Coop-Personalchefin Nadine Gembler (45) über den Kampf um Lehrlinge
«Für Junge ist es toll zu wissen, dass sie gebraucht werden»

Noch nie bleiben so viele Lehrstellen in der Schweiz unbesetzt. «Auch uns fliegen die Lehrlinge nicht mehr zu», sagt Nadine Gembler. Im BLICK-Interview spricht die Personalchefin von Coop über die duale Berufsbildung und Chancen auf dem Arbeitsmarkt.
Publiziert: 29.08.2016 um 23:57 Uhr
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Aktualisiert: 12.10.2018 um 15:57 Uhr
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Gembler mit den drei Lernenden Mara Perkovic (l.), Angelica Calabrese und Brian Leubin.
Foto: Stefan Bohrer
Interview: Ulrich Rotzinger

Frau Gembler, noch nie blieben so viele Lehrstellen unbesetzt, gleichzeitig nehmen knapp 1200 Jugendliche nun eine Lehre bei Coop in Angriff. Gut gearbeitet oder einfach Glück gehabt?
Nadine Gembler:
Auch uns fliegen die Lehrlinge nicht mehr zu wie früher. Wir müssen uns mehr anstrengen und kreativer sein, um potenzielle Bewerber anzusprechen.

Ist die Lehre ein Auslaufmodell?
Im Gegenteil. Die Lehre ist ein Erfolgsmodell für die Schweizer Wirtschaft. Wer dazu noch eine höhere Fachprüfung absolviert, hat das geringste Risiko, arbeitslos zu werden.

Dennoch: Immer mehr Lehrstellen bleiben unbesetzt!
Wir haben weniger Schulabgänger und es gibt mehr Lehrstellen. Das wirkt sich auf die Lehrlingssuche der Unternehmen aus. Ich gönne es den Jugendlichen, dass sie heute viel mehr umworben werden. Für sie ist es toll zu wissen, dass sie gebraucht werden

Würden Sie bei den vielen Ausbildungen und Möglichkeiten auf Berufsberater verlassen?

Die Berufsberatung hat informierenden Charakter. Für viele Jugendliche ist sie aber nicht meinungsbildend.

Wie sorgt Coop für Durchblick?

Wir stehen im Austausch mit den Schulen und informieren sie auch über neue Berufsbilder. Das Elternhaus spielt natürlich auch eine wichtige Rolle bei der Berufswahl.

Sind es heute nicht die Eltern, die dem Nachwuchs sagen, wo es im Berufsleben langgehen soll?

Am meisten Einfluss auf die Berufswahl haben tatsächlich immer noch die Eltern. An zweiter Stelle kommt der Freundeskreis. Als Ausbildungsbetrieb nehmen wir unsere Verantwortung wahr und gehen in die Schulklassen.

Was bringt die Berufslehre derzeit mehr unter Druck: die geburtenschwachen Jahrgänge oder das Prestigedenken der Eltern?
Beides kommt zusammen. Es ist wichtig, dass wir bei Eltern, etwa mit einem anderen kulturellen Hintergrund, die duale Berufsbildung bekannt machen.

Ist die Matur nicht der bessere Weg, um beruflich Erfolg zu haben?
Im Detailhandel sicher nicht. Unser Kadernachwuchs hat grösstenteils eine Lehre absolviert. Aber die Wirtschaft braucht selbstverständlich auch Uni-Abgänger.

Wie steht es mit dem Lohn?
Mit einer guten Lehre und einigen Jahren Berufserfahrung verdient man häufig gleich viel wie mit einem Uniabschluss.

Wie viele Bewerbungen gehen bei Coop auf eine Lehrstelle ein?
Im Schnitt sind es 20 pro Lehrstelle. Insgesamt erhielten wir für das angelaufene Lehrjahr über 25 000 Bewerbungen.

Wie viele waren unbrauchbar?
Nur, weil man nicht an ein Bewerbungsgespräch eingeladen wird, ist eine Bewerbung noch lange nicht unbrauchbar. Vielleicht haben einfach die Fähigkeiten zu wenig zu den Anforderungen gepasst. Wir laden ungefähr jeden zehnten Bewerber ein. Wir haben 2500 Bewerbungsgespräche geführt und schliesslich 1171 Lehrstellen besetzt.

Wie hoch ist die Abbrecherquote bei Coop im Vergleich zum Schweizer Durchschnitt?
Mit sieben Prozent liegt sie glücklicherweise unter dem Durchschnitt. Wer abbricht, tut dies meist im ersten Lehrjahr.

