. Doch Keller bezahlt für den Salon ganz normal Miete, verdient mit der Arbeit ihren Lohn. «Deshalb bin ich auf Stiftungsbeiträge, Spenden und Kunden, die normale Preise bezahlen, angewiesen», so die junge Coiffeuse. 

Einer dieser Kunden ist Yannick Grünig (30). Der Berner war einer der Ersten, der das Konzept von Keller unterstützte. Für ihn ist dieses mehr als nur fair: «Coiffeure in der Schweiz sind sehr teuer, besonders für Frauen. Wenn Menschen mit wenig Geld sich hier trotzdem pflegen können, ist das etwas Wunderschönes.»

Yannick Grünig unterstützt das Konzept von Keller, indem er bewusst mehr bezahlt.
Foto: Mattia Coda

Für das bezahlt Grünig bewusst mehr: «Ich zahle das Doppelte eines normalen Männerhaarschnitts – etwa 50 Franken. Das fühlt sich richtig an – und zeigt, dass Solidarität im Alltag möglich ist.»

Ob das Konzept schon ausgenutzt wurde, weiss Melanie Keller nicht – sie kann nicht kontrollieren, wer tatsächlich finanziell knapp bei Kasse ist. Grundsätzlich vertraue sie aber darauf, dass die meisten Menschen ehrlich sind und den Gedanken hinter dem Konzept respektieren.

Wie alles begann

Die Idee für das Konzept entstand während Kellers Arbeit als Jugendarbeiterin im Hip-Hop-Center. Dort bot sie Jugendlichen an, auf dem Coiffeurstuhl neben ihren Haaren auch ihre Sorgen und Probleme dazulassen – bei einem Gespräch unter vier Augen und einem Preis, den sie selbst bestimmen. Mit einem gebrauchten Stuhl, einem Spiegel und viel Herzblut begann das Projekt. Es sprach sich schnell herum und bekam rasch Unterstützung.

Für die junge Bernerin ist der Coiffeurstuhl damit mehr als nur ein Arbeitsplatz – er ist ein Ort der Begegnung und des Zuhörens. «Der Stuhl hat einen Zauber», sagt Keller. «Menschen erzählen, wie es ihnen geht, und wir hören zu – das ist mindestens so wichtig wie der Schnitt.» Das will sie mit ihrem neuen Salon allen bieten können.

Seit Mitte September arbeitet eine weitere Coiffeuse für das Projekt, die ihre Vision teilt. Für die Zukunft wünscht sich Melanie, dass Cut N Go weiter wächst – vielleicht mit zusätzlichen Räumen oder Workshops rund um «innere und äussere Schönheit».

Keller: «Ich möchte, dass Menschen hier nicht nur mit einer neuen Frisur rausgehen, sondern mit einem Gefühl von Wert und Würde.» Ein Haarschnitt sei manchmal mehr, als man denke – «er kann ein Neuanfang sein».

*Namen geändert 

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