Darum gehts
Eine künstliche Intelligenz ins Führungsteam aufnehmen? Für diese Idee ist Hanneke Faber, CEO von Logitech, durchaus offen. An einer US-Konferenz sagte die Chefin des Computerzubehörherstellers aus Apples VD, man setze sogenannte KI-Agenten «schon in fast jedem Meeting ein», wie das US-Magazin «Fortune» berichtet. Firmen, die das nicht täten, verschenkten Produktivität, so Faber.
An der gleichen Konferenz berichtete eine Topmanagerin von Novartis, das Pharmaunternehmen nutze auf allen Ebenen den Chatbot Copilot. Ziel sei, «im Rahmen der strategischen Entscheidungsfindung potenzielle Lücken aufzudecken, Erkenntnisse zu gewinnen und Chancen zu erkennen». Sitzt bald in allen Führungsetagen KI mit am Tisch?
«Die Technologie ist in die Boardrooms eingezogen», antwortet Sita Mazumder, Professorin für Business und IT an der Hochschule Luzern. Die Informatikerin ist unter anderem Mitglied des Verwaltungsrats der Helsana und des Aufsichtsrats bei Josef Manner & Comp in Wien. KI werde auf der Topmanagementebene schon oft als Helfer oder Werkzeug eingesetzt. Einen buchstäblichen «Platz am Tisch» habe sie allerdings noch nicht, erklärt die Verwaltungsrätin schmunzelnd.
Maschine ohne Sympathiesystem
Damian Borth, KI-Forscher an der Universität St. Gallen, begrüsst diese Entwicklung: «Ich finde, jedes Boardmember sollte einen eigenen Bot haben.» Denn die Informationsflut in Unternehmen sei mittlerweile so gross, dass eine Person allein sie nicht bewältigen könne. Nur eine KI sei noch in der Lage, alles zu durchschauen und Muster zu finden, die ein Mensch übersehen würde. Ein weiterer Vorteil der Maschinen ist ihre Objektivität. Ein Algorithmus kennt kein Bauchgefühl, sondern entscheidet ausschliesslich aufgrund der Datenlage – vorausgesetzt, er wurde mit ausgewogenem Material gefüttert. Eine Boardroom-KI würde beispielsweise niemals einen Vorschlag ablehnen, weil ihr der Urheber unsympathisch ist. Ausserdem könnte sie auf Wunsch transparent offenlegen, nach welchen Kriterien sie ihre Entscheidungen gefällt hat.
Dieser Artikel wurde erstmals im Angebot von handelszeitung.ch veröffentlicht. Weitere spannende Artikel findest du unter www.handelszeitung.ch.
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Vieles spricht also dafür, maschinelle Unterstützung ins Topmanagement zu holen. «Ein Bot könnte so zum Beispiel Gruppendenken aufbrechen», sagt Niels Van Quaquebeke, Leadership-Experte der Kühne Logistics University in Hamburg. Denkbar sei, einen Chatbot auf die Rolle des Querdenkers («Contrarian») zu programmieren, der sich mutig einer Mehrheitsmeinung entgegenstelle. Daneben kann sich Van Quaquebeke eine KI im Bereich Compliance vorstellen: «Ein Bot hält sich nicht zurück und weist vielleicht nachdrücklicher als ein Mensch auf Fehlentwicklungen hin.»
Die meisten Fachleute glauben, dass Chatbots aus den Aufsichtsgremien bald nicht mehr wegzudenken sind. Die KI-Roboter sollen in Zukunft dabei helfen, neue Verwaltungsräte einzuarbeiten, indem sie ihre Fragen beantworten, dank Analysen Entscheidungen vorbereiten und während der Sitzungen als schnelle Antwortmaschine zur Verfügung stehen. «So kommt man weg von Educated Guesses und hin zu fundierten Entscheidungen», erklärt Borth von der Uni St. Gallen.
Der Weg zur neuen Mensch-Maschine-Kollaboration könnte allerdings lang und steinig sein. Denn vieles spricht dafür, mit dem KI-Einsatz auf der Leitungsebene vorsichtig zu sein. Im Verwaltungsrat wird über intimste Details des Unternehmens gesprochen, man hantiert mit vertraulichen oder sensiblen Daten. Landen diese in einem öffentlichen System wie Chat GPT, besteht die Gefahr, dass Dritte Interna sehen. Um das zu verhindern, müssen die Firmen eigene Bots entwickeln. Ausserdem leidet KI nach wie vor unter Kinderkrankheiten, die die Anwender im Hinterkopf behalten müssen. «Voraussetzung ist das Bewusstsein um die Datenqualität und dafür, dass die aktuellen Systeme Bias haben, halluzinieren und Fehler machen», sagt Sita Mazumder.
Bekommt die KI sogar bald ein Stimmrecht?
KI-Wissenschafter Borth glaubt, dass sich diese Hindernisse ausräumen lassen. Er plädiert sogar dafür, den Algorithmen mittelfristig ein Stimmrecht einzuräumen: «Nur so hätten die Aussagen Gewicht – sonst wäre die KI nur ein weiteres Informationssystem.» Und was ist, wenn der Roboter falsch abstimmt? Das müsse man in Kauf nehmen, findet Borth. Er zieht den Vergleich zum selbstfahrenden Auto: Auch dieses chauffiere nicht fehlerlos, doch entscheidend sei, dass es weniger Fehler als der Mensch mache. Ausserdem habe KI noch einen Vorteil, der gerade in der Geschäftswelt nicht zu unterschätzen sei, sagt Borth augenzwinkernd: «Man bekommt eine Instanz, der man alle Fehlentscheidungen in die Schuhe schieben kann, ohne dass sie sich wehrt.»
Die Belegschaften stehen der Idee von der KI-Führung bisher positiv gegenüber. Laut einer Umfrage des Marktforschungsunternehmens Gartner glauben 87 Prozent, dass eine KI gerechter und unvoreingenommener urteilt als ein Mensch. Professorin Mazumder beobachtet diese Einstellung auch bei ihren Studierenden. «Ein signifikanter Anteil steht ganz offen dazu, dass sie der Anlageempfehlung einer KI mehr vertrauen als der eines Bankers.»
Unternehmen testen algorithmische Führung
Auf lange Sicht halten es Fachleute sogar für möglich, den Verwaltungsrat komplett durch mehrere gekoppelte KI-Programme zu ersetzen. «Rollen mit stark strukturierten und datenbasierten Aufgaben könnte man Bots übergeben», meint Van Quaquebeke. CFO, CMO, vielleicht sogar Teile der CEO-Arbeit – aus seiner Sicht alles potenziell automatisierbar. US-Forscher haben unlängst schon eine komplett von KI geführte Softwarefirma simuliert. Dabei zeigte sich, dass die synthetischen Manager immerhin rund einen Viertel der Aufgaben selbstständig stemmen konnten. Vereinzelt testen Unternehmen sogar schon eine komplett algorithmische Führung (siehe Box).
Was für Aufgaben bleiben Verwaltungsräten aus Fleisch und Blut in Zukunft noch übrig? «Vor allem, neugierig zu sein und eine Vision davon zu entwickeln, was es noch nicht gibt», so Van Quaquebeke. Sprachmodelle wie Chat GPT seien schliesslich nur mit Daten aus der Vergangenheit trainiert. Und Verwaltungsrätin Mazumder sieht den Umgang mit Werten oder ethische Aspekte – vor allem aber das Thema Empathie – als zusätzliche menschliche Bastionen.