Darum gehts
- 62-jähriger Charles Mannes sucht seit eineinhalb Jahren erfolglos Arbeit
- Mannes verteilt Flyer, hängt Plakate auf und postet in sozialen Medien
- 11'869 Menschen zwischen 60 und 64 Jahren im November 2025 arbeitslos gemeldet
Jeden Werktag und Samstag steht Charles Mannes um 4 Uhr auf. Er holt den Töff und die Zeitungen, macht von 5 bis 6 Uhr seine Tour. Eine Stunde Zeitungen austragen am Tag, das ist die einzige bezahlte Arbeit, die er noch hat.
Charles Mannes aus Steffisburg BE ist 62 Jahre alt, und seit beinahe eineinhalb Jahren sucht er eine Stelle: als Lager- oder Reinigungsmitarbeiter, als Kurier, als Chauffeur. Er ist flexibel. 600 Bewerbungen hat er mittlerweile online eingereicht, 250 Mal sein Dossier auf Papier verschickt oder persönlich vorbeigebracht. Wenn er das Zeitungsaustragen hinter sich hat, legt er sich noch einmal hin. Aber nur kurz. Dann checkt er auf dem Computer die neuen Stellenausschreibungen, schaut in seinem Maileingang, ob eine Rückmeldung auf eine Bewerbung eingetroffen ist. Bisher waren es immer nur Absagen.
Flyer und Plakate
Die Suche nach einer Stelle ist für ihn ein Vollzeitjob. Eine Tätigkeit mit vielen Überstunden. Wie ein guter Arbeitnehmer geht er die Extrameile: Er hat 50’000 Flyer produziert, auf denen steht: «Suche Arbeit!» – inklusive QR-Code, mit dem man auf seine persönliche Homepage gelangt. Auch Plakate hat er gedruckt und aufgehängt: «Suche Arbeit!» Wenn er am Computer sitzt, postet er auch immer wieder in den sozialen Medien: «Suche Arbeit!» Auf der Karriere-Plattform Linkedin, auf Facebook.
Ein Linkedin-Post, in dem er seine Situation schildert, wurde dutzendfach geteilt. «Ich habe selten einen Beitrag gelesen, der mich so berührt und gleichzeitig zum Nachdenken über unsere Arbeitswelt gebracht hat», schreibt jemand. Doch auch Häme muss Mannes über sich ergehen lassen: wegen der Rechtschreibfehler, die ihm gelegentlich unterlaufen. Schreiben gehört nun mal nicht zu seinen Kernkompetenzen.
Als Selbständiger neu erfunden
Charles Mannes, 1963 als Sohn eines Niederländers und einer Walliserin im Kanton Bern geboren, macht eine Lehre als Tapezierer, arbeitet dann als Magaziner und Möbelverkäufer, bevor er 1991 eine Stelle bei der Post antritt. 13 Jahre lang bleibt er dort, engagiert sich in der Postgewerkschaft. Dann beginnt der Staatsbetrieb Arbeitsplätze abzubauen, es kommt zur Trennung. Und Charles Mannes erfindet sich neu: 2005 macht er sich selbständig, als Druckerpatronen-Refiller. Fast zwei Jahrzehnte lang kann er davon leben. Dann kommt Corona. Er darf sein Ladenlokal nicht mehr öffnen – und als die Pandemie ausgestanden ist, kehren die Kunden nicht mehr zurück.
2023, da ist Mannes im 60. Altersjahr, wird ihm klar, dass er sein Geschäft aufgeben und eine Anstellung suchen muss. Die Suche ist nicht einfach, doch er findet einen Job in einer Sandstrahlerei. Ein Jahr später, als sich die Auftragslage verschlechtert, ist er die Stelle wieder los. Seinem Chef habe es zwar leidgetan, sagt Mannes. Aber am Ende hiess es: «Du bist als Letzter gekommen, du musst als Erster gehen.» Gegenüber Blick bestätigt der damalige Vorgesetzte die Entlassung aus wirtschaftlichen Gründen. Und betont: «Charles Mannes hat seinen Job tipptop gemacht. Wäre es möglich gewesen, hätten wir ihn gern behalten. Ich kann ihn als Angestellten weiterempfehlen.»