Ist mit einem Lehrabbruch die Berufslaufbahn bereits im Eimer?
Überhaupt nicht. Es ist normal, dass junge Menschen irgendwann in eine Krise kommen. Darum betreuen wir den Nachwuchs schon beim Einstieg eng. Ich empfehle immer, die Lehre wenn möglich zu beenden.

Viele Eltern sorgen sich über die Berufschancen ihrer Kinder.
Ich kenne kein durchlässigeres Berufsbildungssystem als jenes der Schweiz. Dank der Berufsmatur ist der Weg zum Studium für alle offen. Das Schöne in der Schweiz ist, dass man mit 16 Jahren nicht einen Weg einschlagen muss, der sich nicht mehr korrigieren lässt. Alles ist möglich.

Waren Sie gut in der Schule?

Ich bin eine gute Schülerin gewesen. Weil mir die Schule gefiel, wollte ich selbst auch Kinder unterrichten.

Heute unterrichten Sie keine Kindern, sondern sind Personalchefin für rund 80000 Mitarbeitende. Welchen Ausbildungsweg wählten Sie?

Zunächst habe ich die neusprachliche Matur, dann die pädagogische Fachhochschule gemacht und anschliessend sechs Jahre lang Erst- bis Drittklässler unterrichtet. Danach machte ich ein Handelsdiplom und fing an, mich in der Privatwirtschaft zu bewerben.

Und das klappte problemlos?

Natürlich hat niemand in der Privatwirtschaft auf eine Lehrerin gewartet. Schliesslich gelang mir aber der Quereinstieg bei Coop im Personalwesen. Es folgten Weiterbildungen und ein MBA.

Wie so viele arbeiten auch Sie nicht mehr im ursprünglichen Beruf.

Mehr als die Hälfte arbeitet heute nicht mehr im ersten Beruf. Als Personalchefin sage ich immer: bleibt am Ball und hört im Leben nie auf zu lernen.

Sind gute Noten Grundvoraussetzung für eine steile Berufskarriere?
Am wichtigsten ist die persönliche Einstellung. Man sollte bereit sein, das Beste zu geben, unabhängig davon, ob es einem nützt. Selbstdisziplin und Pünktlichkeit sind wichtig. Wenn ich in Bewerbungsdossiers sehe, dass die Person nebenher Weiterbildungen gemacht hat, zeigt mir das, dass sie über ein gewisses Selbstmanagement verfügt.

Coop hatte eine Lehrabsolventin mit der Note 6. Sie hat das Unternehmen aber gleich verlassen. Wie viele Lehrlinge können Sie halten?

99 Prozent der Lernenden haben dieses Jahr ihre Ausbildung bei Coop abgeschlossen. Das ist ein Rekord. Davon bleiben 65 Prozent bei uns. Darauf sind wir stolz.

Ihr Unternehmen bietet 31 Lehrberufe an. Welche sind beliebt, welche weniger?

Beliebt sind neben dem Verkauf der Polydesigner 3D, der frühere Schaufensterdekorateur, und die Ausbildung zum Pharmaassistenten. Weniger Bewerbungen erhalten wir für die Stellen als  Systemgastronom oder als Metzger.

Inwiefern verändert die Lehrstellen-Lage in der Schweiz das Angebot von Coop?

Unser Lehrstellenangebot muss  dem Arbeitsmarkt und seinen Bedürfnissen entsprechen, sonst machen wir etwas falsch. 

Inwiefern passiert das?

Bei unserem Elektronikhändler Interdiscount gibts beispielsweise die neue Lehre Fachfrau/mann Kundendialog. Das ist eine Mischung aus KV- und Detailhandelslehre, die die Digitalisierung und den Onlinehandel einbezieht. Die Ausbildung zum Logistiker wird derzeit überarbeitet und auf die Digitalisierung ausgerichtet. Die Berufsbilder werden insgesamt IT-lastiger.

Sollte man bei der Berufswahl auf die digitale Zukunft ausrichten?

Die Berufswahl sollte man nicht von Branchen und Trends abhängig machen. Ich würde darum meiner Tochter empfehlen, das zu tun, worauf sie Lust hat. Das Herz sollte für die Berufswahl den Ausschlag geben.

Wer für 2017 einen der begehrten Ausbildungsplätze will, ist bei vielen Betrieben schon zu spät dran. Auch bei Coop?
Nein. Wir halten uns seit Jahren an die Vorgabe der Kantone und schreiben Lehrstellen erst am 1. August aus. Vorher unterschreiben wir keinen Lehrvertrag.

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