«Ich lebe von Erspartem»
Seit Sommer 2024 ist Charles Mannes arbeitslos. «Die ersten zwei, drei Wochen sind ein bisschen wie Ferien», sagt er. «Doch dann wird es schwierig.» Man befinde sich im Dauerstress, frage sich ständig, ob man genug tut, um einen Job zu finden. «Und jede Absage zehrt am Selbstwertgefühl. Jedes Mal tut es wieder weh.» Auch das Sozialleben leidet, es gibt Leute, die nichts mit Arbeitslosen zu tun haben wollen. Das alles setzt ihm auch körperlich zu: Mannes hat deutlich Gewicht zugelegt. «Als ich noch arbeitete, machte ich 30’000 Schritte pro Tag, heute sind es vielleicht 10’000», sagt er. «Ich bin ein Mensch, der immer etwas zu tun haben muss, der Bewegung braucht.»
Und dann sind da die finanziellen Sorgen. Viel verdient hat Mannes nie – am besten noch damals bei der Post, da lag sein Lohn bei über 5000 Franken. Als Selbständiger konnte er sich monatlich zwischen 3000 und 4000 Franken auszahlen. Das reichte fürs Leben und um ein wenig auf die Seite zu legen. Er hat das Glück, in einer Genossenschaftswohnung zu leben, die kann er noch bezahlen.
Mittlerweile ist Mannes ausgesteuert. Mit dem Austragen von Zeitungen verdient er rund 1000 Franken pro Monat, seine Frau geht Büros putzen und trägt so etwas zum Einkommen bei. Doch das Geld reicht nicht. «Derzeit lebe ich von meinem Ersparten», sagt Mannes. Er hat eine Überbrückungsrente beantragt, mit der der Staat älteren Ausgesteuerten hilft, die Zeit bis zur Pensionierung zu überstehen. Doch selbst wenn die bewilligt wird, will er weitersuchen: «Es ist für mich noch zu früh, um nur herumzusitzen.»
Zahl der Arbeitslosen über 60 ist gestiegen
Warum aber findet Charles Mannes keinen Job? Auf seinem Wohnzimmertisch liegt eine Strichliste. Hier vermerkt er die Gründe, die ihm genannt werden, wenn er sich telefonisch erkundigt, weshalb ihm abgesagt wurde. Bei der Begründung «zu alt» hat Mannes schon 45 Striche gemacht. Das gibt ihm zwar kein Personalverantwortlicher schriftlich – doch im Gespräch räumen das manche ein.
11’869 Menschen zwischen 60 und 64 Jahren wurden hierzulande im November 2025 als arbeitslos registriert – vor genau einem Jahr waren es noch 9918. Der Personalexperte Jörg Buckmann (56) sagt zu SonntagsBlick: «Firmen behaupten zwar, sie würden niemanden wegen seines Alters diskriminieren. Doch die Realität ist leider anders.»
30 Bewerbungen sind noch offen
Gegenüber älteren Mitarbeitern bestünden in den Personalabteilungen unausrottbare Vorurteile: dass sie öfter krank seien, dass sie Neues langsamer lernten. Und dass sie sowieso nur noch ihre Pensionierung herbeisehnten und keine Stricke mehr zerreissen wollten. Der Personalexperte: «Dabei übersieht man, dass viele Ältere immer noch sehr viel Drive haben.» Auch ein Team arbeite besser, wenn es nicht nur aus Jungen, sondern auch aus ein paar «alten Hasen» bestehe.
Das Engagement von Charles Mannes findet Buckmann beeindruckend. «Doch es kann sein, dass man alles richtig macht und es trotzdem nicht reicht.» Mannes gibt die Hoffnung trotzdem nicht auf – in der Adventszeit sowieso nicht. Er will endlich wieder arbeiten, gern auch noch ein bisschen über das offizielle Pensionierungsalter hinaus. 30 Bewerbungen von ihm sind derzeit offen. «Jetzt hoffe ich auf ein Weihnachtswunder.»